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Europäische Mammutaufgabe

Gerda Meuer1. März 2002

Der Reformkonvent der Europäischen Union hat seine Arbeit auf- und sich viel vorgenommen. Denn die Liste der Aufgaben ist lang.

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Europa ist nicht unpopulär. Europa ist eine Erfolgsgeschichte - auch für die Bürger. Die neue Gemeinschaftswährung Euro ist von den Menschen schnell und positiv angenommen worden. Die Vorteile des grenzenlosen Binnenmarktes kann jeder tagtäglich erleben. Nicht nur Urlauber sind froh, dass die Grenzkontrollen zwischen den meisten EU-Staaten abgeschafft wurden. Und nicht zuletzt hat die Einigung Europas uns auch den längsten Frieden in der Geschichte beschert.

Aber Europa ist kompliziert. Da gibt es zehntausende von Seiten an EU-Vertragswerken, mit ebensovielen Anmerkungen und Fußnoten, die kaum noch jemand überblickt, die aber in Deutschland Schätzungen zufolge jedes zweite Gesetzesvorhaben bestimmen. Da gelten in den EU-Institutionen unterschiedlichste Abstimmungsmechanismen, die im Rat zum Beispiel der Stabilisierung der Machtverhältnisse dienen, nicht aber der Sache. Und ob EU-Kommissar Mario Monti nun tatsächlich die Regeln des EU-Wettbewerbs so anwendet, wie es in den Vertragswerken steht, weiss auch niemand genau.

Und Europa ist undemokratisch. Alle Macht gehört den Räten, genauer gesagt dem Allgemeinen Rat der EU-Außenminister und dem Rat der Staats- und Regierungschefs. Die lassen sich in der Regel die Entscheidung nicht aus der Hand nehmen, auch wenn das Europäische Parlament und auch die EU-Kommission eine andere Meinung vertreten. Letztere sind ohnehin ungewöhnliche Einrichtungen. Die EU-Kommission ist zugleich Legislative wie Exekutive, weil sie sowohl Vorschläge für EU-Verordnungen macht, als auch deren Umsetzung überwacht. Das Parlament ist zwar direkt gewählt und damit demokratisch legitimiert - aber wer in Europa kennt seinen Europa-Abgeordneten und weiss, was er von ihm erwartet? Und verdenken kann man diese Ignoranz niemandem: Gesetze vorschlagen darf ein Europa-Parlamentarier nicht, im Gegensatz zu einem Bundestagsabgeordneten. Zudem hat das Parlament nur begrenztes Mitentscheidungsrecht: Über den EU-Agrarhaushalt zum Beispiel, der etwa die Hälfte des EU-Budgets ausmacht, darf es gar nicht mitreden.

Und schließlich: Europa ist ineffizient. Unzählige Projekte und Fördertöpfe, ein unübersichtlicher Subventionsdschungel und völlig überlastete EU-Beamte prägen das Bild. Milliarden an EU-Geldern werden gar nicht erst abgerufen, weil die Prüfung des jeweiligen Projektes so aufwendig ist, oder weil die Empfänger die nötigen Daten nicht liefern.

Wegen all dieser Defizite und Mängel werden "die da in Brüssel" von den Europäern nicht geliebt. Abhilfe tut also dringend Not. Zumindest das haben die Staats- und Regierungschefs erkannt und deshalb sollen sich jetzt 105 Europäer und Europäerinnen ein Jahr lang überlegen, wie man das Chaos, die Intransparenz, das Fehlen von Demokratie beheben kann. Dem Europäischen Konvent, der jetzt seine Arbeit aufgenommen hat, steht eine Mammutaufgabe bevor. Aber im Prinzip kann es bei der geschilderten Ausgangslage nur besser werden. Und wenn es den Konventsmitgliedern dann noch gelingen sollte, das Ergebnis einfach und kurz zu halten, dann wird vielleicht auch noch was aus der vielbeschworenen Bürgernähe, an der es der EU so fehlt. Und dann wäre Europa nicht nur durch seine praktischen Vorteile wie beim Reisen und Einkaufen populär, sondern auch, weil eine Idee sich durchgesetzt hat.