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Interview mit russischem Experten

Das Gespräch führte Wladimir Sergejew19. Februar 2009

Der russische Politologe Dmitrij Oreschkin erläutert im Gespräch mit der Deutschen Welle, warum Präsident Dmitrij Medwedjew sich angesichts der Wirtschaftskrise mit einer eigenständigen Politik absichern möchte.

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Dmitrij OreschkinBild: DW/Sergej Morozow

DW-RADIO/Russisch: Präsident Dmitrij Medwedjew hat erklärt, es sei prinzipiell wichtig, dass die Staatsmacht den Bürgern offen und direkt über den realen Stand der Dinge und die Maßnahmen gegen die Wirtschaftskrise berichtet. Was bedeutet diese Erklärung?

Dmitrij Oreschkin: Medwedjews Erklärung kritisiert indirekt die Regierungsmitglieder, die Probleme im Zusammenhang mit der Krise verschweigen oder behaupten, dass es sich nur um vorübergehende Schwierigkeiten handelt. Man kann darin aber auch den Versuch sehen, sich öffentlich von Wladimir Putins übertrieben positiven Erklärungen zu distanzieren. Ende vergangenen Jahres hatte Putin in einer dreistündigen Fernsehsendung erklärt, es werde allen Staatsbediensteten gut gehen, es werde keine ernsten Probleme mit der Arbeitslosigkeit geben, die Renten würden erhöht und der Bau von Wohnhäusern werde auf keinen Fall reduziert. Angesichts der Folgen der weltweiten Wirtschaftskrise für Russland ist heute aber klar, dass nichts mehr normal sein wird.

Kann man mit Hilfe der staatlichen Medien in der russischen Bevölkerung den Eindruck erwecken, die Regierung bekämpfe die Krise effektiv?

Es ist klar: In zwei, drei Monaten wird es nicht besser sein. Es wird schlechter sein, und die Öffentlichkeit wird natürlich jemanden dafür verantwortlich machen. Der Präsident gibt mit seinen Erklärungen schon jetzt zu verstehen, dass er nicht verantwortlich gemacht werden möchte, dass es logischer wäre, diejenigen verantwortlich zu machen, die für die Wirtschaft zuständig sind, in dem Fall den Premier. So müssen alle sozialen Probleme vom Regierungschef gelöst werden, und damit müssen alle sozialen Ansprüche ihm gegenüber geltend gemacht werden. Der Präsident denkt womöglich, dass, wenn es zu einer sozialen Krise kommt, wenn es zu Massenprotesten kommt, wenn die regionalen Eliten offen ihre Unzufriedenheit äußern, er noch administrative und personelle Vollmachten sozusagen in der Reserve hat, auch bezüglich der Regierung. Das ist neu, wenn man die oft im Fernsehen demonstrierte enge Verbundenheit, Freundschaft und Einigkeit zwischen dem Präsidenten und dem Premier berücksichtigt.

Kann man sagen, dass Medwedjew sich inzwischen in der Rolle des Präsidenten immer sicherer fühlt?

Anzeichen dafür gibt es. Der Präsident beginnt, eine eigene Politik zu verfolgen. Das ist in einer solchen Situation auch unumgänglich. Die Gruppen, die ihn stützen, fordern eine unabhängige Politik. Sie bewerten die Politik der Regierung als nicht effektiv, nicht intensiv und nicht schnell genug. Ob er nun will oder nicht, Medwedjew muss sich zu einer selbstständigen Figur in der Politik verwandeln, wenn er kein Nichts sein möchte, und das will er eben nicht sein. Folglich muss er sich als Medwedjew positionieren, und nicht als Putins Erbe.