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"Ich glaube nicht an Brasilien"

Astrid Prange20. August 2013

Blick zurück im Zorn: Der ehemalige brasilianische Schiedsrichter José Roberto Wright, 1990 von der FIFA zum Weltschiedsrichter des Jahres gekürt, übt im DW-Interview Kritik an den WM-Vorbereitungen.

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Unter den Augen des brasilianischen Schiedsrichters Jose Ramiz Wright (l) verwandelt Stürmer Karlheinz Riedle (M) seinen Elfmeter, und es steht 3:3 im Elfmeterduell zwischen Deutschland und England.
Schiedsrichter WrightBild: picture-alliance/dpa

Deutsche Welle: Brasilien gilt als Land des Fußballs. Kann es sich auch die Ausrichtung einer WM leisten?

José Roberto Wright: Brasilien ist ein armes Land, ob es will oder nicht. Es ist absurd, rund 21 Milliarden Dollar für eine Veranstaltung der FIFA auszugeben, wenn Geld für Schulen und Krankenhäuser fehlt. Natürlich ist es okay, einige Stadien zu renovieren. Aber Hunderte von Millionen Euro für Sportpaläste in Brasília oder Manaus auszugeben, die in Zukunft nicht mehr genutzt werden, ist Geldverschwendung. Dasselbe ist auch schon bei der WM 2002 in Südkorea und Japan passiert.

Hätte Brasilien sich dann nicht um die Ausrichtung der Weltmeisterschaft bewerben sollen, oder müsste die FIFA mehr Rücksicht auf die Lage der Länder nehmen, in denen eine WM stattfindet?

Ich bin mit den Bedingungen, unter denen Ex-Präsident Luis Inácio Lula da Silva 2007 die WM nach Brasilien holte, überhaupt nicht einverstanden. Es mangelt an politischem Willen und Durchsetzungsvermögen gegenüber der FIFA. Die Regierung hätte klarstellen müssen, dass die WM nach unseren Vorstellungen organisiert wird. Die Folgen, Milliardenverluste und politische Unruhen, sind jetzt schon zu sehen. Es ist alles sehr merkwürdig.

Noch merkwürdiger ist doch, dass die WM 2022 in Katar ausgetragen wird, wo Fußball überhaupt keine Rolle spielt…

Ich habe gehört, dass die WM 2026 aus Kostengründen in zwei Ländern ausgetragen werden soll, wenn sie wieder nach Europa kommt. Wenn sich der Druck, den die FIFA ausübt, nicht ändert, wird die Sache schwierig.

Die FIFA hatte aufgrund der Massenproteste zwischenzeitlich öffentlich bezweifelt, ob es die richtige Entscheidung war, die WM nach Brasilien zu bringen. Muss Brasilien befürchten, die Ausrichtung der WM zu verlieren?

Das glaube ich nicht. Die Verträge sind geschlossen. Trotz Protesten gab es während des Confed-Cups keine Zwischenfälle, die FIFA-Funktionäre getroffen oder Spiele verhindert haben. In Rio de Janeiro sind die politischen Proteste aus dem Ruder gelaufen. Die Demonstranten, die vor der Wohnung des Gouverneurs Sergio Cabral im Stadtteil Leblon zelten und seinen Rücktritt fordern, haben nichts mit den Massenprotesten vom vergangenen Juni zu tun.

"Brasilien ist kein Favorit"

Brasiliens Neymar bejubelt einen Treffer. (Foto: REUTERS/Marcos Brindicci)
Neymar ist der große Hoffnungsträger BrasiliensBild: Reuters

Hat sich der brasilianische Fußball in den vergangenen 20 Jahren verändert?

Der brasilianische Fußball wird schon sehr bald zu einem Fußball werden, der von unerfahrenen jungen Sportlern und Veteranen am Ende der Karriere gespielt wird, denn der Strom von jungen Spielern ins Ausland ist riesig. Weil das Training dort anders abläuft, verlieren sie die Wurzeln des brasilianischen Fußballs. Verantwortlich für diese Entwicklung ist die 1997 von Pelé angestoßene Änderung der Transferregelung, die 2001 in Kraft trat und es den Spielern erlaubt, schon nach drei Jahren den Verein zu wechseln. Das "Pelé-Gesetz" ist der entscheidende Grund dafür, dass der brasilianische Fußball den Bach runtergeht.

Aber die brasilianischen Fußballklubs zahlen weniger als die Europäer….

Warum geht denn ein brasilianischer Spieler ins Ausland? Wenn ein Verein einen Spieler für 20 Millionen Euro kauft, dann bekommt er von dem Transfer fünf bis sechs Millionen.

Welche Teams sind Ihre Favoriten für die WM 2014?

Deutschland und Spanien.

Und warum nicht Brasilien?

Brasilien ist taktisch nicht gut aufgestellt. Beim Confed-Cup hat die Nationalelf zweifellos gut gespielt, aber in den vergangenen zwei Jahren waren die Ergebnisse sehr schlecht, auch bei Partien gegen schwache Teams. Die Mannschaft hat keine gute Verteidigung und ist auf Tore von Neymar angewiesen, der natürlich bei der WM besonders gedeckt wird. Deswegen glaube ich nicht an Brasilien.

Begrüssung und Wimpeltausch vor Spielbeginn zwischen dem deutschen Kapitän Lothar Matthäus (l) und dem englischen Spielführer Terry Butcher (r, vorn). Der brasilianische Schiedsrichter Jose Ramiz Wright (M) schaut mit seinen Linienrichtern zu. (Foto: Frank Kleefeldt, dpa)
Schiedsrichter Wright beim WM-Halbfinale 1990 zwischen Deutschland gegen EnglandBild: picture-alliance/dpa

Wenn Sie zurückblicken, an welche Fehler erinnern Sie sich auf dem Spielfeld?

Jeder macht Fehler. Ich erinnere mich an ein Spiel der brasilianischen Liga zwischen Flamengo und América, in dem ich Linienrichter war. Da habe ich nach einem Freistoß von Flamengo-Star Zico fälschlicherweise Abseits gepfiffen. Hinterher im Fernsehen habe ich gesehen, dass Luizinho Tombo von América ein Meter hinter der Verteidigungslinie stand, also alles seine Richtigkeit hatte.

Es gibt immer wieder heftige Diskussionen über Schiedsrichterentscheidungen zum Abseits. Wäre es nicht sinnvoll, die bestehende Regelung zu ändern?

Nein. Die FIFA verfügt mittlerweile über eine teure Technik, um zu bestimmen, ob sich der Ball im Abseits befand oder nicht. Die Abseitsregel ist sehr sinnvoll. Ich sage dies, weil ich 17 Jahre lang Mitglied der Fußball-Kommission war. Das Problem ist nur, dass die FIFA den Schiedsrichtern ständig neue Anweisungen gibt. Leider sind die technischen Direktoren der FIFA Theoretiker und keine Praktiker. Das erschwert unsere Arbeit als Schiedsrichter.

José Roberto Wright war von 1978 bis 1993 FIFA-Schiedsrichter. Bei der WM 1990 pfiff er das Halbfinale Deutschland gegen England und wurde als bester Schiedsrichter der WM und der Welt ausgezeichnet. Bis April 2012 kommentierte er Fußballspiele im brasilianischen Fernsehen. Zurzeit schreibt der 69-Jährige für die brasilianische Sportzeitschrift "Lance!" und berät ehrenamtlich den brasilianischen Fußballverband CBF.

Das Gespräch führte Astrid Prange.