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Flüchtlinge nicht den Salafisten überlassen

Kersten Knipp22. September 2015

Die Ethnologin Susanne Schröter plädiert dafür, die Angebote von Salafisten, die Flüchtlinge für ihre Ideologie gewinnen wollen, ins Leere laufen zu lassen: durch eine zielgerichtete Betreuung der Flüchtlinge.

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Archiv: Anhänger des radikal-islamischen Predigers Pierre Vogel bei einer Demonstration 2013 (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa/B. Roessler

Deutsche Welle: Frau Schröter, der Verfassungsschutz sorgt sich wegen der Salafisten, die den derzeit nach Deutschland kommenden Flüchtlingen Unterstützung an den Bahnhöfen und anderswo anbieten und Sie auf diese Weise für Ihre Ideologie zu gewinnen suchen. Für wie gefährlich halten sie diese Aktionen?

Susanne Schröter: Ich halte das durchaus für bedenklich. Tatsächlich wird in den salafistischen Netzwerken gerade eine große Kampagne ausgerufen, sich um die Flüchtlinge zu kümmern. Die Salafisten wollen verhindern, dass die muslimischen Flüchtlinge womöglich konvertieren. Die Aussicht, dass sie Christen werden könnten, bereitet ihnen große Sorgen.

Die Salafisten suchen Kontakt zu den Flüchtlingen. Das geschieht über vermeintlich gute Werke. So stehen sie mit Nahrung und Kleidung an den Bahnhöfen - wie die anderen Helfer auch. In der Szene werden verschiedene Vorschläge diskutiert - so etwa, dass Salafisten in ihren Familien Flüchtlinge aufnehmen könnten: zum Beispiel syrische Kinder, die ohne Begleitung geflohen sind. Die Salafisten hoffen, diese Umstände für ihre Missionsarbeit ausnutzen zu können. Wenn man an die Bahnhöfe geht, sieht man dort auch die bekannten salafistischen Figuren, die sich um Zugang zu den Flüchtlingen bemühen. Sie verteilen Gebetsteppiche, Kopftücher, Koranexemplare und Ähnliches, um die Flüchtlinge mit dem vermeintlich Notwendigsten auszustatten.

Wie reagieren die Flüchtlinge aus Syrien auf die Annährungsversuche?

Wir treiben bislang noch keine systematische Forschung. Wir haben einige Interviews mit jugendlichen Flüchtlingen geführt, die in Frankfurt untergebracht sind. Wir bemerken, dass dort ein großer Bedarf an Zuwendung herrscht. Das ist absolut nachvollziehbar: Flüchtlinge sind eben in einer äußerst schwachen Situation und entsprechend bedürftig. Jede Art von freundlicher Ansprache fällt auf sehr fruchtbaren Boden.

Porträt Susanne Schröter (Foto: dpa)
Susanne Schröter, Leiterin des Forschungszentrums Globaler IslamBild: picture-alliance/dpa/FFGI/Privat/Schröter

Allerdings muss man differenzieren: Diejenigen, die vor dem "Islamischen Staat" geflohen sind, werden sicherlich nicht sonderlich begeistert sein, wenn sie hier auf dessen deutsches Gegenstück treffen. Andere verstehen sich vielleicht als sehr fromme Muslime. Womöglich sind sie auch vor Assad geflohen und sind in einer aus ihrer Sicht "ungläubigen" Gesellschaft gelandet. Die dürften glücklich sein, muslimische Glaubensgenossen gefunden zu haben, die sich um sie kümmern. Wenn man also die Dinge einfach laufen lässt, könnten daraus durchaus Probleme erwachsen.

Was ließe sich denn tun, um die Angebote der Salafisten möglich ins Leere laufen zu lassen?

Es kommt sehr auf die staatlichen Angebote und die aus der Zivilgesellschaft an. Im Moment erscheinen die staatlichen Stellen ja als ebenso bemüht wie überfordert. Die Flüchtlinge sind zunächst einmal froh, dass sie hier in Sicherheit sind. Aber natürlich herrscht in vielen Aufnahmelagern eine ziemlich bedrückende Atmosphäre. Die Menschen langweilen sich, sie fühlen sich unwohl.

Wenn es dann gute Angebote gibt, bei denen sich die Menschen aufgehoben fühlen - auch als Muslime -, dann hätte man den Salafisten schon einiges entgegengesetzt. Wenn es aber gar keine Angebote gibt und man auch nicht im Blick hat, ob die Leute Plätze brauchen, an denen sie beten können oder Ähnliches, dann entsteht eine Lücke, die von anderen gefüllt wird. Meinem Eindruck nach kommt es nun auf wirklich gute Programme an.

Das klingt so, als entstünde nun ein erheblicher Zeitdruck zur Integration. In welchen Zeiträumen müssen wir denken?

Im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge versucht man ja, neue Stellen zu schaffen, um die Asylanträge zu bearbeiten. Ähnliches müsste natürlich auch auf kommunaler Ebene geschehen. Es müssten zumindest zeitweilig Personen eingestellt werden, die sich um die erste Eingliederung kümmern. Und das muss in der Tat relativ schnell passieren.

Um die Flüchtlinge langfristig gegen salafistische Versuchungen zu immunisieren, braucht es ja die unterschiedlichsten Integrationsschritte. Welche sind die dringlichsten?

Wir sind kurzfristig nicht unbedingt dafür ausgestattet und vorbereitet, große Menschenmengen auf allen Ebenen zu integrieren - vom Sprachunterricht über die Vermittlung unserer Kultur bis zur Ausbildung oder der Anerkennung bereits bestehender Abschlüsse. Das kann auch gar nicht sein. Aber natürlich muss man sich nun Gedanken darüber machen, wie viele Menschen man integrieren und zugleich betreuen kann. Da gibt es natürlich eine Grenze, jenseits derer die Kontrolle entgleitet.

Was die Ausbildung der Flüchtlinge angeht, ist es momentan schwierig, Schlussfolgerungen zu ziehen. Aber im Moment wandern aus Syrien ja auch die gut ausgebildeten Leute aus. Es kommt ja nicht nur die Unter-, sondern vor allem die Mittelschicht. Und darunter werden Personen sein, die genau die Qualifikationen haben, die wir hier brauchen können. Aber wir werden auch einen großen Teil von Analphabeten haben. Wir haben ja nicht nur syrische Flüchtlinge, sondern ganz unterschiedliche Personen mit den verschiedensten Hintergründen. Diese Menschen müssen natürlich sofort in Ausbildungsmaßnahmen kommen. Sie müssen ausgebildet werden, und zwar in Berufen, die hier auch zu einem Arbeitsplatz führen.

Gibt es Möglichkeiten, kurzfristig gegen die Werbeversuche der Salafisten einzuschreiten?

Wenn sich Menschen am Bahnhof versammeln, um Flüchtlinge willkommen zu heißen, kann man ja nicht sagen, die einen dürfen das und die anderen nicht. Man kann aber etwas tun, wenn es darum geht, die Flüchtlinge an die einzelnen Kommunen zu verteilen. Da müsste man schon sehen, mit wem sie in Kontakt kommen.

Das gilt besonders für minderjährige Flüchtlinge. Man muss darauf achten, dass nicht allzu viel Hilflosigkeit und Bedürftigkeit entsteht, so dass die Flüchtlinge froh sind, wenn ihnen überhaupt jemand die Hand reicht. Da muss man sich Mühe geben und die Jugendlichen wirklich an die Hand nehmen.

Prof. Dr. Susanne Schröter ist Leiterin des Frankfurter Forschungszentrums Globaler Islam (FFGI), Direktorin des Instituts für Ethnologie und Vorstandsmitglied des Deutschen Orient-Instituts.

Das Interview führte Kersten Knipp.