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Wahllust oder Wahlfrust?

30. Mai 2009

Die Wahl zum europäischen Parlament ist die einzige Möglichkeit, die europäische Politik direkt mitzubestimmen. Deutschland wählt 99 der 736 Parlamentarier. Aber die Wahlbeteiligung sieht mau aus. Ein Stimmungsbericht.

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Straßenszene in der Magdeburger Innenstadt (Foto: DW)
Nur jeder fünfte Deutsche ist an der Europawahl interessiertBild: DW

Wenn Klaus Klang, der Landeswahlleiter von Sachsen-Anhalt, sich die Zahlen ansieht, schüttelt er seinen Kopf. Die Zahlen zeigen es: Seit der ersten Europawahl in Sachsen-Anhalt ist die Wahlbeteiligung stetig zurückgegangen. Haben 1999 noch rund 66 Prozent der Sachsen-Anhalter und Sachsen-Anhalterinnen an der Europawahl teilgenommen, waren es bei der letzten Europawahl 2004 nur noch knapp 50 Prozent. "Dieses Jahr gehen wir von etwa 42 Prozent Wahlbeteiligung aus. Das wäre dann im Bundesdurchschnitt Mittelmaß", sagt Klang.

Das Bundesland Sachsen-Anhalt ist kein Einzelfall. Die Europawahl steht an und das Gefühl kann aufkommen, niemand beachte sie - von Studenten, Journalisten und Politikern abgesehen. "Von Europa bekomme ich hier im Alltag nichts mit", sagt Conny Schuchna. Die Mittfünfzigerin ist Kinderbuchautorin in Magdeburg und ist an Politik nicht uninteressiert, wie sie sagt. Aber Europa erscheine ihr weit weg. "Nur an der Möglichkeit, dass man überall in Europa einfach umherreisen kann, merke ich Europa."

Brüssel nach Hause holen

EU- und Deutschlandflagge (Foto: DW)
Europa gilt als fern und anonymBild: DW

Dabei profitiert jedes deutsche Bundesland von Europa - im ideellen, wie auch im finanziellen Sinn. Von Brüssel nach Magdeburg, in die Landeshauptstadt Sachsen-Anhalts, fließen beispielsweise jedes Jahr 500 Millionen Euro für den Straßen- oder Brückenausbau, für Stadtsanierungen oder Weiterbildungsmaßnahmen. "Nur bekommen das die wenigsten mit", stellt Rainer Robra resigniert fest.

Robra ist Europaminister in Sachsen-Anhalt und versucht das "weite Brüssel" nach Sachsen-Anhalt zu holen. Das tut er, indem er am 9. Mai, dem Europatag, in der Staatskanzlei einen Tag der offenen Tür veranstaltet. Indem er Schulklassen einlädt, um ihnen von Europa zu erzählen, oder auf dem Brocken, der höchsten Erhebung des Mittelgebirges Harz, ein Europa-Jugend-Camp veranstaltet.

"Europa ist für viele die Ebene, auf die man alles verlagert, was einem Probleme bereitet", findet Robra. Die Gemeinden verwiesen gerne auf den Landkreis, der Landkreis auf das Land und das Land auf den Bund - und alle gemeinsam auf Europa. "Und Europa hat am Ende niemanden mehr, auf den es die Schuld schieben kann", lacht der Politiker. Wenn er sich aber das Wissen und das Interesse der Bürgerinnen und Bürger an Europa anhört, ist ihm nicht mehr zu lachen zumute.

Stadt, Land, Melodie

Der Sitz des europäischen Parlamentes ist vielen unbekannt. Gewiss, die Europäische Union tut nicht unbedingt das ihre, um die Verwirrung um Brüssel, Maastricht, Den Haag oder doch Straßburg zu vereinfachen.

Woher kommt die Europa-Hymne? Wer hat sie geschrieben? Größere und erstauntere Augen können einer nachfragenden Journalistin kaum begegnen als bei diesen Fragen. Die Auflösung versetzt gerade die Deutschen oft in Erstaunen. Die Europahymne ist die Instrumentalfassung von "Freude schöner Götterfunken", die Ludwig van Beethoven im höchsten aufklärerischen Streben des 19. Jahrhunderts schrieb.

Unwissen ist das eine, Desinteresse das andere. Einer aktuellen Umfrage zufolge ist in Sachsen-Anhalt nur jeder fünfte an der Europawahl interessiert. 62 Prozent aller Deutschen wussten nicht, dass am 7. Juni die Europawahlen stattfinden. Die Zahlen erstaunen umso mehr, wenn man die deutsche Politik verfolgt. Etwa 80 Prozent der Gesetze, die im deutschen Bundestag umgesetzt werden, berufen sich auf Gesetze, Richtlinien oder Verordnungen aus Brüssel oder Straßburg.

Längste Friedenszeit

Außenansicht Universität Magdeburg (Foto: DW)
An den Universitäten ist das europäische Lebensgefühl sehr starkBild: DW

Eine Gruppe, die meist europäischer interessiert und informiert ist als der Durchschnitt, sind die Studenten. Vielleicht aus eigenem Interesse, denn die Zahl derjenigen, die während ihres Studiums ein Erasmus-Auslandssemester absolvieren, steigt stetig. Und die Zahl derer, die ihr entsprechendes Auslandssemester in Deutschland machen, ebenso.

"Mein Auslandssemester in Bordeaux war eine großartige Erfahrung", schwärmt Ole Hilgert. Er studiert European Studies an der Magdeburger Universität. Dass er sich mit Europa auseinandersetzt liegt nicht nur an seinem Studienfach. "Für uns ist Europa völlig normal und wichtig", erklärt der 24-Jährige. Schließlich hätte es noch nie eine so lange Friedenszeit in Deutschland und Europa gegeben, wie seit der Europäischen Union und ihren Vorläufern.

Vielleicht müssen Politiker und Wahlanalysten noch einige Jahre warten, bis die europäisierte Jugend im mittleren Alter ist und die nachwachsende Jugend ebenso europabegeistert ist. Oder sie müssen die anonyme und fremde Politik raus aus Brüssel mehr in die Wohnzimmer von Aachen, Magdeburg und Zeitz tragen.

Autorin: Victoria von Gottberg
Redaktion: Kay-Alexander Scholz