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Felipão: Der Sheriff von Brasilien

Philip Verminnen (apo)30. Mai 2014

Die Erwartungen sind immens. Brasiliens Nationaltrainer Luiz Felipe Scolari muss die "Seleção" bei der WM in seiner Heimat zum Sieg führen. Porträt eines charismatischen Cholerikers.

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Porträt Luiz Felipe Scolari (Foto: REUTERS/Sergio Moraes)
Bild: EVARISTO SA/AFP/Getty Images

Barfuß und mit hochgekrempelter Hose stützt er sich auf ein Weinfass. Luiz Felipe Scolari trampelt auf den Trauben herum und erklärt lächelnd den Prozess der alkoholischen Gärung. Weinbau ist eine der vielen Traditionen, die der brasilianische Nationalcoach von seinen italienischen Vorfahren übernommen hat.

Wenn Felipão, wie er in seiner Heimat Brasilien genannt wird, zwischen den Reben steht, strahlt er Ruhe und Zufriedenheit aus. Nichts deutet auf seine diktatorischen Anwandlungen hin, auf seine Sturheit oder die Angriffslust gegenüber Spielern und Presse.

Doch wenn Felipão sich etwas in den Kopf gesetzt hat, gibt es keinen, der ihn davon abbringen kann. Auch nicht ein ganzes Land. Als brasilianische Fußballfans vor der WM 2002 in Japan und Südkorea die Berufung von Romário in den WM-Kader forderten, stellte er sich quer. Nicht einmal die Tränen des damals 35-jährigen Stürmers konnten den Coach umstimmen.

Laufpass für Romário

"Bei der Copa América 2001 habe ich die Geduld verloren", rechtfertigt er sich Jahre später. "In dem Moment, in dem die Mannschaft Rückhalt gebraucht hätte, kam Romário mit seiner Augenoperation. Erst dachte ich, ok, er hat gesundheitliche Probleme. Doch als ich erfuhr, dass er sich nicht auskuriert, sondern ein Freundschaftsspiel beim CR Vasco bestritten hatte, verlor ich das Vertrauen in ihn, und er verlor die WM“.

Vertrauen ist das Schlüsselwort für die Zusammenarbeit mit Felipão. Immer wieder schweißte er heterogene Mannschaften zusammen und führte sie zum Sieg, darunter den SE Palmeiras aus São Paulo und den FC Chelsea. Und natürlich die "Seleção", die brasilianische Nationalmannschaft, 2002 in Japan.

Brasilien Präsident Fernando Henrique Cardoso (Foto: dpa)
Staatspräsident Fernando Cardoso und Felipão feiern Brasiliens Sieg bei der WM 2002Bild: picture-alliance/dpa

"Bei einem Turnier ist das Team wichtiger als einzelne Stars", dekretierte Felipão kurz vor der WM in Asien. Nach dem Laufpass für Romário löste er 2004 bei der Aufstellung des portugiesischen Kader, den er von 2003 bis 2008 trainierte, erneut einen Eklat aus. Weil er nicht mit dem Torwart Vítor Baía klar kam, verzichtete bei der EM kurzerhand auf den beliebten Spieler des Erstligisten FC Porto.

Häufig verdeckten die Erfolge auf dem Spielfeld die Temperamentsausbrüche des Bundestrainers. So kam Felipão 2002 aus Asien als Weltmeister zurück. Während seiner Zeit als Coach der portugiesischen Nationalmannschaft wurde er Vize-Meister Europas und führte die Portugiesen bei der WM 2006 in Deutschland ins Halbfinale, das beste Ergebnis seit 1966.

Zoff beim FC Chelsea

Bei dem britischen Fußballklub FC Chelsea blieb "Big Phil", wie Felipão von der britischen Presse genannt wurde, allerdings nur sieben Monate. Dabei war sein Trainerdebüt mit elf auswärtigen Siegen hintereinander sehr vielversprechend. Doch die Spieler Petr Cech, Didier Drogba und Michael Ballack weigerten sich, den autoritären Führungsstil Scolaris zu akzeptieren, was schließlich zu seiner Entlassung führte.

Die eigene Spielerkarriere des 1948 in dem kleinen Ort Passo Fundo geborenen Luiz Felipe Scolari begann im Verein Caxias do Sul. Dort spielte er von 1973 bis 1979 als Innenverteidiger. Schon sein Vater, Benjamin Scolari, hatte für den Fußballklub der Stadt São Leopoldo auf der gleichen Position gespielt. Dessen Eltern wiederum waren aus dem italienischen Veneto in die bergige Region Brasiliens emigriert.

Schon damals stach Felipão durch seine "Sheriff"-Allüren hervor. Er galt als ungeschickt und streitlustig, zeigte aber Führungsqualitäten. Nach dem Abschluss eines Sportstudiums und zwei gescheiterten Anläufen bei den Fußballklubs Novo Hamburgo und Juventude, begann er 1982 als Trainer beim CSA Alagoas im Nordosten von Brasilien.

"Familie Scolari"

In seinen ersten Jahren als Trainer pendelte Felipão häufig zwischen Brasilien und der arabischen Welt hin und her. Erfolgreich war er mit dem Klub Grêmio aus Porto Alegre zwischen 1993 und 1996, als er beim wichtigsten südamerikanischen Vereinsfußballwettbewerb, der Copa Libertadores, den Titel holte. Zwischen 1997 und 2000 triumphierte er mit SE Palmeiras erneut bei der Copa Libertadores und siegte zweimal hintereinander beim brasilianischen Pokalwettbewerb.

Luiz Felipe Scolari beim Training der brasilianischen Mannschaft (Foto: dpa)
Die Stars Rivaldo, Ronaldo, Ronaldinho Gaucho und Roberto Carlos hören auf Scolaris AnweisungenBild: picture-alliance/dpa

Diese Erfolge bereiteten den Weg für die Berufung Scolaris als brasilianischer Bundestrainer. Aus einer Mannschaft, an die niemand mehr glaubte und die beinahe die Klassifizierung zur WM 2002 verfehlte, machte Felipão die berühmte "Familie Scolari". Er schmiedete aus den beiden Einzelkämpfern Ronaldo und Rivaldo ein unschlagbares Duo und führte Brasilien zu seinem Titel als fünffacher Weltmeister.

Als er 2009 gefragt wurde, ob er 2014 die brasilianische Nationalmannschaft erneut trainieren würde, lehnte er kategorisch ab. "Gott bewahre, dies wird die schlimmste WM, egal für welchen Trainer", erklärte Scolari damals aus dem selbstgewählten Exil in Usbekistan, wo er 2009 den dortigen Erstligisten "Bunyodkor Taschkent" coachte.

Beileid für den Bundestrainer

Er nannte auch den Grund für seine Ablehnung: "In Brasilien wird niemand etwas anderes als den Titel akzeptieren. Niemand ist bereit, erneut eine Niederlage wie 1950 gegen Uruguay hinzunehmen. Der Bundestrainer tut mir jetzt schon leid!". Doch anscheinend überlegte er es sich noch einmal anders. Am 28. November 2012 willigte Luiz Felipe Scolari ein, das von ihm beschriebene "Leid" auf sich zu nehmen.

Ein Sieg bei der WM in Brasilien gilt nun als seine "Pflicht". Die Rolle "Romários" hat Felipão auch schon vergeben: Er verzichtete darauf, den beliebten Spieler Ronaldinho Gaúcho in den Kader für den Confed-Cup berufen. Brasilien gewann bekanntlich den Cup. Gibt es noch Zweifel an Felipão?