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Politik

Wem gehört mein digitales Erbe?

31. Mai 2017

In Berlin hat ein Elternpaar das soziale Netzwerk Facebook verklagt, um Zugriff auf das Konto der toten Tochter zu erhalten. Die entscheidende Frage lautet: Sind digitale Inhalte genauso vererbbar wie analoge?

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Gesichtserkennung Der Schriftzug Facebook spiegelt sich auf dem Auge eines Mannes
Bild: picture-alliance/dpa

Wenn das eigene Kind vor einem stirbt, ist das für die Eltern verheerend genug. Eine Mutter in Berlin muss seit dem Tod ihrer Tochter zusätzlich einen zähen Rechtsstreit ausfechten. Weil die Jugendliche unter bis heute ungeklärten Umständen starb, erhofften sich die Eltern vom ihrem Facebook-Account Antworten. Um Zugriff zu erhalten, verklagten sie das soziale Netzwerk.

Im April begann der Berufungsprozess vor dem Berliner Kammergericht. Die Richter schlugen einen Vergleich zwischen Simone W. und dem Social-Media-Riesen vor und gaben beiden Parteien zwei Wochen Bedenkzeit - ohne Ergebnis.

Die Tochter von Simone W. war vor fünf Jahren vor eine in den Bahnhof einfahrende U-Bahn gestürzt. Bis heute wissen die Eltern nicht, ob es Suizid war. Um Gewissheit zu erlangen und mehr über die Hintergründe zu erfahren, wollen sie Zugriff auf die Posts und Nachrichten bekommen, die ihre Tochter über Facebook abgeschickt hat.

Posts sind keine Postkarten

Die entscheidende Frage ist, ob die Eltern die digitalen Konten ihrer Tochter genauso erben wie ihren analogen Besitz. In einem ersten Prozess 2015 urteilte das Berliner Landgericht zugunsten der Eltern und stellte fest, dass diese gegenüber ihrer Tochter erbberechtigt seien. Sie ordneten an, Facebook müsse ihnen Zugriff auf das Konto gewähren. Und - so die Richter - Digitales müsse wie analoger Besitz behandelt werden, ansonsten entstünde ein Widerspruch: Dann wären Dinge wie Briefe und Tagebücher unabhängig von ihrem Inhalt vererbbar - E-Mails und private Facebook-Posts aber nicht.

Deutschland Fotoalbum mit Hochzeitsfoto
Das gute alte Fotoalbum: Früher bewahrte man Erinnerungen darin auf. Heute werden Aufnahmen auf Computern oder bei Facebook gespeichert - manchmal für die Hinterbliebenen unzugänglichBild: Fotolia/Brigitte Bohnhorst

Sie argumentierten zudem, dass der Facebook-Zugriff nicht die Persönlichkeitsrechte der Tochter verletze, da Eltern, wenn die Kinder minderjährig seien, ein Recht darauf hätten zu wissen, was diese online machten.

Facebook ging gegen das Urteil in Berufung. Vertreter des US-amerikanischen Unternehmens sagten, die Entscheidung betreffe schließlich auch jene Nutzer, die mit dem Mädchen in Kontakt gestanden hatten und davon ausgegangen seien, dass die Unterhaltungen privat blieben.

Es ist ein Thema, das Experten auch unabhängig von dem Fall in Berlin beschäftigt. "Ich kann die Wünsche der Familie verstehen, nachdem jemand gestorben ist, Zugang zu den Konten zu bekommen", sagte Elke Brucker-Kley, Dozentin für IT-Service-Management an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften in der Schweiz der DW in einem früheren Interview.

"Die andere Frage ist: Ist der Plattform-Betreiber oder der Betreiber eines Services überhaupt dazu berechtigt, den Zugriff zu erlauben? Die tote Person hatte bei einem sozialen Netzwerk wie Facebook womöglich einen Freundeskreis, der mit ihr Daten ausgetauscht hat, nicht aber mit den Verwandten."

Digitaler Gedenkzustand

Die Frage, was mit unserem digitalen Vermächtnis einmal passiert, wird immer relevanter. Besonders eifrige Facebook-Nutzer haben zum Teil Tausende Fotos und Videos, die mit ihrem Namen verlinkt sind. Manche davon wurden von anderen Menschen gemacht und nicht auf einem Computer des Verstorbenen gespeichert, zu dem die Familie Zugang hat. Auch Teil des digitalen Vermächtnisses: Tweets, Status-Updates und Instagram-Geschichten, die von alltäglichen Ereignissen bis zu wichtigen Dinge reichen, wie die Uni-Zusage oder Heiratsanträge. Einige Nachrichtenverläufe bei Facebook gehen über Jahre zurück. Sie sind detaillierte Dokumente, die manchmal zeigen, wie zwei Menschen sich einander verliebt haben oder sich von Bekannten in beste Freunde entwickelt haben, die ihre größten Geheimnisse miteinander teilen. Was soll mit all dem nach unserem Tod passieren?

Facebook hat verschiedene Vorkehrungen getroffen, damit Nutzer auch nach ihrem Ableben die Kontrolle über ihre Aktivitäten in den sozialen Medien behalten. Eine Möglichkeit ist, das Konto nach dem Tod für immer löschen zu lassen. Dies lässt sich jederzeit mit ein paar Klicks einrichten. Die weniger endgültige Wahl ist die, das Konto in eine Art Gedenkzustand zu versetzen. Stirbt ein Nutzer, erscheint neben seinem oder ihrem Namen fortan immer "In Erinnerung". Freunde und Familie können dann auf einer Timeline Erinnerungen teilen. Die Daten des Nutzers vor seinem Tod bleiben auf Facebook.

Virtueller Friedhof im Internet neu
Das gab es mal - einen virtuellen Friedhof namens "Memopolis"Bild: picture-alliance/ dpa

Der größte Unterschied zwischen dem Account einer toten und einer lebenden Person ist: Niemand kann sich in das Konto im Gedenkzustand einloggen. So war es auch in jenem Fall, der gerade in Berlin verhandelt wird. Die Eltern des toten Mädchens hatten ihrer Tochter, als die 14 war, erlaubt, sich ein Facebook-Profil anzulegen - unter der Bedingung, dass sie ihnen das Passwort gab. Als die Mutter aber versuchte, sich einzuloggen, befand sich das Konto der Tochter bereits im Gedenkzustand. Es ist unklar, wer das ausgelöst hat.

Facebook-Nutzer können eine Art Nachlassverwalter benennen, also eine Person, die ihr Konto, nachdem es im Gedenkzustand ist, verwaltet. Dazu muss der Nutzer älter als 18 Jahre sein. Das verstorbene Mädchen in Berlin hatte diese Möglichkeit nicht - es war bei seinem Tod erst 15.

Für die Mutter wäre aber auch das nicht sonderlich hilfreich gewesen, denn ein Facebook-Nachlasskontakt kann nur wenige Dinge tun. Zum Beispiel kann er oder sie ein neues Profilbild für den Verstorbenen erstellen oder einen Beitrag verfassen, wie einen Hinweis auf eine Gedenkveranstaltung. Und: Alte Posts und Fotos darf er nicht archivieren. Sich beim Konto des Verstorbenen anmelden oder seine Nachrichten zu lesen, ist ihm nicht gestattet. Und genau das ist es, was die Mutter im Berliner Fall durchsetzen will.

"Falls ich sterbe"

Wer auch nach seinem Tod das letzte Wort haben will: Es gibt eine Facebook-App, die sich "If I die", also "Falls ich sterbe" nennt. Darüber können Nutzer eine letzte Nachricht eingeben, die nach ihrem Tod erscheint. Eine Möglichkeit, die aber nur für jene interessant sein dürfte, die Zeit haben, sich Gedanken zu machen und nicht für die, die ganz plötzlich sterben. Die "If-I-die"-Nutzer können einen Text schreiben oder ein kurzes Video hochladen. Veröffentlicht werden diese Inhalte erst, nachdem drei Bevollmächtigte, die zuvor bestimmt werden mussten, den Tod bestätigt haben.

Egal was man tut: Damit das digitale Vermächtnis auch verwaltet wird, muss man die nötigen Vorkehrungen getroffen haben. Viele junge Leute machen das höchstwahrscheinlich nicht, sagt die Dozentin für IT-Service-Managemet Brucker-Kley. "Die Nutzer, die ein bedeutendes digitales Erbe haben, das ihnen persönlich wichtig ist, denken oft nicht über ihre Sterblichkeit nach oder über das, was sie hinterlassen. Ein digitales Vermächtnis steht auf ihrer Liste nicht ganz oben."

Im Prozess vor dem Berliner Kammergericht wird an diesem Mittwoch ein Urteil erwartet - es dürfte wegweisend sein.

Carla Bleiker
Carla Bleiker Redakteurin, Channel Managerin und Reporterin mit Blick auf Wissenschaft und US-Politik.@cbleiker