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Feuer und Fleisch

Oliver Samson14. Juni 2003

Sommerzeit, Grillzeit: Das Ritual um Feuer, Fleisch und echte Männer erfreut sich trotz gesundheitlicher Bedenken größter Beliebtheit - und wird in manchen Großstädten zu einem echten Problem.

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Grillen im Berliner Tiergarten stinkt dem KanzlerBild: AP

Wer den Grill bedient, braucht für den Spott nicht zu sorgen: Männer lieben es demnach sämtlich zu grillen, weil sie dabei den ansonsten mühsam gebändigten Ur-Menschen ausleben können. "Es wird dabei ein Rest von Archaik gepflegt", sagt Nina Degele, Professorin für Soziologie und Geschlechter-Forschung an der Universität Freiburg. Am Rost sei "er" wieder der wilde Mann, der nach Schweiß stinken dürfe. Und sogar die "FAZ" schrieb in schönster deutscher Prosa, der Mann am Grill sei "Nachfahr von Fallenstellern, Fischern, Sammlern und Jägern, stolzer Enkelsohn allein ernährender Väter, Großväter und Urgroßväter, die ihre Familie ums Feuer scharten, um sie zu füttern, zu schützen und zu liebkosen, wie das Naturgesetz es befahl".

Der Lieblingszankapfel

Doch ein solcher Nachfahr lässt sich von Spott nicht schrecken: 14 Mal pro Saison greift der Durchschnittsdeutsche nach einer Umfrage der Nachrichtenagentur dpa zu Holzkohle und Grillzange. Und da diese lustigen Abende selten ohne Rauchschwaden, Schweinebauchgeruch, Hintergrundgedudel und bierseliges Gejohle vonstatten gehen, ist Grillen der klassische Zankapfel der Sommersaison. Und natürlich wäre Deutschland nicht Deutschland, wenn es zum Thema nicht eine ganze Fülle von Verordnungen und Gerichtsurteilen gäbe. Nach aktueller Rechtslage darf auf deutschen Balkonen und Terrassen einmal pro Monat bis 22 Uhr gegrillt werden, wenn die Nachbarn informiert werden - und zwar mindestens 48 Stunden im Voraus. Trotzdem wird immer wieder von wüstem Nachbarschaftsstreitigkeiten einschließlich Selbstjustiz berichtet. Vorsicht: Wer einen Eimer Wasser auf die bruzzelnden Kotellets hinunter schüttet, macht sich nicht nur unbeliebt, sondern auch strafbar. Ein rabiater Nachbar wurde deshalb vom Landgericht Stuttgart 1997 wegen Sachbeschädigung zu 1.500 Mark Geldstrafe verurteilt.

Von Müll, Ratten und Grillspießen

Ein weitaus größeres Problem scheint die ungebremste Grilllust in den Parks deutscher Großstädte zu sein. "Wir müssen etwas tun, sonst haben wir bald keine Parks mehr", sagt etwa der Berliner Stadtrat Frank Schulz (Grüne). Parkbänke würden ebenso verfeuert wie junge Bäume. Ratten, die sich von den Speiseresten ernähren, hätten inzwischen "Katzengröße" erreicht. Nach den Pfingstfeiertagen wurden alleine aus dem Berliner Tiergarten 200 Tonnen Müll herausgekarrt.

In der Hauptstadt wird inzwischen über ein weitgehendes Grillverbot debattiert - wie es schon der berühmteste Anwohner des größten Berliner Parks durchsetzen wollte. Der Bundeskanzler selbst fühlte sich im benachbarten Bundeskanzleramt von den herüberwehenden Schwaden belästigt. Seitdem sind einige Wiesen des Tiergartens für Grillfreunde gesperrt. Wahre Enthusiasten hält dies nicht vom nunmehr illegalen Fleischgaren ab - zumal die Polizei der Hauptstadt meist dringlicheres zu tun hat, als verräterischen Hammeldüften nachzuschnüffeln. Zum Beispiel unter Grill-Freunden für Frieden zu sorgen: 60 Polizisten waren Anfang Juni 2003 im Einsatz, um auf einer der legalen Grillwiesen im Tiergarten eine Massenschlägerei zu beenden. Nach Polizeiangaben waren 30 bis 40 Männer, Frauen und Kinder an der Auseinandersetzung beteiligt. Einem 19-Jährigen wurde mehrfach ein Grillspieß ins Gesäß gerammt. Zwei 16 und 21 Jahre alte Männer schlugen mit Klappstühlen auf eine am Boden liegende 42 Jahre alte Frau ein, ein 35-Jähriger brach sich ein Bein.

Grillen ist jedoch nicht nur wegen Spott, Nachbarschaftsstreit und drohender Keilereien gefährlich. Gegrilltes Fleisch im Übermaß scheint das Darmkrebsrisiko zu erhöhen. Und Grillen hat auch seine unmittelbaren Gefahren. Risikogruppe Nummer eins sind dabei natürlich Männer: Etwa Zweidrittel der Opfer, die sich beim Grillen verletzten sind männlich und im Alter von 20-40 Jahren, wie die Krankenkasse KBV kaum überraschend bekannt gab. Sie neigen eher dazu, Spiritus oder Benzin auf den Grill zu schütten, damit die Kohlen schneller abbrennen. Verbrennungen im Gesicht und am Oberkörper sind die Strafe für die ungeduldigen Bruzzler.