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Ein Visionär des Kinos - Rainer Werner Fassbinder

Jochen Kürten10. Juni 2012

30 Jahre nach seinem Tod erscheint die erste Biographie über den Filmemacher. Der Publizist Jürgen Trimborn über die Filme und das Leben eines arbeitswütigen Regieberserkers.

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Filmemacher Rainer Werner Fassbinder in einer Filmszene in Kamikaze (Foto: dapd/AP Photo/Filmverlag der Autoren)
Bild: dapd

Deutsche Welle: Wie erklären Sie es sich, dass über Fassbinder bisher keine unabhängige Biographie verfasst worden ist - obwohl er doch im In- und Ausland als der wichtigste deutsche Filmemacher nach dem 2. Weltkrieg gilt?

Jürgen Trimborn: Als Fassbinder vor dreißig Jahren im Alter von nur 37 Jahren starb, gab es sehr viele langjährige Weggefährten, die Auskunft über den Regisseur geben konnten und dies auch sehr gern taten, indem sie bereitwillig Interviews gaben. Oder - wie Harry Baer, Peter Berling oder Kurt Raab - auch ganze Bücher über Fassbinder schrieben. Insofern war es verständlich, dass erst einmal der sehr persönliche, subjektive Zugang zu Fassbinder von Interesse war. Danach geriet Fassbinder beim breiten Publikum dann überraschend schnell in Vergessenheit, so dass er zum Gegenstand der Filmgeschichtsschreibung wurde. Filmhistoriker begannen umfangreiche Bücher und Studien über Fassbinders Filme zu verfassen, die sich allerdings eher an ein cineastisches Nischenpublikum richteten.

Repräsentant einer ganzen Generation

Mein Ansatz war es deswegen mit dem zeitlichen Abstand von drei Jahrzehnten zu schauen, was diesen außergewöhnlichen Filmemacher ausmachte, wie er es damals geschafft hat, den deutschen Film für kurze Zeit aus der Krise zu führen, dem deutschen Film ein neues Starsystem zu schenken und ihm für kurze Zeit zu internationaler Beachtung zu verhelfen. Ich betrachte Fassbinder als Repräsentanten einer ganzen Generation und versuche ihm, wenn ich ihn durchaus auch mit all seinen problematischen Seiten zeige, den Platz zurückzugeben, der ihm gebührt - als wichtigster deutscher Filmemacher der Nachkriegszeit und als Chronist deutscher Befindlichkeiten.

Was fasziniert an seinen Filmen noch heute - in Deutschland?

Buchcover der Fassbinder-Biografie «Ein Tag ist ein Jahr ist ein Leben» (Foto: Propyläen Verlag)
Bild: picture-alliance/dpa

Ich denke, dass es wirklich an der Zeit wäre, Fassbinder wiederzuentdecken. Heute ist es ja so, dass die Feuilletons zu jedem runden Geburtstag und Todestag an Fassbinder und die Bedeutung, die er einst für den Film hatte, erinnern. Aber kaum jemand kennt die Filme, ganz zu Schweigen vom sehr umfangreichen Gesamtwerk Fassbinders. Wenn man sich aber wirklich auf Fassbinder einlässt und seine Filme schaut, merkt man schnell, wie viel er uns auch heute noch zu sagen hat, wie aktuell seine Werke immer noch sind, und wie viel man aus ihnen auch über dieses Land lernen kann. Fassbinder war seiner Zeit weit voraus und hat visionäre Werke geschaffen. Ich erinnere nur an den TV-Zweiteiler "Welt am Draht", in dem er sich Anfang der 1970er Jahre bereits mit der heutigen Cyberwelt auseinandergesetzt hat. Die besondere Faszination an Fassbinder ist meines Erachtens, dass er - ähnlich wie Balzac in seiner "Menschlichen Komödie" - den Versuch unternommen hat, die ganze jüngere deutsche Vergangenheit und Gegenwart in seinen Filmen zu repräsentieren.

Er verhalf dem deutschen Kino zu Weltruhm

...und im Ausland, da waren die Reaktionen ja durchaus unterschiedlich?

Als Fassbinder-Retrospektiven in Paris und in New York gezeigt wurden, waren diese wirklich große Erfolge. Ein deutscher Kritiker schrieb einmal, dass man im Ausland niemanden erklären müsse, wer Fassbinder sei, während man das in Deutschland mittlerweile tatsächlich tun muss - gerade jüngeren Leuten sagt Fassbinder ja kaum noch etwas. Aber man darf natürlich nicht aus den Augen verlieren, dass es auch im Ausland heute vor allem Cineasten sind, die sich noch mit Fassbinder beschäftigen und seine Filme zu Meisterwerken der Filmgeschichte zählen. Aber dass Fassbinder es seinerzeit geschafft hat, mit seinen Filmen eine solche internationale Aufmerksamkeit zu erregen, dass war durchaus schon sehr beachtenswert. In den 1970er Jahren gab es kein New Yorker Filmfestival, auf dem nicht der neueste und mit Spannung erwartete Fassbinder-Streifen lief. Während der deutsche Film nach 1945 - in den Jahren bevor Fassbinder die Bühne betrat - auf internationaler Ebene kaum Beachtung gefunden hat, galt das bundesdeutsche Kino mit einem Mal als eines der interessantesten der Welt - dank Fassbinder.

Sie erinnern auch wieder an die unfassbare Arbeitswut Fassbinders - wie ist das heute im Rückblick zu erklären?

Jürgen Trimborn (Foto: dpa)
Jürgen TrimbornBild: picture-alliance/dpa

Fassbinders wirklich erstaunliche Arbeitswut und sein enorm großer Ausstoß an Filmen ist einerseits natürlich nur durch die unglaubliche Willenskraft des Regisseurs zu erklären. Fassbinder war schon in sehr jungen Jahren davon überzeugt, dass ihm kein langes Leben beschieden sein würde. Da er aber dennoch den unbedingten Willen hatte, als Filmemacher ein großes Werk zu hinterlassen, hat er sich selbst und seine gesamte Umgebung zu Höchstleistungen angetrieben. Bei Dreharbeiten war er unglaublich konzentriert und höchst professionell, was er auch von all seinen Mitarbeitern erwartete. Das führte dazu, dass es ihm gelang, ganze Filme in ein oder zwei Wochen abzudrehen. Ständig, quasi ohne Unterlass, entwickelte er neue Ideen, neue Filmstoffe. Er hat sich regelrecht einen Spaß daraus gemacht, so schnell zu arbeiten und hatte den Anspruch, dass die Kritiker mit dem Besprechen seiner Filme gar nicht mehr nachkommen sollten. Er wollte ganz bewusst mehr Filme drehen, als jeder andere Regisseur.

Tiefer Einschnitt nach dem Theaterskandal

Der Skandal um Fassbinders Theaterstück "Der Müll, die Stadt und der Tod" von 1975 - als man Fassbinder antisemitische Einstellungen vorwarf - wird von Ihnen ja als Bruch in der Karriere beschrieben. Was ist da mit Fassbinder passiert?

Der Skandal um "Der Müll, die Stadt und der Tod" war sicherlich ein sehr einschneidendes Ereignis in Fassbinders Leben und Karriere - vielleicht das einschneidenste. Fassbinder galt von Beginn an als umstritten, als "Bürgerschreck". Es gab viele, die ihn nicht mochten, manche, denen seine Arbeitswut suspekt war. Aber kaum jemand konnte ihm absprechen, dass er ein Genie des Films war - erst recht nicht, als der große internationale Erfolg kam, die Anerkennung in Cannes mit "Angst essen Seele auf", der enorme finanzielle Erfolg mit "Die Ehe der Maria Braun", die Anerkennung der wichtigsten amerikanischen Filmkritiker. Aber das Desaster in Frankfurt traf ihn wirklich hart, fühlte er sich doch als Künstler in Frage gestellt.

Besonders schlimm war es für ihn, dass man bereits fest zugesagte Projekte, wie etwa die Verfilmung von Gustav Freytags Roman "Soll und Haben", an die er sehr viel Herzblut gehängt hatte, wieder absagte, weil man ihm vorwarf, Antisemit zu sein. Dass wichtige Projekte scheiterten, er sein Theaterstück nicht auf die Bühne bringen konnte, die Buchausgabe vom Suhrkamp-Verlag eingestampft wurde. All das führte dazu, dass er sich ernsthaft mit Auswanderungsplänen trug, immer wieder ankündigte, nach Paris oder New York zu gehen und in Deutschland nicht mehr arbeiten zu wollen. Es führte auch zu seinem Absturz. Genau zu diesem Zeitpunkt fing er an, Unmengen von Kokain zu nehmen, immer mehr Schmerz- und Aufputschmittel zu konsumieren und seinen Körper systematisch zu ruinieren. Man kann schon sagen, dass er sich nach der ihn zutiefst erschütternden Frankfurter Erfahrung auf der Schussfahrt ins Verderben befand, die schließlich in seinem frühen Tod endete.

Rainer Werner Fassbinder und Hanna Schygulla (Foto: AP Photo/Edwin Reichert)
Fassbinder und seine Muse Hanna SchygullaBild: AP

Das Gespräch führte Jochen Kürten

Jürgen Trimborn: "Ein Tag ist ein Jahr ist ein Leben. Rainer Werner Fassbinder. Die Biographie." Propyläen Verlag Berlin 2012, 464 Seiten, 22,99 Euro, ISBN 978 3 549 07426 8.