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Endstation Maisfeld

Barbara Wesel29. September 2015

Verwirrspiel in Mitteleuropa: Serbien, Ungarn, Kroatien und Mazedonien schieben sich die Flüchtlinge gegenseitig zu. Trotz Regen und Kälte drängen weiter Tausende über die Balkanroute nach Norden. Aus Sid Barbara Wesel.

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Kroatien Serbien Flüchtlinge bei Sid (Foto: Barbara Wesel)
Bild: DW/B. Wesel

Es ist kalt und regnet unablässig. Die Reise für eine Gruppe von rund 50 Flüchtlingen endet am Spätnachmittag auf einem matschigen Feld in Serbien. In der Nähe der Grenzstadt Sid biegt der Bus auf eine kleine Landstraße ab, 15 Minuten später hält er im Nirgendwo. Die Passagiere müssen aussteigen.

Die kroatische Grenze ist nur ein paar hundert Meter entfernt. An der Haltestelle hat eine Gruppe von Mitarbeitern von Nichtregierungsorganisationen (NGO) ihre Zelte aufgeschlagen. Regenjacken werden verteilt in fröhlichem rosa und hellblau, ein paar Löffel warme Pasta, Wasser, Bananen. Nach neun Stunden im Bus ohne Essen haben alle Hunger, vor allem die Kinder.

Hier im Grenzgebiet zwischen Serbien und Kroatien kommen derzeit vor allem Syrer, Iraker und Afghanen an. Gruppen von jungen Männern, aber vor allem Familien. Helfer bringen eine Kiste mit Kinderschuhen, der kleine Hamid rutscht in Sandalen durch den Dreck, sein Vater sucht die richtige Größe für ihn.

Kroatien Serbien Flüchtlinge bei Sid (Bild: Barbara Wesel)
Vier Wochen Flucht: Nach der Odyssee hat der zehnjährige Hamid viel zu erzählenBild: DW/B. Wesel

Für die größeren Kinder ist die Odyssee eine Art Abenteuer. Der zehnjährige Hamid ist seit vier Wochen unterwegs, er verständigt sich mit den Fingern. Sein kleiner Bruder ist erst zwei, er wird noch getragen, die älteren müssen laufen. Eine Mutter aus Syrien hat Zwillinge dabei, ihr Mann ist schon in Deutschland, sie trägt ein Baby vor der Brust, ein Landsmann dient als Träger für das zweite.

Geboren auf der Flucht

An der Grenze wartet auch ein junge Frau aus Damaskus. Die junge Mutter trägt ihr zwei Wochen altes Baby in eine Decke gehüllt vor dem Körper, entbunden hat sie unterwegs in der Türkei. Ihr Mann erzählt in gebrochenem Englisch, dass sie vor den Bombenangriffen geflüchtet sind und nicht mehr zu Hause auf die Geburt warten konnten. Zu gefährlich, zu gefährlich, sagt er immer wieder.

Nach einer kurzen Pause machen sich die Menschen auf den Weg durch die Felder. "Es ist nicht weit, dahinten ist schon die nächste Grenze", trösten die Helfer und schicken sie auf den Weg auf die andere Seite. Serbien leugnet, dass es die Flüchtlinge systematisch an der Grenze zu Mazedonien einsammelt und mit Bussen an die Grenze zu Kroatien schafft.

Die Leute berichten, dass sie 35 Euro für die Fahrt zahlen mussten. Und kaum hat sich ein Bus geleert, rollt schon der nächste an. Die Fahrten sind erkennbar organisiert. Nach ein paar hundert Metern warten dann tatsächlich kroatische Polizisten in der Mitte des Feldes, um die Flüchtlingsgruppe in Empfang zu nehmen.

Kroatien Serbien Flüchtlinge bei Sid
Zum Ausruhen hat die junge Mutter aus Damakus keine Zeit: Sie brachte ihr Baby auf der Flucht zur WeltBild: DW/B. Wesel

"Weiterlaufen, weiterlaufen", rufen sie, bis zur Straße am offiziellen Grenzübergang, wo wieder Busse auf sie warten. Ein stundenlanger Umweg durch Dreck und Regen. Auf der kroatischen Seite heißt der Übergang Tovarnik. Dort stauen sich die Flüchtlinge manchmal zu hunderten, wenn die Busse nicht schnell genug eintreffen.

Mit Grenzen Geld verdienen

Geduldig warten sie in dem Maisfeld, kleine Kinder weinen, weil sie müde sind und nicht mehr stehen können. Yussef trägt seine einjährige kleine Tochter, der Sohn ist schon drei und muss selber laufen. "Er ist unser Held", sagt seine Mutter Sarah. Sie und ihr Mann waren Dozenten an der Universität Damaskus, beiden schleppen schwere Rucksäcke mit der verbliebenen Habe.

"Alles, was wir haben, ist nass", klagt Sarah. Sie trägt nur einen Pullover und hat keine warme Jacke. "Es ist zu gefährlich geworden, wir konnten nicht mehr warten," sagt Yussef. Was sie jetzt hoffen? Sie wollen nach Deutschland, wie so viele andere. "Vielleicht könnte ich da wieder an die Universität“, meint er. Beide wissen nicht, wie ihr Leben weitergeht, nicht mal, was an diesem Tag noch passieren wird.

Von Tovarnik werden sie und andere mit Bussen in das Lager Opatovac gebracht. Die kroatische Armee hat dort innerhalb von Tagen Zelte aufgebaut, es gibt Essen, medizinische Versorgung, Betreuung für die Kinder. Alles ist effizient organisiert und der Umgang mit den Flüchtlingen nicht unfreundlich. Dutzende von kroatischen Polizisten sorgen für Ordnung in den Warteschlangen.

Kroatien Serbien Flüchtlinge bei Sid
Von einem Bus in den nächsten: Die Flüchtlinge wissen nie genau, wohin sie gebracht werdenBild: DW/B. Wesel

Es gibt Feldbetten, Heizungen werden gebracht, weil es nachts schon empfindlich kalt wird. Eine Krankenschwester versorgt die Babys. "Viele, die hier ankommen, sind unterernährt oder unterkühlt", erklärt Martina vom UNHCR. "Letzte Nacht hatten wir hier 130 Babys".

Die Mütter seien einfach zu erschöpft, um ihre Kinder warm zu halten und sie zu stillen. Aber die Ruhepause in Kroatien ist kurz - die Flüchtlinge ahnen nicht, dass sie schon nach ein paar Stunden wieder in Busse verfrachtet und an die ungarische Grenze weiter gefahren werden. Dort wiederholt sich dann das gleiche Spiel, doch der Ton ist rauer und das Militär ruppiger.

An diesem Punkt der Reise scheinen die meisten Flüchtlinge sich in ihr Schicksal ergeben zu haben. Die Menschen wissen nichts über die Stationen ihres Hindernislaufes durch Mitteleuropa, und sie wissen auch nicht, warum sie diesen Strapazen ausgesetzt werden.