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Militärstreit in der Türkei

30. Juli 2011

Die türkische Armeeführung ist aus Protest geschlossen zurückgetreten. Sie wollten damit ein Zeichen gegen die Politik von Ministerpräsident Erdogan setzen. Dem dürften die Rücktritte allerdings gelegen kommen.

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Generalstabschef Isik Kosaner (Foto: dapd)
Generalstabschef Isik KosanerBild: dapd

Der türkische Präsident Abdullah Gül hat den Rücktritt der Militärspitze als beispiellosen Vorgang bezeichnet. Daraus werde sich jedoch keine Krise entwickeln, sagte er am Samstag (30.07.2011). "Die Entwicklung gestern (Freitag) war außergewöhnlich in ihrem Ausmaß, aber wie man sieht, alles geht seinen Weg. Es gibt kein (Macht)Vakuum", sagte Gül.

Am Freitag waren der Stabschef der türkischen Streitkräfte sowie die Kommandeure der Teilstreitkräfte geschlossen aus Protest gegen die Festnahme etlicher Offiziere zurückgetreten, denen Beteiligung an Vorbereitungen zum Staatsstreich vorgeworfen wird. Viele zweifeln daran, dass es jemals solche Pläne gab und sehen den Prozess als Teil einer Kampagne von Ministerpräsident Recip Tayyip Erdogan gegen das säkulare Militär an. Die Regierung dementierte diese Vorwürfe stets.

Viele Militärs in Haft

Ministerpräsident Erdogan und türkische Offiziere (Foto: dapd)
Ministerpräsident Erdogan hat das Militär seit seinem Amtsantritt geschwächtBild: dapd

Mittlerweile sitzen 250 Offiziere zurzeit in Haft. Darunter sind 42 Generäle, fast ein Zehntel der türkischen Befehlshaber. Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan wirft ihnen vor, in Putschpläne gegen seine Regierung verwickelt zu sein. Die Verhaftungswelle begann im vergangenen Jahr, nachdem die Türken über Erdogans Verfassungsreform abgestimmt hatten. Ein weiterer Streitpunkt: Während die Armee möchte, dass die Offiziere bis zum Abschluss ihrer Verfahren befördert werden können, wünscht die Regierung ihre Pensionierung.

Ex-Generalstabschef Isik Kosaner hatte sich in den vergangenen Tagen mehrfach mit Erdogan getroffen, um vor einer Sitzung des Obersten Militärrats Anfang August eine Einigung in dem Streit zu finden. Auslöser für den Rücktritt am Freitag war dann offenbar, dass 22 weitere Offiziere festgenommen werden sollen, darunter ein hochrangiger Befehlshaber. Türkische Medien berichteten über einen entsprechenden Antrag eines Staatsanwalts.

Das mächtige türkische Militär versteht sich als Hüter des säkularen Erbes von Staatsgründer Kemal Atatürk. Es hat in den vergangenen 50 Jahren mehrfach Regierungen gestürzt. Seit dem Amtsantritt der religiös-konservativen AK-Partei im Jahr 2002 ist die Stellung der Armee aber erheblich geschwächt worden.

Posten werden schnell neu besetzt

Ministerpräsident Erdogan (Foto: dapd)
Ministerpräsident ErdoganBild: AP

Nach dem Rücktritt der Generäle hat die Regierung mit der Umbildung der Militärführung begonnen. Der nun ranghöchste Soldat des Landes, General Necdet Özel, ist zum Oberkommandierenden des Heeres und zum Chef der Bodentruppen ernannt worden. Das geht aus einem Dekret von Erdogan und Staatschef Abdullah Gül vom späten Freitagabend hervor. Präsident Abdullah Gül hat der Ernennung zugestimmt. Das Kabinett könnte Özel noch am Wochenende als neuen Generalstabschef bestätigen.

Am Montag soll über die Besetzung der weiteren vakanten Posten diskutiert werden. Dann tagt turnusgemäß der Oberste Militärrat, der zwei Mal im Jahr zusammenkommt, um wichtige Personalentscheidungen zu fällen. Das Treffen soll wie geplant stattfinden, wie Erdogans Büro ankündigte. Offenbar will der Ministerpräsident die plötzlich vakant gewordenen Schlüsselposten rasch neu besetzen. Experten zufolge hat er nun die Chance, an der Militärspitze Offiziere zu installieren, die seiner Partei mehr gewogen sind.

Autor: Michael Borgers (rtr, dapd, afp)

Redaktion: Marion Linnenbrink, Annamaria Sigrist