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Ferien vom Krieg

27. Juli 2010

In Walberberg bei Bonn verbringen rund 60 junge Israelis und Palästinenser gemeinsam ihre Ferien in einem Camp. Dort haben sich Menschen kennengelernt, die in ihrem Alltag durch eine Mauer getrennt sind.

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Mohammad Awad (l.) und Ran Bechor (r.)
Wären sich in der Heimat niemals begegnet: Mohammad und RanBild: DW

Im richtigen Leben wären sich Mohammad Awad und Ran Bechor niemals begegnet: Ran lebt in Tel Aviv und hat, wie viele Israelis, selten Kontakt zu Palästinensern; Mohammad kommt aus Tulkarem im Westjordanland, er darf nach Israel nur mit einer Sondergenehmigung. Vor drei Jahren wurde sein bester Freund von israelischen Soldaten erschossen: "Ich war so voller Wut und Hass, als ich herkam", erzählt er. Und auf der anderen, der israelischen Seite habe es großes Misstrauen gegeben: "Jeder von uns hatte Vorurteile. Die Stimmung war anfangs sehr angespannt."

Aber heute sitzen Mohammad und Ran gemeinsam mit weiteren 60 Jugendlichen entspannt an Deck der "Rheinprinzessin" und fahren von Bonn den Rhein aufwärts Richtung Rolandseck. Kichernd fotografieren sie sich gegenseitig vor dem Drachenfels, dösen in der Sonne oder albern herum. Sie machen "Ferien vom Krieg": eine Art Ferienlager, bei dem junge Israelis und Palästinenser zwei Wochen in der Jugendakademie Walberberg bei Bonn verbringen. Diskussionen, gemeinsame Erlebnisse, Streit und Versöhnung stehen auf dem Programm, das von Lehrern und Psychologen begleitet wird.

Mohammad und seine Freunde auf der 'Rheinprinzessin' bei Bonn, Foto: Rottscheidt/ DW
Von Konflikt keine Spur: Junge Israelis und Palästinenser machen 'Ferien vom Krieg'Bild: DW


Mehr als 20.000 Teilnehmer

Damit wolle man zeigen, dass ein friedliches Miteinander machbar sei, sagt Helga Dieter vom "Komitee für Grundrechte und Demokratie" in Köln: "Die jungen Menschen sind neugierig aufeinander, sie wollen die Wahrheit wissen und misstrauen den Lügen der Kriegspropaganda beider Seiten", sagt die Organisatorin.

Die Aktion begann in den 1990er Jahren, als muslimische Kinder, die aus Srebrenica deportiert worden waren, in einem Feriencamp auf serbische Kinder trafen, die inzwischen in den Häusern der Muslime in Srebrenica wohnten, der Stadt des größten Massakers im Balkankrieg. Mehr als 20.000 Kinder und Jugendliche aus verfeindeten Gebieten haben seither in Deutschland ihre Ferien verbracht.

Seit 2001 lädt das Komitee auch junge Menschen aus Israel und Palästina ein, über 1200 Teilnehmer haben seitdem ihre vermeintlichen "Feinde" in den Feriencamps kennengelernt: "Wir können zusammen leben, sogar unter einem Dach, das ist eine tolle Erfahrung", sagt die 25-jährige Israelin Adva Gur. Es gebe keinen Grund, Angst vor den Palästinensern zu haben: "Kürzlich war ich im Westjordanland, ich fürchte mich mehr vor den radikalen Siedlern und den israelischen Soldaten", sagt sie. "Ich bin hierher gekommen, um die Palästinenser und ihre Geschichten persönlich kennen zu lernen. Und auch, um ihr Bild von den Israelis zu ändern!"



Neue Freunde

Auch ihre neue Freundin Hiba Nusseibeh aus Ostjerusalem hätte sie unter normalen Umständen niemals kennen gelernt: "Israelis und Palästinenser begegnen sich zwar auf der Straße", sagt Hiba, "aber wir sprechen nicht miteinander. Das macht man nicht."

Die Grundidee der Organisatoren ist einfach: In einer Region, in der die Fronten so verhärtet sind, müsse der Frieden von "unten kommen", sagt Helga Dieter, aus der Zivilgesellschaft, von den Nichtregierungsorganisationen und zahlreichen Graswurzelinitiativen. Die mit den Aachener und Stuttgarter Friedenspreisen ausgezeichnete Aktion "Ferien vom Krieg" sei eine Initiative, die unabhängig von Parteien, staatlichen Institutionen oder großen Nichtregierungsorganisationen arbeite, sagt die Organisatorin.

Große Versprechen

In Walberberg haben die jungen Israelis und Palästinenser einen Pakt geschlossen: Zu Hause wollen sie gegen die Vorurteile ankämpfen, indem sie von ihren Erfahrungen, die sie in Deutschland mit der jeweils anderen Seiten gemacht haben, erzählen. "Meine Leute werden das nicht verstehen. Sie werden mich für verrückt halten", sagt Mohammad lächelnd.

Und noch etwas haben Ran und er sich versprochen: Sie wollen sich wiedersehen, was trotz der geringen Entfernung fast unmöglich ist. Mohammad kann nur mit einer Sondergenehmigung nach Israel reisen, Ran darf als Israeli nicht in die palästinensischen Autonomiegebiete. "Man muss doch etwas tun", sagt Ran, "das ist wirklich schlimm, was die Israelis den Palästinensern antun. Aber Mohammad ist ein Held für mich!" Und Mohammad fügt gerührt hinzu: "Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal weinen würde, weil ich von einem Israeli Abschied nehmen muss!"

Autorin: Ina Rottscheidt
Redaktion: Anne Allmeling

Adva und Hiba mit der Organisatorin Helga Dieter vom Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V., Foto: Rottscheidt/DW
Adva und Hiba mit der Organisatorin Helga DieterBild: DW
Israelisch-palästinensische Jugendfreizeit auf der 'Rheinprinzessin' bei Bonn, Foto: Rottscheidt/ DW
Über 1200 junge Israelis und Palästinenser hat das 'Komitee für Grundrechte und Demokratie' bislang nach Deutschland eingeladen. Zwischen den Seminaren stehen gemeinsame Ausflüge auf dem Programm.Bild: DW