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Flüchtlinge - willkommen?

Jochen Faget, Lissabon15. Dezember 2015

Die Regierung in Lissabon hat zugesagt, 4500 syrische Flüchtlinge aufzunehmen. Jochen Faget berichtet über Hilfs- und Integrationsversuche in einem armen europäischen Land, das bis jetzt vor allem Auswanderung kannte.

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Fouad Ahmad aus Aleppo - Flüchtling in Portugal - Foto: DW/J. Faget
Bild: DW/J. Faget

"Als ich erfuhr, dass wir nach Portugal kommen, habe ich das Land zuerst einmal gegoogelt“, erinnert sich Fouad Ahmad (Artikelbild oben). Das einzige, was er damals gewusst habe, seien die Fußballergebnisse aus der portugiesischen Liga gewesen. Seit knapp zwei Monaten lebt der syrische Buchhalter aus Aleppo mit seiner Frau und drei Kindern jetzt im mittelportugiesischen Penela. Zusammen mit drei anderen Flüchtlingsfamilien, insgesamt zwanzig Personen. "Vor der Abreise habe ich noch englisch-portugiesische Wörterbücher heruntergeladen", erzählt Fouad, "um etwas mehr über das Land zu erfahren".

Penela ist eine Kleinststadt inmitten von Wäldern. 3000 Einwohner, kaum Arbeit, eine Burg, Mittelgebirge. In einer leer stehenden Sozialwohnungssiedlung am Stadtrand sind die Familien untergebracht, in großzügigen, modernen Appartments. Und es gebe dort noch viel Platz, betont Nataliya Bekh, die ukrainische Projektleiterin, die selbst erst vor wenigen Jahren als Migrantin nach Portugal gekommen ist: "Wir können bis zu 200 weitere Flüchtlinge hier unterbringen. Sogar Behinderte und allein angekommene Kinder. Wir sind für alles gerüstet."

Flüchtlinge in der Provinz

Auch finanziell: Die Kosten des Pilotprojekts der Flüchtlingshilfe-NGO trägt zu zwei Dritteln die EU, zu einem Portugal. Vor allem stimme ihr Konzept, meint Projektleiterin Bekh. Während es in den Großstädten vor allem Ausländerghettos gebe, seien die Flüchtlinge in der portugiesischen Provinz herzlichst willkommen: "Wir haben eine eigene Übersetzerin, einen Psychologen, eine Portugiesisch-Lehrerin und beste Kontakte zu den Behörden. Alles funktioniert."

Nataliya Bekh (r.) und Asma Bensalema (l.) - Foto: DW/J. Faget
Nataliya Bekh (r.) und Asma Bensalema (l.) koordinieren das Flüchtlingsprojekt in PenelaBild: DW/J. Faget

Doch auch Portugal ist in Sachen Flüchtlingen geteilter Meinung: Keine 50 Kilometer entfernt hält die Anthropologin Elsa Lechner einen Vortrag über das Thema. An der Gesamtschule von Penacova haben sich die Schüler in Projektarbeit damit beschäftigt. Die portugiesische Forscherin, selbst Tochter eines ungarischen Flüchtlings, leistet harte, dringend nötige Aufklärungsarbeit. "Wir stoßen auf viel Unverständnis, Angst und Ablehnung", berichtet die Anthropologin.

Wie zum Beweis sagt eine Schülerin, Portugal brauche keine Flüchtlinge, die sollten weg bleiben. Schließlich könnten unter ihnen ja auch Terroristen sein. Viele ihrer Mitschüler stimmen zu.

Keine Einwanderungskultur

Unwissenheit löse Angst aus, erklärt die Anthropologin. Portugal habe jahrzehntelang nur Arbeitskräfte als Gastarbeiter exportiert. Als Einwanderungsland habe es praktisch keine Erfahrung. Portugal sei nicht darauf vorbereitet, in den kommenden Monaten 4500 Flüchtlinge aufzunehmen. Es gebe zwar viel guten Willen, bei den Lösungen allerdings werde vor allem improvisiert. Kein Wunder - im vergangenen Jahr haben gerade einmal 442 Menschen Asyl beantragt.

Überhaupt hat Portugal das Asylrecht bis jetzt eher halbherzig verwirklicht. Einerseits wollte sowieso niemand in das arme Land kommen. Andererseits behielt Portugal sich vor, Flüchtlinge nur aufzunehmen, wenn die wirtschaftliche Lage das erlaubte. Die Fremdenpolizei SEF, die über Asylanträge eher selbstherrlich entscheidet, hält wenig von Transparenz und gibt so gut wie keine Informationen über ihre Arbeit. Eine öffentliche Debatte über das Recht auf Asyl hat nie stattgefunden.

"Selbst jetzt geht es in den konkreten Fällen eher um christliche Nächstenliebe für arme Menschen, als um die Verwirklichung eines Menschenrechts", klagt die Wissenschaftlerin Lechner. Schließlich habe die katholische Kirche noch immer starken Einfluss und sogar jahrelang die Einwanderungspolitik in Portugal bestimmt. Vieles liege vor der Ankunft der neuen Flüchtlinge im Argen.

Flüchtlingszahl unklar

Dabei ist noch nicht einmal klar, wann wie viele Flüchtlinge kommen werden. Die Syrer in Griechenland und Italien wollten lieber in andere EU-Länder, meldeten vor Wochen die Zeitungen. Niemand könne sie zwingen, nach Portugal zu kommen. Quelle war angeblich die Fremdenpolizei, die das umgehend dementierte. Es gehe nur noch um Formalitäten, dann würden die ersten Flüchtlinge ankommen, verkündet die Polizei. Geschehen ist bisher nichts.

Die Anthropologin Elsa Lechner diskutiert mit Schülern über die Aufnahme von Flüchtlingen in Portugal - Foto: DW/J. Faget
Die Anthropologin Elsa Lechner diskutiert mit Schülern über die Aufnahme von Flüchtlingen in PortugalBild: DW/J. Faget

Es sei verständlich, dass Flüchtlinge lieber in Länder wollen, in denen bereits Verwandte von ihnen leben, gibt die Migrationsforscherin Lechner zu. Dort funktionierten soziale Netze, die die Eingliederung erleichterten. Portugal dagegen sei den Flüchtlingen unbekannt und fremd. Umso wichtiger sei es, Integrationsmaßnahmen für die, die kommen, besonders gut vorzubereiten.

Welche Zukunft?

In Penela zumindest scheint das gelungen zu sein. "Die Menschen hier im Ort sind alle freundlich, jeder grüßt uns", freut sich Fouad Ahmad in seiner Dreizimmerwohnung. Sicher wäre der Mann, der fließend Englisch spricht, lieber in ein Land wie Großbritannien, Kanada oder die USA gegangen. Aber jetzt lernt er Portugiesisch und hofft, später in einem Unternehmen in der Nähe einen Job zu bekommen.

Die Projektleiterin Nataliya Bekh macht sich derweil Sorgen um die Zukunft: Ob der kleine Ort noch mehr Flüchtlingen gewachsen sein wird, oder ob dann die Stimmung kippt? "Sicher wäre es besser, neue Flüchtlinge in der Region zu verteilen", gibt sie zu. Aber es sei eben einfacher, Neuankömmlinge ebenfalls in der Sozialbausiedlung am Ortsrand unterzubringen. Trotz der Gefahr, ein neues Ghetto zu schaffen. Denn in Penela stehen noch viele Wohnungen frei.

Doch es seien schöne Wohnungen, freut sich Fouad Ahmad, der Syrer aus Aleppo. Hier habe er endlich Frieden gefunden. "Wenn ich aus dem Fenster auf die bewaldeten Hügel blicke, dann ist das fast wie zu Hause."