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"Für das Unrecht, das uns angetan wurde"

30. Juli 2004

- Gdinger Verband der Zwangsausgesiedelten will von Kanzler Schröder "Wiedergutmachung und eine Entschuldigung" fordern

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Warschau, 30.7.2004 GAZETA WYBORCZA, poln.

Ehemalige Einwohner von Gdynia (Gdingen), die 1939 zwangsausgesiedelt wurden, fordern von der deutschen Regierung eine Wiedergutmachung und eine Entschuldigung für das Unrecht, das ihnen angetan wurde. Sie kündigen an, ihr Recht beim Europäischen Gerichtshof in Straßburg einzuklagen.

Der Verband der Zwangsausgesiedelten Einwohner von Gdynia (SWS) übergab am Mittwoch (28.7.) dem deutschen Generalkonsulat in Gdansk (Danzig) ein entsprechendes Schreiben, das an den deutschen Bundeskanzler Gerhard Schröder gerichtet ist, der am kommenden Sonntag (1.8.) an den Feierlichkeiten zum 60. Jahrestag des Warschauer Aufstandes teilnehmen soll. Der Bundeskanzler wird bei seiner Ankunft in Warschau u.a. mit Transparenten dieses Verbandes begrüßt werden.

Zum Verband der Zwangsausgesiedelten Einwohner von Gdynia gehören zirka 600 Personen. Alle Mitglieder waren höchstens im Teenageralter, als im Herbst 1939 die große Aussiedlungsaktion begann, der mehrere tausend Menschen zum Opfer fielen. "Die deutschen Besatzer schrieben der Stadt Gdynia eine besondere Rolle zu und wollten hier einen großen Stützpunkt der Kriegsmarine errichten. Deswegen durften in der Stadt keine Polen mehr wohnen. Im September und Oktober 1939 begannen die großangelegten Zwangsaussiedlungen, die sich vor allem auf alte Menschen, Frauen, Kinder und Behinderte erstreckten. Die betroffenen Menschen hatten 15 Minuten Zeit, um sich anzuziehen und 15 kg an persönlichen Sachen zu packen. Der Schlüssel sollte in der Tür stecken", so schildern die Mitglieder des Verbandes ihr Schicksal in dem Brief an den deutschen Bundeskanzler.

Die geräumten Wohnungen wurden dann von Deutschen besetzt, die nach Gdynia zur Arbeit auf der Werft und dem Stützpunkt der Kriegsmarine kamen, oder von Personen, die die Volksliste unterschrieben hatten. Manche der Zwangausgesiedelten wurden dann zur Zwangsarbeit verschleppt, andere versteckten sich während des ganzen Krieges.

"Wir fordern eine Entschuldigung von der deutschen Regierung und eine Wiedergutmachung für das Unrecht, das uns angetan wurde", sagt Benedykt Wietrzykowski, der Vorsitzende des Verbandes der Zwangsausgesiedelten Einwohner von Gdynia und fügt hinzu: "Wir haben nicht nur die besten Jahre unseres Lebens verloren, sondern auch unsere Elternhäuser. Als wir zurückkamen, waren diese Häuser entweder geplündert und ruiniert, oder ausgeraubt und zwar von denjenigen, die 1945 aus der Stadt an Bord des Schiffes "Wilhelm Gustloff" flohen. Das Haus und zwei Geschäfte meines Vaters wurden durch einen Volksdeutschen besetzt, der nach dem Krieg rehabilitiert und zu einem Aktivisten der Polnischen Arbeiterpartei (PPR) wurde. Uns ist es nicht gelungen, unsere Immobilen von ihm zurückzubekommen".

"Wir wollen die Feierlichkeiten zum 60. Jahrestag des Warschauer Aufstandes auf keinen Fall stören. Wir wollen aber den Besuch von Bundeskanzler Schröder dazu nutzen, die polnische und die deutsche Regierung an uns zu erinnern, weil wir zu Opfern der Lücken im Rechtsystem der beiden Staaten geworden sind", erklären die Mitglieder des Verbandes.

Trotz langjähriger Bemühungen wurde den zwangsausgesiedelten Einwohnern von Gdynia keine Entschädigung von der Stiftung "Polnisch-Deutsche Versöhnung" zugesprochen. Die Stiftung vertat die Ansicht, dass der Verlust der Elternhäuser und der Jugend keine Grundlage für die Zahlung einer Entschädigung sei. Das ist aber noch nicht alles: Das Amt für Kombattanten und für Verfolgte will uns den Status der Verfolgten nicht zusprechen. Wenn es das tun würde, könnte jedem von uns ein Zusatz zur Rente in Höhe von 144 Zloty (etwa 32 Euro) im Monat sowie ein Ausweis zustehen, der Ermäßigungen bei Bahnfahrten ermöglicht", so Benedykt Wietrzykowski.

Die Aktivitäten des Verbandes der Zwangsausgesiedelten Einwohner von Gdynia werden von den Abgeordneten aus der Region Pomorze (Pommern) unterstützt: "Wir sollen damit beginnen, auszurechnen, in welcher Weise die Schäden, die die zwangsausgesiedelten Einwohner von Gdynia erlitten haben, von den Deutschen widergutgemacht werden sollten. Diesen Menschen stehen sowohl moralische als auch materielle Entschädigungen zu, sagt Dorota Arciszewska- Mielewczyk von der konservativen Bauernpartei SKL und fügt hinzu: "Wir haben eine romantische Seele, aber unter dem Einfluss der Signale, die aus Deutschland kommen, und die sich z.B. auf die Aktivitäten von Erika Steinbach beziehen, die Entschädigungen für die von den Deutschen verlassenen Güter fordert, sollte damit Schluss sein."

"Das soll ein Signal an die deutsche Regierung werden, dass es auch in Polen Gruppen gibt, die Gründe haben, Forderungen zu stellen. Ich meine, dass Bundeskanzler Schröder diese Geste verstehen wird", sagt Andrzej Rozanski, Abgeordneter und Vorsitzender des Bündnisses der Demokratischen Linken (SLD) in der Region Pomorze. (Überschrift von MD) (sta)