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Film und Globalisierung

Jochen Kürten9. Februar 2009

Wütende Pfiffe, aber auch Applaus begleitete am Sonntag im Wettbewerb den Beitrag "Mammoth" des Schweden Lukas Moodysson. Der Film spaltete das Publikum. Jochen Kürten war beeindruckt.

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Selbstporträt von Jochen Kürten
Jochen Kürten - Live und in echt auf der Berlinale 09Bild: Internationale Filmfestspiele Berlin

Was mich immer wieder verstört auf Festivals ist die Erfahrung, dass selbst wir, die so genannten Fachleute, also die Kritiker, uns nur selten auf einen gemeinsamen Nenner einigen können. Sicher, es gibt hin und wieder einen Film, den zumindest der überwiegende Teil der professionellen Filmbeobachter mit Lob überschüttet oder aber auch ablehnt. Doch die Mehrzahl der Wettbewerbsbeiträge hat oft einen fast ebensogroßen Fankreis wie eine Schar der Verweigerer. Meist halten sich dann aber die Emotionen in Grenzen.

Und dann gibt es ein paar Filme, die wirklich polarisieren. "Ricky" des Franzosen Francois Ozon über ein fliegendes Baby war zum Festivalauftakt ein Beispiel dafür. Mich hat der Film komplett kalt gelassen, ich habe keinen Zugang zu dieser, wie ich meine, verunglückten Symbiose aus Sozialstudie und ganz konkreter Erweckungsphantasie gefunden. Einige Kollegen haben aber gerade das als ungemein originell und als überraschend empfunden.

Globalisierung im Kino

Szene aus dem Film "Mammoth"
Zwei Stunden in einem fast quälend ruhigen RhythmusBild: Internationale Filmfestspiele Berlin

Am Sonntag lief wieder so ein Film, der uns Kritiker zum streiten brachte. In seiner schwedisch-deutsch-dänischen Co-Produktion "Mammoth" erzählt Regisseur Lukas Moodysson von einer New Yorker Kleinfamilie, die aus beruflichen Gründen kaum zueinander findet. Moodysson macht daraus einen Film über die Globalisierung. Leo ist ein erfolgreicher Web-Designer, der nach Asien aufbricht um dort Geschäfte zu machen. Seine Frau Ellen ist eine engagierte Notärztin, die meist Nachschichten schiebt. Die achtjährige Tochter Jackie wird von Gloria erzogen, einer Philippinin.

Szene aus dem Film "Mammoth" von Lukas Moodysson
Bild: Internationale Filmfestspiele Berlin

Dabei hat Gloria selbst zwei kleine Söhne, die in der Heimat von der Großmutter gehütet werden. Leo lernt derweil auf seinen Reisen durch Thailand eine junge Prostituierte kennen, auf die er sich kurz einlässt. Ellen hingegen verbringt fast mehr Zeit am Krankenbett eines fremden, kleinen Jungen als bei der eigenen Tochter. Regisseur Moodysson erzählt die einzelnen Lebensläufe über zwei Stunden in einem fast quälend ruhigen Rhythmus, erst im letzten Viertel des Films kommt es zu dramatischen Zuspitzungen.

Wütende Buhrufe und warmer Applaus

Schon während der Vorführung, die wir Kritiker ja in der Regel am Morgen oder am Mittag fernab der "normalen" Zuschauer erleben, meinte ich ein Unbehagen im Publikum zu spüren. Und richtig, kaum lief der Abspann, machten sich wütende Buhrufe und Pfiffe breit. Ein anderer Teil des Publikums applaudierte allerdings auch. Wie diese so unterschiedlichen Reaktionen zu erklären sind? 'Zu platt' sei der Film gewesen, das Thema Globalisierung könne man doch nicht so einfach abhandeln, das sei viel zu komplex, in Wirklichkeit sei alles viel komplizierter, hörte ich viele Kollegen sagen.

Mich hat diese scheinbar simple Konstruktion nicht gestört. Im Gegenteil, ich glaube auch eine solche Art von Filmen, in denen es um eine Kritik an der Globalisierung geht und die das herunterbrechen auf ganz persönliche, individuelle Schicksale, haben ein Recht auf diese "Einfachheit". Das Kino war schon immer eine große, gut geölte Gefühlsmaschine. Heute kritisiert auch keiner mehr Klassiker wie "Casablanca", weil der die Flüchtlingsproblematik während des Nationalsozialismus in einer bewegenden Liebesgeschichte verdichtet. Oder "Vom Winde verweht", weil der den amerikanischen Bürgerkrieg als Soap inszeniert.

Globalisierung des Kinos

Ich liebe "Mammoth" gerade dafür, dass er den Mut hat sich über die Welt Gedanken zu machen und das mit starken melodramatischen Akzenten inszeniert, tolle Schauspieler einsetzt und einen phantastischen Soundtrack hat. - Eine andere Art der Globalisierung im modernen Kino konnte man in dem Film "Gigante" beobachten. Regisseur Adrián Biniez ist Argentinier, sein Debüt spielt in Montevideo und ist mit deutschen und niederländischen Geldern entstanden. Ein kleiner, stiller Film über einen schüchternen Nachtwächter in einem Supermarkt. Kein großes Kino, aber mit dem Mut zur Langsamkeit erzählt. Eine Geschichte aus dem Leben.

Szene aus dem Film "Rage" von Sally Potter
Nach 30 Minuten: Gähnen!Bild: Internationale Filmfestspiele Berlin

Und dann war da noch "Rage" der britischen Experimental- und Kunstfilmerin Sally Potter. 14 Protagonisten aus der Modewelt, zum Teil von bekannten Schauspielern dargestellt, präsentieren sich hier vor der Kamera eines Bloggers. Der Zuschauer sieht nichts als sprechende Köpfe vor grell-buntem Hintergrund. Das ganze soll wohl den hohlen Schein der Modewelt aufs Korn nehmen. Nach 30 Minuten fing ich an zu Gähnen und mich nach bewegten Bildern zu sehnen. "Rage" ist L´Art pour L´Art. Aber auch dieser Film – da gehe ich jede Wette ein – wird ein paar begeisterte Anhänger finden.

Fazit: 303 Minuten Film. Ein extrem disparater Tag, über den sich trefflich streiten lässt. "Mammoth" ist nach einigen guten Werken mein erster "Lieblingsfilm" im Wettbewerb der

Berlinale.