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Für die Adivasi gibt es kein Zurück

Priya Esselborn8. Juli 2005

Für die Adivasi, indische Ureinwohner, ist die Natur die Quelle ihrer Kultur und ihrer Religion. Sie leben abgeschieden und gelten in Indien als primitive Außenseiter. Aber brauchen diese Menschen Entwicklungshilfe?

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Ein Leben in Abgeschiedenheit - nochBild: AP

70 Millionen Adivasi gibt es in Indien, das ist ein Drittel aller indigenen Völker der Welt. Den Santals, dem größten Adivasi-Stamm Indiens, bedeutet die eigene Kultur alles. Drei Millionen Santals gibt es, verteilt über die Bundesstaaten West-Bengalen, Bihar, Orissa und Jharkand. Ihr Lebenskonzept ist simpel: Wer körperlich gesund ist, dem wird die Natur schon das Lebensnotwendige zur Verfügung stellen.

Behaglicher zu wohnen, Lesen und Schreiben zu lernen, die Ernte durch eine bessere Planung der Ressourcen zu steigern - derartige Wünsche sind den Santals völlig fremd. Sie versorgen sich selbst und sind zufrieden mit dem Wenigen, das sie besitzen. Dadurch haben sie kaum Kontakt zu Menschen außerhalb ihrer Gemeinschaft.

Ureinwohner Adivasi Minderheit in Indien
Die Adivasi bekamen internationale Unterstützung in Bangladesch beim Welttag der Indigenen Völker 2004Bild: AP

"Sie reden nur und sind irgendwann weg"

Entwicklungshelfer gelten als Spione und Missionare, die nur an ihren eigenen Nutzen denken. "Wenn eine Organisation aus der Stadt in unsere Dörfer kommt, arbeiten sie in einem Projekt für fünf bis sechs Jahre", erklärt Boro Baski, ein Santal. "Sie müssen das dafür zur Verfügung gestellte Geld ausgeben und den Plan umsetzen, der in Städten wie Delhi und Kalkutta weit weg aufgesetzt wurde. Sobald das Geld zu Ende ist, verlassen die qualifizierten Mitarbeiter - wie Lehrer und Sozialarbeiter - das Dorf." Deshalb würden die Dorfbewohner glauben, dass diese Organisationen nicht wirklich an ihnen interessiert seien. "Sie schwingen nur Reden, schreiben ihre Berichte und sind dann irgendwann weg."

Ein-Mann-Entwicklungshilfe

Ureinwohner Adivasi Minderheit in Indien
Die Adivasi leben weitgehend unabhängig. Doch mit der Entwicklungshilfe kommen andere Kulturen auf sie zuBild: AP

Das tiefe Misstrauen und die Mentalität, sich nichts von außen vorschreiben lassen zu wollen, musste auch der deutsche Schriftsteller und Übersetzer Martin Kämpchen überwinden. Er besuchte 1984 zum ersten Mal das Santal-Dorf Ghosaldanga in Westbengalen. Seitdem fördert er dort die Schulausbildung, er verbesserte die medizinische Versorgung und unterstützte die Dorfbewohner bei der besseren Nutzung ihrer natürlichen Ressourcen.

"Mein Konzept war, die Menschen im Dorf zu identifizieren, die das Dorf anführen können", erklärt Kämpchen. "Das müssen junge Menschen sein, die noch bildungsfähig und entwicklungsfähig sind." Kämpchen betont, dass er das Konzept der Hilfe zur Selbsthilfe ernst nehme und sich zurückziehe, "sobald die Menschen so selbstständig geworden sind, dass sie auf mich nicht mehr angewiesen sind."

Gebildete kommen nicht zurück

Doch auch diese alternative Form der Entwicklungshilfe hat ihre Tücken. Denn Santals mit einer Schul- und Universitätsausbildung erkennen schnell die Grenzen ihrer eigenen Kultur, eine Rückkehr in ihr altes Leben wird so unmöglich. "Das Konzept der Entwicklung, Fortschritt in Bereichen wie Gesundheit, Bildung und Wirtschaft zu erzielen, steht in absolutem Gegensatz zu den Santals", sagt der Santal Gokul Hansda. "Deshalb haben wir gesehen, dass sich diejenigen Santals mit Schulausbildung von ihrer Gemeinschaft entfremdet und diese verlassen haben. Sie haben sich dem Mainstream zugewandt, ohne Verbindung zwischen den beiden Welten." Für ihn ist das der Preis des Fortschritts.

Öffnen, ohne sich aufzugeben

Doch warum müssen die Santals überhaupt wählen? Muss ihnen ein Konzept von außen auferlegt werden, das gegenläufig zu ihren uralten Traditionen ist? "Im Zuge der weltweiten Globalisierung müssen auch wir uns mit anderen Menschen mischen, andere Kulturen akzeptieren", findet Boro Baski. "Das heißt nicht, dass wir unsere eigene Kultur aufgeben sollen. Zuerst müssen wir unsere eigene Kultur verstehen und die positiven Aspekte erkennen" - zum Beispiel die Gemeinschaft, das Leben im Einklang mit der Natur, die positive Schlichtheit der Stammesvölker und die Ehrlichkeit. "Das müssen wir unbedingt erhalten. Gleichzeitig müssen wir aber auch die positiven Aspekte anderer Kulturen außerhalb unseres Dorfes annehmen."