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Fastenbrechen mit Bundespräsident

Sabine Kinkartz, Berlin13. Juni 2016

Spaltet die Angst vor islamistischem Terror die Gesellschaft? Joachim Gauck mahnt mehr Begegnungen und Miteinander an. In Berlin folgt er einer Einladung zum abendlichen Iftar-Essen im Ramadan.

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Bundespräsident Joachim Gauck nimmt am öffentlichen Fastenbrechen teil. Copyright: Getty Images/AFP/J. Macdougall
Der Bürgermeister von Berlin-Moabit (l.) und Immam Hajjir (2.v.l.) begrüßen den Bundespräsidenten und Partnerin SchadtBild: Getty Images/AFP/J. Macdougall

Gerade einmal zwei Kilometer trennen das Schloss Bellevue, den Amtssitz des Bundespräsidenten, vom Otto-Spielplatz im Berliner Stadtteil Moabit. An diesem Montagabend bietet der Platz ein ungewohntes Bild. Zwischen tobenden Kindern sind unter weißen Baldachinen Tische und Bänke in langen Reihen aufgestellt, davor eine kleine Bühne, die das Motto "Wir leben Gemeinschaft in Moabit" ziert. Rund 500 Menschen sitzen auf den Bänken, vor ihnen Teller mit Pfirsichen, Bananen und getrockneten Datteln, neben denen Wasserflaschen stehen.

Essen und Getränke sind unangetastet. Noch ist die Sonne nicht untergegangen, auch wenn sie sich hinter grauen Wolken versteckt. Am 6. Juni hat für gläubige Muslime der islamische Fastenmonat Ramadan begonnen. Enthaltsam leben, zwischen Sonnenaufgang und Sonnenuntergang weder essen noch trinken, dieser Regel folgen auch in Deutschland viele der rund vier Millionen hier lebenden Muslime. Erst am Abend darf wieder gegessen werden, was traditionell als "Iftar", als Fastenbrechen zelebriert wird.

Nachbar Gauck

In den vergangenen Jahren hat sich an immer mehr Orten in Deutschland der Brauch entwickelt, das Fastenbrechen öffentlich und als gemeinsames Fest von Muslimen und Nichtmuslimen zu feiern. Gläubige, aber auch ihre Kollegen, Freunde und Nachbarn treffen sich bei Sonnenuntergang, um gemeinsam zu essen und zu trinken – und zu reden.

Bundespräsident Joachim Gauck sitzend, im Vordergrund zwei Frauen. Copyright: picture-alliance/dpa/J. Carstensen
Essen, trinken und miteinander reden, um Vorurteile abzubauenBild: picture-alliance/dpa/J. Carstensen

In Moabit haben Moscheen und christliche Kirchen, aber auch Nachbarschaftsvereine dazu eingeladen. Auch den Bundespräsidenten. Joachim Gauck ist gerne gekommen. "Ich komme heute nicht nur als Bundespräsident, ich komme als Nachbar zu Ihnen", sagt das deutsche Staatsoberhaupt.

Angesichts der gesellschaftlichen Polarisierung findet es Joachim Gauck wichtiger denn je, dass Muslime und Nichtmuslime aufeinander zugehen. "Begegnung zu fördern, ist besonders wichtig in einer Zeit, in der sich auch gegenseitiges Misstrauen verbreitet." Nach den Gräueltaten islamistischer Gruppen im Nahen Osten und in Afrika sowie nach den terroristischen Anschlägen in europäischen Hauptstädten habe sich bei vielen Menschen das Gefühl einer alltäglichen Bedrohung eingestellt. "Und bei manchen ist die Angst vor dem islamistischen Terror zu einer Angst vor den Muslimen geworden."

Terroristen das Handwerk erschweren

Auf der anderen Seite würden aber auch viele Muslime am Willen der westlichen Gesellschaften zu einem gleichberechtigten Miteinander zweifeln, "weil sie sich diskriminiert und durch einen Generalverdacht ausgegrenzt sehen". Eine Entwicklung, der der Bundespräsident nicht tatenlos zusehen will. Misstrauen und Distanz müssten abgebaut werden, fordert er und erntet dafür den Applaus der Zuhörer. Zunehmend höre er aber auch auf muslimischer Seite Stimmen, die gegen die fundamentalistische Lesart des Koran ihr friedliches Religionsverständnis setzten. Dies sei eine wichtige Botschaft auch für die Andersgläubigen.

Unter Nichtmuslimen registriere er, wie verstärkt um Toleranz für andere Lebensstile und Glaubensrichtungen geworben werde, während die Kritik an extremistischen Glaubensformen nicht länger gescheut werde, sagt Gauck. Dies sei eine Unterstützung für die friedliebenden Muslime, die in der Gesellschaft die weit überwiegende Mehrheit darstellten. "Und es erschwert jenen das Handwerk, die den Islam missbrauchen, um abscheuliche Verbrechen zu rechtfertigen."

Moschee-Gemeinden tragen Verantwortung

Ähnliche Worte findet auch Imam Abdallah Hajjir. Er spricht von der Verantwortung der Menschen, das Viertel, in dem sie gemeinsam leben, voran zu bringen "und unsere Gesellschaft vor Terror, Terroristen, Aggression und Gewalt zu schützen". Entgegen vieler Vorurteile würden die Moschee-Gemeinden dabei eine große Rolle spielen, betont der Imam. "Wir sehen uns als sozialen Akteur mit Rechten und Pflichten." Das müsse man erkennen, aber auch anerkennen. "In einer Moschee wird nicht nur gebetet, sondern eine Moschee ist auch Zentrum für das gesellschaftliche Leben", sagt Hajjir.

Frauen an einem Tisch, vor ihnen Teller mit Obst. Copyright: Getty Images/AFP/J. Macdougall
19 Stunden liegen derzeit in Berlin zwischen Sonnenaufgang und SonnenuntergangBild: Getty Images/AFP/J. Macdougall

Um 21.30 Uhr ist es schließlich soweit. Die Sonne ist untergegangen und damit neigt sich für die fastenden Muslime ein langer und enthaltsamer Tag dem Ende zu. Auch Joachim Gauck greift zu Datteln und Obst und freut sich über zwei kleine Mädchen, die sich zwischen den Bänken hindurch drängen und ein "Selfie" mit dem Bundespräsidenten machen wollen. Dem gemeinsamen Iftar-Essen misst Gauck große Symbolkraft zu. "Diese Art von gegenseitiger Neugier, gegenseitiger Empathie und gegenseitigem Vertrauen ist im nachbarschaftlichen Umfeld Vorbild für das, was wir uns für unser Land als Ganzes wünschen: ein friedliches Miteinander von Verschiedenen."