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Politik

Europäer unter sich

22. November 2016

Die europäische Idee ist nicht mehr selbstverständlich. Viele Menschen zweifeln am Sinn der EU, finden ihr Personal abgehoben. Ein Bürgerdialog in Köln soll diesem Eindruck entgegenwirken. Christoph Hasselbach war dabei.

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Europäer unter sich
Alexander Graf Lambsdorff (r), Günther Oettinger, Moderatorin Jule Reimer, Franz-Josef Lersch-Mense (l)Bild: DW/C. Hasselbach

Der Weihnachtsmarkt am Hafen ist schon aufgebaut. Im Schokoladenmuseum haben sich etwa 250 Bürger versammelt. Durch die großen Scheiben sieht man Verkaufsbuden, aber auch die beleuchteten Pfeiler einer Rheinbrücke, alles wirkt sehr stimmungsvoll.

Auch die Stimmung im Saal ist eher harmonisch statt aufgeladen. Aggressive Europafeinde fehlen, haben vielleicht kein Interesse an einer Veranstaltung, die von der Europäischen Kommission veranstaltet wird. Den Fragen stellen sich drei Männer, die schon aus beruflichen Gründen ganz für die EU stehen: Kommissar Günther Oettinger, zuständig für die Digitalwirtschaft, der liberale Europaabgeordnete Alexander Graf Lambsdorff und der nordrhein-westfälische Europaminister Franz-Josef Lersch-Mense von der SPD.

Doch die Zeiten, da man die EU weder erklären noch rechtfertigen musste, sind vorbei. Deshalb der "EU-Bürgerdialog". Die Zuschauer sind altersmäßig eine bunte Mischung, sozial aber eher nicht: Die gut Gebildeten, Abgesicherten ohne Migrationshintergrund scheinen die große Mehrheit zu bilden.

Lambsdorff und Oettinger verstehen die Kritik an CETA nicht

Eines wird die 'Brüsseler' freuen: Die Jungen im Saal verbinden mit Europa nach wie vor viel Positives. Schüler werden zu Beginn der Veranstaltung auf die Bühne geholt. Sie finden den kulturellen Austausch und die Freiheit gut, dass sie im europäischen Ausland studieren und arbeiten können. Alle Altersgruppen stehen auch zur europäischen Zusammenarbeit, wenn sie ihnen praktische Vorteile wie die Abschaffung der Roaming-Gebühren bringt. Eine Steilvorlage für Oettinger, Lambsdorff und Lersch-Mense. Hier können sie zeigen, was Europa den Bürgern zu bieten hat.

Europäer unter sich
Ein Informationsstand für EU-Auslandspraktika: Das Interesse der Jungen ist ungebrochenBild: DW/C. Hasselbach

Heikler wird es für sie schon, wenn es um das Thema Freihandel geht. Da doziert Graf Lambsdorff, er finde die Diskussion über das europäisch-kanadische Freihandelsabkommen CETA "irrational". Oettinger meint apodiktisch: "Die Globalisierung lässt sich nicht zurückdrehen." Und Lersch-Mense fügt hinzu: "Die großen Probleme wie Klimaschutz wären bei einem Rückzug ins nationale Schneckenhaus unlösbar."

Hier ist europäische Einigkeit über Parteigrenzen hinweg versammelt, sitzen europäische Profis zusammen und erklären den Leuten, wie Europa funktioniert und wie abwegig manche Kritik sei. Wie als 'Quittung' darauf meint eine junge Frau, man solle doch froh sein, dass sich Bürger für Fragen des Freihandels interessierten, eigentlich sollten sich die Bürger viel mehr einmischen, weil das Demokratie sei.

Alles halb so schlimm?

Und die vermeintlichen Skandale? Oettingers kürzliche Bemerkungen über schlitzäugige Chinesen und sein Flug im Privatjet eines Russland freundlichen Unternehmers? Vor allem die Moderatorin und eine Fernsehjournalistin scheinen sich dafür zu interessieren. Oettinger pariert souverän mit dem Satz "Ich habe Stärken und Schwächen" und bekommt dafür Applaus.

Nein, das Publikum hat offenbar andere Fragen, düstere, grundsätzliche: Überlebt die EU, überlebt die Demokratie? Fällt jetzt mit jeder weiteren Wahl ein westliches Land nach dem anderen in die Hand von rechten Populisten?

Hier geben sich die 'Europäer' auf der Bühne als Berufsoptimisten. Oettinger glaubt: "Wir werden mehr vereintes Europa haben." Er und Lambsdorff glauben auch nicht, dass Marine Le Pen die nächste französische Präsidentin werden wird. Alles halb so schlimm. Nur Lersch-Mense, der wohl am wenigsten bekannte von den drei EU-Politikern, gibt sich nachdenklich: "Die Ängste sind nun einmal da."

Europäer unter sich
Prominentenfaktor: Oettinger wird abgelichtet und verteilt AutogrammeBild: DW/C. Hasselbach

Oettinger und Lambsdorff sind sich ihrer Sache sicher, vielleicht zu sicher. Auf die Frage, ob die EU nicht zu schnell und zu leichtfertig neue Mitglieder aufgenommen habe, sagt der Kommissar, man sei zwar der "Lebenslüge" aufgesessen, "Erweiterung und Vertiefung der EU" könne gleichzeitig kommen. Trotzdem sei der Weg richtig: "Wir haben Frieden exportiert."

Unterschwellige Identitätsfragen

Und die Fragen nach Identität in Zeiten großer Migrationsbewegungen, die eher indirekt als deutlich gestellt werden, und eher von den Älteren? "Isch bin 'ne kölsche Jong", sagt Graf Lambsdorff im besten rheinischen Dialekt dazu. Er habe gar kein Problem damit, gleichzeitig "Kölner, Deutscher und Europäer" zu sein. Vielen Menschen gehe der Wandel aber "zu schnell und zu unkontrolliert", so räumt er ein, so wie auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise vor einem Jahr.

Franz-Josef Lersch-Mense dagegen vereinnahmt gleich die Menschen in seinem Bundesland, wenn er sagt: "Wir in Nordrhein-Westfalen haben eine lange Tradition der Zuwanderung, der Akzeptanz von Vielfalt. Wir bleiben ein fremdenfreundliches Land." Gegen diese teils herbeigeredete, teils verordnete Fremdenfreundlichkeit regt sich kein Widerstand im Saal. Vielleicht, weil sich alle darin einig sind, aber vielleicht auch aus Angst, als rechtsextrem zu gelten. Das wird an diesem Abend nicht klar.

Die Reaktionen hinterher bei Bier und Currywurst bestätigen jedenfalls den Eindruck künstlicher Harmonie: Man sei zu wenig auf Fragen eingegangen, sagen einige Zuhörer, es sei zu wenig "Dialog" gewesen. Wer vorher von der EU überzeugt war, dürfte sich anschließend bestätigt gefühlt haben; wer dagegen skeptisch war, dürfte auch in seiner Skepsis bestätigt worden sein.