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Politik

Filmemacher setzen sich für Protestler ein

Xenija Safronova | Elina Ibragimowa | Roman Goncharenko
30. März 2017

Nach den Protesten in Russland ist die staatliche Schweigemauer zusammen gebrochen: Den Anstoß gaben renommierte Filmemacher auf einer Preisverleihung in Moskau, die das Vorgehen der Polizei heftig kritisierten.

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Moskau 2017 Nika Awards Alexander Sokurow
Filmdirektor Alexander Sokurow fordert Freiheit für den ukrainischen Filmemacher Oleg Senzow Bild: picture-alliance/dpa/Sputnik/V. Astapkovich

In Russland gibt es wieder mal eine Überraschung: Zunächst gelang es dem Oppositionspolitiker Alexej Nawalny am Sonntag mit einem Video tausende junge Russen zu landesweiten Demonstrationen zu mobilisieren. Der Staat reagierte mit Festnahmen - und einer Schweigemauer. Denn das Fernsehen, das Medium Nummer eins für die meisten Russen, ignorierte den Protest, der gegen Korruption und speziell gegen den Ministerpräsidenten Dmitrij Medwedew gerichtet war.

Preisverleihung wird politisch

Dann lief am Dienstag eine Filmpreisverleihung in Moskau aus dem Ruder. Die sonst unpolitische Veranstaltung erinnerte an die Oskar-Zeremonie vor einigen Wochen in Hollywood, bei der es auch um Politik ging. In Moskau bezogen sich renommierte Filmemacher auf die Proteste und kritisierten den Staat.

Die größte Resonanz löste der Auftritt von Alexander Sokurow aus. "Man darf keinen Bürgerkrieg unter Schülern und Studenten anfangen, man soll ihnen zuhören", sagte der 65-jährige Regisseur mit der Statue der griechischen Siegesgöttin Nike in der Hand, der Namensgeberin für den Preis der russischen Filmakademie. Man habe lange auf politisch aktive Jugendliche gewartet: "Jetzt sind sie da". Seine knapp sechsminütige Rede wurde mehrmals von Applaus begleitet.

Seltene kritische Stimmen

Sokurow ist für seine politischen Äußerungen seit Sowjetzeiten bekannt und für seine Arbeit international ausgezeichnet. Mit seiner "Faust"-Verfilmung gewann er 2011 den Goldenen Löwen bei den Filmfestspielen in Venedig. Zu Hause ist Sokurow einer der wenigen Branchenvertreter, die sich kritisch über antidemokratische Tendenzen in Russland unter Präsident Wladimir Putin äußern.

Die meisten Filmemacher wie auch andere Künstler sind loyal zum Kreml und denken wohl wie Wassilij Liwanow. Sollte der Präsident einmal "die Augen in den Himmel richten", so würde eine Stimme ihm sagen: "Denk nicht einmal daran", sagte der beliebte Schauspieler bei einer Preisverleihung im Kreml im Januar. Die Botschaft: Putin solle weitermachen.   

Alexei Krasovsky
Auch Alexej Krasovsky hat das Publikum mehrmals applaudiert.Bild: picture alliance/dpa/V.Astapkovich

Eine Zeitenwende?

Die eigentliche Überraschung bei der Nika-Preisverleihung war, dass sich andere Sokurow angeschlossen hatten, darunter Alexej Krasowskij. "Am 26. März sind viele Menschen für unsere und ihre Freiheit auf die Straße gegangen", sagte der 45-jährige Regisseur, der ebenfalls ausgezeichnet wurde. Das Publikum applaudierte. Krasowskij rief die Kollegen auf, sich für die Freilassung der festgenommenen Demonstranten einzusetzen.

Dieser Appell sei spontan gewesen, doch die Proteste am Sonntag habe er mit den eigenen Augen gesehen, sagte der Filmemacher in einem DW-Gespräch. "Vor mir waren einige Jugendliche aus einem Café auf die Straße gegangen, sie waren um die 17", erinnert sich Krasowskij. "Vielleicht wussten sie nicht einmal, was passiert; die Polizisten schnappten sich einen, ziemlich brutal." Damals habe er gedacht, man müsse etwas darüber sagen. "Es war sehr rührend, dass junge Leute stellvertretend für ihre Eltern auf die Straße gegangen sind, die aufgegeben haben", sagt Krasowskij. 

Der Kremlchef reagiert  

Eine Protestaktion habe es bei der Preisverleihung nicht gegeben, sagte der DW die 63-jährige Schauspielerin Elena Korenewa, die sich auch Sokurow angeschlossen hatte. Es sei ausgesprochen worden, was sich lange angestaut habe. "Es soll normal sein, darüber zu sprechen, was man als unfair empfindet", sagt Korenewa.

Russland Yelena Koreneva
Elena Korenewa sprach sich für politische Gefangenе Oleg Senzow, Sergej Mochnatkin und Oleg Nawalny. Bild: picture alliance/dpa/V. Asta

Die Filmemacher ließen die Mauer des Schweigens seitens der Politik zusammenbrechen. Als einer der ersten sagte Valentina Matwijenko, Vorsitzende des Föderationsrates der Länderkammer des russischen Parlaments, der Staat solle seinen Bürgern zuhören. "Die Obrigkeit darf nicht einfach feststellen oder so tun, als passiere nichts", sagte sie über Proteste am Sonntag. Allerdings sollten Kundgebungen genehmigt sein. Auch der frühere Finanzminister Alexej Kudrin twitterte: "Sokurow habe recht." Kritik kam von Wladimir Posner, Moderator und Grandseigneur des russischen Fernsehens. "Allein die Tatsache, dass es auf staatlichen Kanälen verboten war, über die Proteste zu berichten, ist ein sehr schlechtes Zeichen", schrieb Posner in einem Blog. Er kritisierte sowohl die Polizei als auch den Oppositionspolitiker Nawalny, der "bewusst" provoziert habe.

Am Donnerstag sprach schließlich zum ersten Mal der Präsident über die Ereignisse des vergangenen Sonntags. Er sei gegen die Nutzung der Anti-Korruptions-Thematik, um sich im Wahlkampf zu profilieren, sagte Putin auf einer Arktis-Konferenz. In rund einem Jahr wird in Russland neuer Präsident gewählt. Nawalny hat seine Kandidatur bereits angekündigt, obwohl seine Teilnahme an juristischen Hürden noch scheitern könnte. In Russland geht man davon aus, dass auch Putin nochmals antreten wird.