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Fall ohne Beispiel

Heinrich Bergstresser7. Mai 2002

Der Internationale Strafgerichtshof - das völkerrechtlich wichtigste Vertragswerk seit Gründung der UNO und der Menschenrechtserklärung - findet ohne die USA statt. Ein Kommentar von Heinrich Bergstresser.

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Das Völkerrecht sieht die Rücknahme einer geleisteten Unterschrift nicht vor. Die Bush-Administration musste dies mit der Formulierung umgehen, nicht Teil des Gründungsvertrages des Internationalen Strafgerichtshofs werden zu wollen. Denn nur so ergeben sich keinerlei rechtliche Verpflichtungen aus der geleisteten Unterschrift seines Vorgängers Bill Clinton. Dies ist ohne Beispiel in der Geschichte des Völkerrechts, und die formaljuristischen Feinheiten werden Völkerrechtlern sicherlich noch mancherlei Kopfschmerzen bereiten.

Wichtiger aber sind die politischen Implikationen: Denn die US-Regierung hat sich mit ihrer Haltung - vorsätzlich - außerhalb der internationalen Staatengemeinschaft gestellt. Und sie glaubt dabei auch noch, ihre Rechtsvorstellungen und ihr Modell einer neuen Weltordnung durchsetzen zu können, wie es ihr gerade beliebt.

Dies ist nicht mehr als die Arroganz der Macht, mit der die USA in den 1970-er Jahren in Vietnam schon einmal grandios gescheitert sind. Diesmal boykottieren sie wider besseren Wissens ein großes Projekt zur Zivilisierung der Weltgemeinschaft und greifen wiederum zum schlechtesten aller Ratgeber: zur Arroganz der Macht.

Dies entspricht der restaurativen und konservativ-reaktionären Grundströmung der politischen Klasse im Weißen Haus, im Pentagon und im Kongress auf dem Capitol Hill. Diese politische Klasse schaut seit dem Amtsantritt von Georg W. Bush auf den Rest der Welt und besonders auf Europa herab.

Solana, Fischer und Putin erfahren dies fast täglich, auch wenn sie dies mit "Wahrnehmungsdifferenzen" und "Irritationen" diplomatisch verklausuliert umschreiben. Aber die Hardliner in den USA scheinen vergessen zu haben, dass sich wahre Stärke auf Dauer an der Achtung des Rechts und engen Zusammenarbeit der internationalen Staatengemeinschaft festmacht - und nicht an der politisch-militärischen Brechstange.

Auch die Supermacht USA kann nicht permanent beliebig viele Einsatz-Kommandos aus dem Boden stampfen, um die vielen politischen Brandherde zu löschen, die ihrer Meinung nach nur Amerikaner löschen können. Allein der politische Spagat im Nahen und Mittleren Osten übersteigt auf Dauer selbst die Einflussmöglichkeiten der USA.

Denn es gibt wohl kaum einen größeren - und letztlich unauflöslichen - Widerspruch in der US-Außenpolitik: zu glauben, den Konflikt zwischen Israel und den pro-amerikanischen arabischen Staaten unter Kontrolle halten zu können. Diese Lektion muss erst noch gelernt werden, bevor in Washington wieder politische Vernunft und Weitsicht Einzug halten kann.

Der Ausstieg aus dem Vertragswerk über den Internationalen Strafgerichtshof trägt einen Hauch von Absurdität. Denn nun steht das demokratische Amerika - das spätestens seit dem Zweiten Weltkrieg die Verteidigung und Verbreitung der Demokratie und der Menschenrechte auf seine Fahnen geschrieben hat - Seite an Seite mit reaktionär-repressiven Staaten: China, Pakistan, Saudi Arabien und - mit Abstrichen - Indien, die den Vertrag erst gar nicht unterschrieben haben.

Dies sagt mehr aus, als die zurzeit extrem verengte außenpolitische Sichtweise Washingtons. Sie belegt eine zutiefst inkonsistente und sprunghafte Politik, die sich nur aus diffusem Allmachtsglauben speist, genährt durch die Arroganz der Macht. Dies führt mit Sicherheit nicht zu einer stabilen Weltordnung nach den Vorstellungen der USA.