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Faszination himmlisches Jerusalem

22. April 2016

Eine Stadt aus purem Gold, im Zentrum Gott, mitten unter den Erlösten: die Vision vom himmlischen Jerusalem fasziniert. „Wie sieht unser himmlischer Sehnsuchtsort aus?“, fragt Alfred Herrmann von der katholischen Kirche.

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Der Hezilo-Leuchter aus dem 11. Jahrhundert hängt im Dom zu Hildesheim und stellt das Himmlische Jerusalem dar.Bild: bph

„Ich sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott her aus dem Himmel herabkommen; sie war bereit wie eine Braut, die sich für ihren Mann geschmückt hat. Da hörte ich eine laute Stimme vom Thron her rufen: Seht, die Wohnung Gottes unter den Menschen! Er wird in ihrer Mitte wohnen, und sie werden sein Volk sein; und er, Gott, wird bei ihnen sein. Er wird alle Tränen von ihren Augen abwischen: Der Tod wird nicht mehr sein, keine Trauer, keine Klage, keine Mühsal. Denn was früher war, ist vergangen“ (Off 21,2-4).

Was wir in der zweiten Lesung im Sonntagsgottesdienst hören, führt uns eine Vision vom Paradies vor Augen. Vom Leben, das mit Anbruch der Endzeit beginnen soll. Im letzten Buch des Neuen Testaments, in der Offenbarung des Johannes, beschreibt der Seher, wie das neue Jerusalem auf die Welt herabkommt, eine Stadt der Geretteten. Ein Sehnsuchtsort. Gott wohnt dauerhaft in der Mitte der Menschen. Er ist ganz nah. Ein Ort ohne Mühsal und Leid. Ein Gnadenort. Im weiteren Verlauf des Textes beschreibt Johannes dieses himmlische Jerusalem genauer. Der Seher sieht eine Stadt, quadratisch angelegt, mit Straßen aus purem Gold, zwölf Stadttoren aus Perlen, einer Stadtmauer aus grünem Jaspis.

Über Jahrhunderte rezipiert

Die Kunst ist fasziniert von dieser Vision. Darstellungen des himmlischen Jerusalems zeugen von einer über jahrhundertealten Rezeption. So thront eine romanische Madonna nicht selten auf den Mauern der himmlischen Stadt, gut zu sehen im Erfurter Dom. Große schmiedeeiserne Radleuchter wie der Barbarossa-Leuchter im Aachener Dom oder der Hartwig-Leuchter auf der Comburg zeugen von der künstlerischen Auslegung dieser apokalyptischen Vision im zwölften Jahrhundert. An so manchem Mönchskloster, so mancher Basilika lassen sich Abmessungen ablesen, die Johannes benennt. Die St. Michaels-Kirche in Hildesheim aus dem elften Jahrhundert ist nur ein Beispiel.

Der Historiker Claus Bernet zeigt mit seiner Forschung, die er unter anderem in seinem Buch „Gebaute Apokalypse. Die Utopie des Himmlischen Jerusalem in der Frühen Neuzeit“1darlegt, wie religiöse Gruppen in nachreformatorischer Zeit sogar den Versuch unternahmen, anhand der biblischen Beschreibungen auf Erden ein himmlisches Jerusalem nachzubauen. Die Stadt Gottes, die Idealstadt, das neue Jerusalem sollte allerdings nicht nur städtebaulich entstehen, sondern es sollte auch die biblisch-geistliche Vorstellung von der Sozialgestalt einer idealen Gesellschaft realisiert werden. Bernet führt die Täuferbewegung an, die in den 1530er Jahren das westfälische Münster beherrschte und sich in der Stadtgestaltung wie in ihrer Machtstruktur von der apokalyptischen Vision vom himmlischen Jerusalem habe leiten lassen. Ebenso nennt er das im 17. Jahrhundert als Planstadt errichtete Freudenstadt im Schwarzwald. Und er erinnert an Ronsdorf im heutigen Wuppertal, wo die pietistischen Zioniten um Elias Eller im 18. Jahrhundert das himmlische Jerusalem Wirklichkeit werden lassen wollten.

Bis heute hat die Vision der kommenden Gottesstadt nichts von ihrer Anziehung verloren. Wer die Augustinerkirche in Würzburg betritt, den überwältigt ein Altarbild des zeitgenössischen Künstlers Jacques Gassmann. Zwei Wanderer sind im Dunkel der Nacht zu erkennen. Sie blicken von einem Berg herab auf die strahlende himmlische Metropole. Diese reicht bis zum Horizont, eine Stadt aus leuchtendem Gold. Gelbgoldenen Leuchtspuren deuten ein planstädtisches Straßennetz an, als würde sich Manhattan vor den Augen der Betrachter erstrecken.

Himmlischer Sehnsuchtsort heute?

Und wie stellen wir uns heute das himmlische Jerusalem vor, das am Ende der Zeiten vom Himmel herab kommen soll? Welches Bild von einem jenseitigen Leben, einem Ort des Heils, tragen wir heute in uns? Weckt die Vorstellung von der Wiederkunft Christi noch unser Interesse, bei all den Annehmlichkeiten, die die irdische Welt für unsere satte Gesellschaft bereithält?

Augustinerkirche in Würzburg
In der Augustinerkirche in Würzburg hängt eine der neuesten Darstellungen des himmlischen Jerusalems. Jacques Gassmann malte es im Jahr 2011.Bild: A. Herrmann

Eine Ahnung von der Anziehungskraft eines solchen himmlischen Sehnsuchtsortes führen uns die syrischen Kriegsflüchtlinge vor Augen, die in den vergangenen Wochen und Monaten zu uns nach Europa gekommen sind. Vertrieben durch Not und Elend, Terror und Gewalt glüht in ihnen die Hoffnung, eine Stadt voll Frieden, Sicherheit und Liebe zu finden. Der Hölle entkommen, suchen sie ihren Sehnsuchtsort für ein menschliches Leben. Gleichzeitig tragen sie die leidvolle Erfahrung zu uns, dass es auf Erden, in unserem endlichen Dasein niemals beständige Paradiese geben wird.

Wie dennoch ein Stück himmlisches Jerusalem unter uns Wirklichkeit werden kann, jenseits von goldenen Straßen und Stadtmauern aus Edelsteinen, lehrt uns Jesus Christus im heutigen Sonntagsevangelium, wenn er sagt: „Liebt einander! Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben. Daran werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid: wenn ihr einander liebt“ (Joh 13,34 f.).

1Claus Bernet, „Gebaute Apokalypse. Die Utopie des Himmlischen Jerusalem in der Frühen Neuzeit“, Mainz 2007.

Alfred Herrmann
Bild: Privat

Alfred Herrmann arbeitet als freier Autor in Berlin. Zuvor war er Pressesprecher des „Bonifatiuswerkes der deutschen Katholiken“ in Paderborn sowie Redakteur für Kirche und Spiritualität bei der christlichen Wochenzeitung „Neue Bildpost“. Herrmann, 1972 in Würzburg geboren, studierte Literaturwissenschaft, Geschichte und Katholische Theologie in Berlin.

Kirchliche Verantwortung: Dr. Silvia Becker, Katholische Hörfunkbeauftragte