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Politik

Brexit gefährdet Frieden in Nordirland

Birgit Maaß cha
14. Dezember 2017

Jonathan Powell war einer der Architekten des Karfreitagsabkommens von 1998, das den Nordirlandkonflikt beendete. Mit dem Brexit steht auch der Friede auf der grünen Insel auf dem Spiel, sagt er im DW-Interview.

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Nordirland Protest gegen den Brexit an der britisch-irischen Grenze
Bild: Getty Images/C. McQuillan

Deutsche Welle: Herr Powell, Sie waren vor 20 Jahren an führender Stelle an den Friedensverhandlungen beteiligt. Sie konnten schließlich Katholiken und Protestanten zur Unterzeichnung des Karfreitagsabkommens zusammenbringen. Sehen Sie das alles jetzt gefährdet?

Jonathan Powell: Ja, ich sehe hier eine wirkliche Gefahr. Die großen Unruhen werden zwar nicht zurückkehren, aber wir sind dabei, die politische Vereinbarung, die wir damals erzielt haben, zu untergraben. Das wäre katastrophal. Wenn man Grenzübergänge braucht, braucht man auch Grenzbeamte, und diese würden zum Ziel von Attentätern. Es würde mehr Anschläge und mehr Chaos geben. Wir haben zwar keinen Bürgerkrieg mehr in Nordirland, aber wir haben noch Gewalt. Heute gibt es sogar mehr Mauern in Belfast, die die Bevölkerungsteile voneinander trennen, als zu der Zeit, als das Karfreitagsabkommen unterzeichnet wurde.

Warum ist die innerirische Grenze bei den Brexit-Verhandlungen ein so großes Hindernis?

Das Problem der Grenze ergibt sich aus der Logik. Wenn unser Land den Binnenmarkt und die Zollunion verlässt und die Republik Irland drin bleibt, wird man eine Grenze brauchen, sonst gäbe es Schmuggel. Es ist Unsinn zu behaupten, wir könnten den Binnenmarkt und die Zollunion verlassen und kämen gleichzeitig ohne Grenze aus.

Großbritannien London Jonathan Powell
Powell: Am Ende werden wir im Binnenmarkt bleibenBild: DW/B. Maaß

Aber die britische Regierung hat kreative und technische Lösungen gefordert. Sie glaubt, trotz Brexits sei eine 'harte' Grenze nicht nötig.

Sie versuchen, der EU die Schuld zu geben, indem sie sagen: "Wir hätten ja gerne diese phantastische Lösung, die sonst nirgendwo auf der Welt existiert, nur leider hält uns die EU davon ab." Aber es gibt keine technische Lösung. Schauen Sie sich die Grenze zwischen (dem Nicht-EU-Mitglied, d. Red.) Norwegen und (dem EU-Mitglied, d. Red.) Schweden an. Mit technischen Mitteln können Sie vielleicht die Abläufe beschleunigen, aber man braucht dann immer noch Grenzübergänge. Lastwagen müssten kontrolliert werden, vor allem an einer Grenze wie der irischen, wo früher viel geschmuggelt wurde.

Das heißt, die britische Regierung versucht, verschiedene Leute von unterschiedlichen Dingen zu überzeugen?

Ja. In ihrer Vereinbarung vergangene Woche haben sie vier einander widersprechende Zusagen gemacht. Den Iren haben sie versprochen, dass es keine 'harte' Grenze geben wird. Den Unionisten von der DUP (von deren Stimmen im Parlament Premierministerin May abhängt, d. Red.) haben sie gesagt, es werde keine Grenze in der Irischen See geben. Den Brexit-Anhängern in ihrer eigenen Konservativen Partei haben sie gesagt, wir würden die Zollunion und den Binnenmarkt verlassen. Und der EU haben sie gesagt, es werde eine "Angleichung der Regeln" kommen, falls es keine andere Vereinbarung gebe. Diese vier Dinge sind nicht miteinander vereinbar. Alles zusammen kann man nicht haben. Wir werden wählen müssen. Entweder man hat eine andere Zollpolitik (als die Iren, d. Red.), dann braucht man auch eine Grenze, oder eben nicht, dann braucht man auch keine Grenze. Das Ganze wird spätestens auseinanderfallen, wenn wir über unsere künftigen Handelsbeziehungen mit der EU reden. Aber noch davor werden sich die Probleme innerhalb der Konservativen Partei zeigen. Für Premierministerin Theresa May wird es äußerst schwierig werden, Vorschläge zu machen, die beide Flügel ihrer Partei zufriedenstellen werden.

Nordirland Britischer Fallschirmjäger 2005
Während der Unruhen wurde die innerirische Grenze streng bewachtBild: picture-alliance/dpa/P. McErlane

Können Sie als Friedensvermittler der Regierung Tipps geben?

Ehrlich zu sein, wenn es darum geht, ein logisches Problem zu lösen. Nicht so zu tun, als gäbe es einen leichten Ausweg, denn das macht einen nur unglaubwürdig. Vor dem Brexit-Referendum haben zwei frühere Premierminister, nämlich Tony Blair und John Major, die auch hinter dem Friedensabkommen standen, vor den Gefahren einer 'harten' Grenze gewarnt, wenn wir für den Brexit stimmen würden. Die Brexit-Befürworter haben das beiseite gewischt und gesagt, das werde kein Problem sein, man werde dafür technische Lösungen finden. Aber die irische Regierung hat klargemacht, es gebe keine technische Antwort, wenn man eine unterschiedliche Zollpolitik habe. Die britische Regierung hat darauf gesagt, andere einfallsreiche Lösungen würden sich finden, aber niemand hat sie ernstgenommen. Das heißt: Wenn man als Unterhändler immer wieder unglaubwürdige Lösungsvorschläge macht, untergräbt man das Vertrauen seines Verhandlungspartners.

Es hat Sie und andere große Anstrengungen gekostet, das Friedensabkommen in Nordirland zustande zu bringen. Was empfinden Sie jetzt?

Es füllt mich mit Verzweiflung. Nordirland hat so lange unser Leben bestimmt. Es war immer in den Schlagzeilen. Es war ein wirklich schlimmer Konflikt, der viele Menschen das Leben gekostet hat, abgesehen von den gewaltigen wirtschaftlichen Kosten. Wenn wir uns wirklich für eine 'harte' Grenze entscheiden, wäre das für Nordirland, das Vereinigte Königreich und die Republik Irland sehr bitter. Ich hoffe, die EU erkennt, dass man das vermeiden muss.

Welches Ergebnis ist das wahrscheinlichste?

Ich persönlich glaube, dass wir am Ende doch im Binnenmarkt und der Zollunion bleiben werden. Ich weiß, dass viele Leute das bezweifeln, aber mit der Zeit werden die Leute die Schwierigkeiten erkennen, und dann wird sich die Meinung zum Brexit ändern. Und wenn sich die Umfrageergebnisse ändern, folgen bald auch die Politiker.

Jonathan Powell war Stabschef von Premierminister Tony Blair in der Downing Street und der wichtigste Unterhändler der damaligen britischen Regierung bei den Nordirland-Verhandlungen.

Das Interview führte Birgit Maass, DW-Korrespondentin in London.