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Experten streiten über US-Giftgas-Bericht

Marcus Lütticke31. August 2013

Die US-Regierung ist überzeugt, dass Syriens Machthaber Assad den Giftgaseinsatz anordnete. Experten streiten jedoch über die Stichhaltigkeit der vorliegenden Informationen und die richtigen Schlussfolgerungen daraus.

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Leichen, die in blaue Tücher gehüllt sind (Foto: Reuters)
Bild: Reuters

Für US-Präsident Obama und seinen Außenminister Kerry scheinen die meisten Fragen bereits geklärt zu sein. Am Freitag (30.08.2013) veröffentlichte die Pressestelle des Weißen Hauses einen Bericht, der die vorliegenden Erkenntnisse zusammenstellt: Die US-Regierung gehe mit hoher Sicherheit von einem Raketenangriff mit Nervengas aus, der am 21. August 2013 in Vororten von Damaskus erfolgt und von der syrischen Regierung in Auftrag gegeben worden sei.

Als Quellen werden Nachrichten aus sozialen Netzwerken, im Internet veröffentlichte Videos und Geheimdienstinformationen angeführt. So habe man das Gespräch eines syrischen Regierungsmitarbeiters abgefangen. Er soll darin bestätigt haben, dass das Regime einen Chemiewaffenangriff durchgeführt hat. Außerdem sei durch Satellitenaufnahmen rekonstruiert worden, dass an jenem Tag Raketen aus den von Assad kontrollierten Gebieten abgefeuert wurden. Etwa 90 Minuten nach dem Raketenabschuss tauchten in sozialen Netzwerken die ersten Nachrichten über einen Angriff mit Giftgas auf.

Reaktionen gespalten

John Pike, Gründer der Denkfabrik GlobalSecurity.org, hält die von der US-Regierung gesammelten Indizien bereits für ausreichend, um sich ein Urteil zu bilden. Videos mit so vielen Todesopfern könne man nicht einfach fälschen. Die Geheimdienstinformationen durch Satellitenaufklärung und die abgefangene Kommunikation seien ebenfalls eindeutig. Obama habe nun die Option, mit Raketenangriffen auf Militäreinrichtungen in Syrien zu reagieren.

Ein Satellitenbild vom Baba Amr Bezirk in Homs (Foto: Reuters)
Satelliten liefern den USA Informationen über Syrien, hier sind Teile der Stadt Homs zu sehenBild: REUTERS

Hamadi El-Aouni, Politikwissenschaftler von der Freien Universität Berlin, warnt indes davor, US-Geheimdienstinformationen zu leicht Glauben zu schenken. Vor dem Irakkrieg 2003 habe die US-Regierung schließlich auch angebliche "Beweise" ihrer Geheimdienste vorgelegt, die den Besitz von Massenvernichtungswaffen des Irak untermauern sollten. Am Ende stellten sich diese aber als frei erfunden heraus.

Unzulässige Schlussfolgerungen?

Der jetzige Bericht der US-Regierung enthält auch eine vorläufige Angabe über die Zahl der Opfer: 1429 Menschen seien getötet worden, darunter 426 Kinder. Woher diese Zahlen stammen wird nicht weiter erläutert. Bei der Anzahl der Verletzten wiederum bezieht sich die US-Regierung auf eine "höchst glaubwürdige humanitäre Organisation." Ohne diese namentlich zu nennen übernimmt der Bericht offenbar Angaben von "Ärzte ohne Grenzen". Die Organisation hatte berichtet, dass am 21. August innerhalb von drei Stunden 3600 Menschen mit "neurotoxischen Symptomen" in Krankenhäuser in Damaskus eingeliefert worden seien.

Frank Dörner, Geschäftsführer von Ärzte ohne Grenzen in Deutschland, betont im Gespräch mit der Deutschen Welle jedoch, dass keine Mitarbeiter seiner Organisation selbst vor Ort in Damaskus seien. Lediglich lokale Ärzte in den Krankenhäusern hätten die Zahlen übermittelt.

Der Geschäftsführer von Ärzte ohne Grenzen Deutschland, Frank Dörner (Foto: dpa)
Frank Dörner von Ärzte ohne Grenzen warnt vor voreiligen SchlüssenBild: picture-alliance/dpa

Außerdem könnten die beschriebenen Symptome noch nicht zweifelsfrei auf einen Giftgasangriff zurückgeführt werden. "Wir können in keiner Weise Schlüsse daraus ziehen, was es genau für ein Gift ist, wie es verabreicht wurde und wer dafür verantwortlich ist." Daher sei es wichtig, die Ergebnisse der UN-Inspektoren abzuwarten.

UN-Inspektoren verlassen Syrien

Diese hatten am frühen Samstagmorgen (31.08.2013) Damaskus verlassen. Begleitet werden die UN-Mitarbeiter nach Medienberichten von zwei syrischen Regierungsbeamten, die sicherstellen wollen, dass es nicht zu Manipulationen des gesammelten Materials kommt.

Die Auswertung der genommenen Proben und der vor Ort durchgeführten Befragungen wird voraussichtlich zehn bis 14 Tage dauern. Doch auch dann sind nur Erkenntnisse darüber zu erwarten, ob überhaupt chemischen Waffen eingesetzt wurden, und wenn ja, welche. Die Beantwortung der Frage, wer diese Waffen möglicherweise eingesetzt hat, gehört nicht zum offiziellen Auftrag der Inspektoren.

UN-Insepektoren in einem Krankenhaus in Syrien (Foto: afp)
Die UN-Inspektoren haben auch in Krankenhäusern Befragungen durchgeführtBild: Getty Images/Afp

Russland will Beweise

Der russische Präsident Wladimir Putin forderte die USA auf, ihre Belege für einen Chemiewaffen-Einsatz durch das Regime in Syrien komplett offenzulegen. "Also gut, sollen sie die Beweise den UN-Inspektoren und dem UN-Sicherheitsrat vorlegen. Und wenn sie keine vorzeigen, dann heißt das, dass sie keine haben", sagte Putin.

Obama wollte sich zuletzt noch nicht festlegen, wann und ob er einen Militärschlag gegen das syrische Regime anordnen wird. In den kommenden Tagen soll der US-Kongress darüber entscheiden.