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Klassik im Paradies

Gero Schließ11. März 2016

Trancoso, ein kleiner, idyllischer Ort an der brasilianischen Küste, lockt Urlauber und Musikliebhaber gleichermaßen an. Seit 2012 findet hier ein Klassikfestival statt - gegründet von einer deutschen Gräfin.

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Theater in Trancoso (Foto: DW)
Bild: DW/G. Schließ

"An einem wunderschönen Morgen öffnete Peter das Gartentor und lief auf die schöne grüne Wiese" - so beginnt Tschaikowskis musikalisches Märchen "Peter und der Wolf", das schon Generationen von Kindern gehört haben. Jetzt erklingt es erstmals auch auf dem Marktplatz von Trancoso, aber nicht auf Deutsch oder Russisch, sondern auf Portugiesisch. Musikalisch begleitet wird die Geschichte vom Orquestra Experimental de Repertório, einem Studentenorchester aus São Paulo, das bei brütender Mittagshitze auf einer rasch zusammengezimmerten Holzbühne spielt.

Rund 200 Menschen sind gekommen, sitzen auf Bänken oder Decken und lauschen gespannt. Darunter auch Carol Ribeiro und ihre Mutter: Das Festival sei "spannend und phantastisch und eine Inspiration für die nicht eben wohlhabende Bevölkerung, so ganz abseits jeder Routine", schwärmen die beiden Frauen - eben ein ganz besonderes Erlebnis in Trancoso.

Carol Ribeiro (Mitte) (Foto: DW)
Carol Ribeiro (Mitte) liebt das FestivalBild: DW/G. Schließ

Privates Engagement

Dass es in dem knapp 10.000 Einwohner zählenden Küstenörtchen weit weg von etablierten Musiktempeln seit fünf Jahren ein mittlerweile sehr namhaftes Musikfestival gibt, ist dem Ehepaar Lovatelli zu verdanken: "Am Anfang stand die bescheidene Idee, der örtlichen Bevölkerung und der Wirtschaft zu helfen", erinnert sich die Wahlbrasilianerin Sabine Lovatelli.

Die deutsche Gräfin ist die treibende Kraft hinter dem Festival. Sie war 22 Jahre alt, als sie 1970 frisch verheiratet nach Brasilien ging. Damals beherrschte sie weder die portugiesische Sprache noch wusste sie viel über das Land, aber Musik war ihr eine Herzensangelegenheit – und in ihrer neuen Heimat fehlte ihr die Klassik. Seitdem setzt sich die Wahlbrasilianerin für Nachwuchsmusiker und Jugendorchester ein. So gründete sie in São Paulo das "Mozarteum Brasileiro", eine Stiftung zur Förderung brasilianischer Musiker und eben das Festival in Trancoso.

Sabine und Carlo Lovatelli (Foto: Sara Souza)
Ohne das Ehepaar Sabine und Carlo Lovatelli gäbe es in Trancoso kein FestivalBild: Sara Souza

Gute Kontakte nach Deutschland

Dank ihrer guten Kontakte konnte Sabine Lovatelli Profimusiker wie etwa die Berliner oder Wiener Philharmoniker dafür gewinnen, mit den brasilianischen Nachwuchsmusikern zusammenzuspielen. "Das Festival hat sich weiter entwickelt, als ich gedacht habe, bilanziert Sabine Lovatelli, und auch Rüdiger Liebermann von den Berliner Philharmonikern bestätigt, dass das Festival in Brasilien mittlerweile einen Stellenwert hat. "Es ist in Brasilien mittlerweile sehr wichtig", sagt er. Der erfahrene Geiger war von Anfang an dabei: als konzertierender Künstler und als Lehrer. Auch diesmal ist er wieder mit von der Partie und hat seine musizierenden Söhne gleich mitgebracht. Neben den Konzerten stehen während des einwöchigen Festivals auch Workshops für Musikstudenten und kostenlose Angebote für die örtliche Bevölkerung auf dem Programm.

Ein Festspielhaus vom Stararchitekten

Architektonischer Ankerpunkt des Musikfestivals ist das spektakuläre Festspielhaus, das der luxemburgische Stararchitekt Francoise Valentiny zwischen Loch vier und fünf des örtlichen Golfplatzes gebaut hat. Eigentlich sind es zwei Theater: oben eine Freiluftbühne, direkt darunter ein fast baugleiches Duplikat, beide mit Platz für mehr als 1000 Besucher. Valentiny kommt jedes Jahr zum Festival: "Diesmal habe ich festgestellt, dass die Vegetation schon wieder enorm zugelegt hat. In drei, vier Jahren werden diese Bäume hier so gewachsen sein, dass es so ausschaut, als ob dieses Gebäude schon immer dort gestanden hat,“ sagt er. Die Kinderkrankheiten der ersten Jahre wie gebrochene Wasserrohre sind überstanden. Geblieben ist im unteren Theater ein Akustikproblem, das wohl in den nächsten Jahren angegangen wird.

Blick auf die Küste in Trancoso, Brasilien (Foto: Terravista Golf)
Traumkulisse beim FestivalBild: Terravista Golf

Privates Sponsoring

Doch das kostet wieder Geld, und Festival und Festspielhaus werden ausschließlich privat finanziert. Ohne Reinold Geiger, den erfolgreichen Chef des Kosmetikunternehmens L' Occitane mit Zweitwohnsitz in Trancoso, wäre das undenkbar. Geiger hat ganz tief in seine Privatschatulle gegriffen und Millionenbeträge beigesteuert. Auch er kommt jeden März zum Festival nach Trancoso. Zu hören sind diesmal unter anderem Konzerte mit der Sopranistin Angelika Kirchschlager, Ensembles der Berliner Philharmoniker und Madison McFerrin, die ihren Vater Bobby vertritt, sowie Jugendorchester aus São Paulo und Belo Horizonte. Letzteres spielt zum Finale die pompöse Rocksinfonie des jungen deutschen Dirigenten und Komponisten Wolfgang Roese, die dieser selbst dirigiert.

Karrieresprungbrett für brasilianischen Musikernachwuchs

Alle Konzerte sind ausverkauft. Aber nicht nur die Zuhörer kommen mittlerweile aus allen Teilen Brasiliens, sondern auch die Studenten, die sich für die Workshops qualifiziert haben. Und auch in Trancoso selbst ist der Klassik-Funke übergesprungen: Sabine Lovatelli weiß von fast 60 Kindern im Ort, die Violine lernen, "weil sie fasziniert sind von dem, was hier passiert, und wissen, wohin des führen kann" - die brasilianischen Jugendorchester führt ihr Auftritt im Regelfall nämlich nach Deutschland zum Berliner Musikfestival "Young Euro Classics". Besonders begabte Instrumentalisten werden sogar bei Orchesterakademien wie jener der Berliner Philharmoniker untergebracht.

Junge Musiker bei der Probe
Der Musiknachwuchs beim WorkshopBild: Tiago De Carli

"Wir möchten, dass Trancoso ein Zentrum der musikalischen Ausbildung wird", formuliert Sabine Lovatelli selbstbewusst ihre Vision. Es sieht so aus, als wenn das Festival "Musica em Trancoso" für so manchen brasilianischen Jungmusiker die entscheidende Wegmarke für seine Karriere werden könnte.