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Der Postschiffer

Daniel Scheschkewitz25. März 2007

Seit mehr als 30 Jahren bringt Fide Nissen die Post. Nicht mit dem Fahrrad oder Auto, sondern mit dem Schiff. Der 57-Jährige beliefert die Halligen vor der Küste Nordfrieslands. Daniel Scheschkewitz hat ihn begleitet.

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Fide Nissen bei der Arbeit
Fide Nissen bei der ArbeitBild: Daniel Scheschkewitz
Das Fährhaus in Schlüttsiel, Quelle: Scheschkewitz
Das Fährhaus in SchlüttsielBild: Daniel Scheschkewitz

Ortstermin gleich hinterm Deich - ich warte auf Fide Nissen. Es ist kurz nach Neun und wie fast jeden Morgen während der vergangenen 30 Jahre nimmt Postschiffer Fide Nissen auch heute seine Fracht am Fährhaus in Schlüttsiel, nördlich von Husum in Empfang. Sein Auftrag: Den rund 160 Bewohnern der Halligen Oland, Gröde und Langeness die Post zu bringen. Diese wird am frühen Morgen mit dem Auto aus Husum angeliefert. Ob handgeschriebene Briefe, die Zeitung oder sperrige Versandartikel: Alles wird spritzwassergeschützt im engen Kajütenraum der "Störtebeker" verstaut.

Ein einmaliges Angebot

Außer dem gelben Postwimpel am Boot erinnert nichts an die Post und auch der 57-jährige Nissen sieht nicht aus wie ein Postboote. Er wirkt eher wie ein Krabbenfischer, mit seinem Bart, der wasserdichten Wetterkleidung und der Schiffermütze. Zur Post kam der unabhängige Bilderbuchseemann 1977 - per Werksvertrag.

Arbeitsplätze sind auf den kleinen, häufig sturmüberfluteten Halligen rar gesät. Entweder man geht zum Küstenschutz, wird Pastor oder Kaufmann. "Das war es dann schon", sagt Nissen. Als er das Angebot bekam, Postschiffer zu werden, zögerte er nicht. Nicht nur das Gehalt lockte. "Da ich auch gerne auf dem Wasser bin und fische, habe ich mein Hobby mit meinem Beruf verbinden können und das ist natürlich eine feine Sache. Obwohl die Tage im Sommer schöner sind als im Winter, aber da muss man durch."

Das verlorene Boot

Nissens "Störtebeker" ist acht Meter lang, der Motor des umgebauten Rettungskreuzers hat 40 PS. Sechs mal die Woche läuft Nissen aus. Vorausgesetzt, Gezeiten, Wind und Wetter spielen mit. Im Wattenmeer ist das Boot nur bei Flut einsetzbar - bis Windstärke 6.

Die Störtebeker, Quelle: Scheschkewitz
Die StörtebekerBild: Daniel Scheschkewitz

"Im Herbst und Winter haben wir Stürme, die können ganz schnell aufziehen und sehr unberechenbar sein. Das ist dann ein hohes Risiko." Einmal schwamm ihm das Schiff davon. "Da lag mein Boot plötzlich auf dem Festland am Deich. Was für ein Glück! Es hatte nicht mal eine Schramme, am nächsten Tag holte es mein Bruder bei Flut wieder zurück."

Auf seiner täglichen Tour hält Fide Nissen Funkverkehr zu seiner Frau. Nicht nur weil an Land noch ein paar andere Jobs auf ihn warten, sondern auch zur Sicherheit. Nissen hat noch ein UKW-Seefunkgerät dabei, mit dem er andere Schiffe erreichen kann, im Notfall auch den Rettungskreuzer, der auf Amrum stationiert ist.

Des Kaisers 91. Geburtstag

Vorbei an Schwärmen von Ringelgänsen geht es zunächst auf die Hallig Oland. Briefe, Päckchen und Pakete liefert Nissen auf einer kleinen Poststation unterhalb eines reetgedeckten Hauses ab. Der Schiffer ist für den Transport von Hallig zu Hallig, nicht aber für die Postzustellung selbst zuständig. Die abgehende Post ist heute durchaus übersichtlich. Nissen klemmt sie sich unter dem Arm und weiter geht’s Richtung Langeness. Es ist ein kühler Frühlingsmorgen.

Bildgalerie Postschiff, Fide Nissen, Halligen, Nordfriesland Spezialbild
Die Halligen: Das Wasser ganz nahBild: Daniel Scheschkewitz

Die See frischt auf, der Geruch von Seetang liegt in der Luft, am Horizont tauchen die Warften, die wie auf Stelzen gebauten Häuser, der nächsten Hallig auf. Tagelange Pausen bei der Postzustellung waren vor allem früher in diesen Breiten nichts Ungewöhnliches. So kam es vor, dass auf der Hallig Hooge der 91.Geburtstag des Kaisers feuchtfröhlich begangen wurde, dabei war dieser schon längst tot.

Sortieren in der Melkstube

Heute sind die Halligbewohner in der Regel besser informiert. Die Zeitung ist druckfrisch und die Post kommt schneller an ihr Ziel als in manch einer deutschen Großstadt. Für den Postschiffer sind es vor allem die Naturgewalten mit denen er zu kämpfen hat und der ständige Wechsel von Ebbe und Flut.

Nach knapp zwei Stunden erreichen wir die Hallig Langeness. Hier wohnt Fide Nissen. Die Briefträgerin Liv Schladenhaufen wartet schon am Landungssteg. Jetzt werden die gut 100 Postsendungen in einer alten Melkstube vorsortiert, während draußen die Schafe blöken. Für Fide Nissen ist der Tag noch lange nicht zu Ende – Der Postschiffer betreibt als Nebentätigkeit Viehzucht, seine Eltern hatten schon einen Bauernhof. Er vermietet Ferienwohnungen und ganz nebenbei ist er auch noch Kurdirektor, Leiter des Friesenvereins und der örtlichen Schauspielgruppe. Den Job als Postschiffer möchte er nicht missen. Aus dreißig Jahren bleibt so manche schöne Erinnerung. "Zum Beispiel wenn ich Mütter mit ihren auf dem Festland zur Welt gekommenen Babys mitnehme, nach Langeness oder Gröde. Solche Touren sind immer schön".

Rudi aus der Kiste

Ein anderes Mal hatte sich der bekannte Showmaster Rudy Carrell in einem Paket versteckt. "Es gab diese Sendung 'Lass Dich überraschen'. Carrell hatte das Ganze vorher mit der Post abgeklärt und ich wusste natürlich von nichts. In Schlüttsiel, wo ich die Post einlade, stand ein verhältnismäßig großes Paket, was schon mal vorkommt. Ich hatte mir jedenfalls nichts dabei gedacht und auf einmal springt der Kerl aus dem Deckel raus und hält mir ein Mikrofon vor das Gesicht."

Fide Nissen
Fide NissenBild: Daniel Scheschkewitz

Die Deutsche Post lässt sich die Beförderung in diesen extremen Gebieten ein Vielfaches der normalen Zustellung kosten. Durch den Infrastrukturauftrag darf sie ihren Kunden dafür aber keinen Cent extra berechnen. Dabei spielt es keine Rolle, dass es auf den Halligen weder Straßennamen noch Hausnummern gibt, wie Postbotin Liv Schladenhaufen weiß.

"Es gibt die verschiedenen Warften, auf künstlichen Anhöhen stehende Häuser oder Gehöfte. Der Warftname entspricht einer Straße, also Honkenswarft oder Ketelswarft." Und die Hausnummern? "Offiziell wurden welche verteilt. Die Firmen hatten nämlich Probleme, das in ihren Computer einzugeben, wenn jemand etwas bestellt hatte und keine Hausnummer vorlag. Da haben die Firmen gesagt, das geht doch nicht. Da haben die meisten irgendwas angegeben, eine Null oder eine Eins. Und letztendlich wurden dann Hausnummern verteilt.“

Ob mit oder ohne Hausnummer. Die Postzustellung per Boot gibt es auf den deutschen Halligen seit rund 200 Jahren. Und wenn es nach dem Bürgermeister von Langeness, Boy Andresen, geht, soll das auch künftig so bleiben. Trotz E-Mail und Faxverkehr. "Ob bei Sturm oder abends im Dunkeln. Wenn es Post gibt, wird sie uns gebracht. Mit der Postversorgung hier können wir sehr zufrieden sein, das kann nicht besser werden."