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Europas Pharmariesen unter Zugzwang

Julia Elvers-Gyuot10. März 2009

In der Pharmabranche kam es zu einer weiteren Milliarden-Fusion: Der US-Konzern Merck übernimmt Schering-Plough und wird zweitgrößter Medikamentenhersteller. Was aber bedeutet das für die europäischen Pharmaunternehmen?

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Tabletten
Mit Medikamenten lassen sich Milliarden verdienenBild: Bilderbox
Die Zentrale des Pharmakonzerns Pfizer in New York (Quelle: AP)
Pfizer wächst durch Übername von WyethBild: AP

Erst vor sechs Wochen übernahm der Pharma-Branchenprimus Pfizer für rund 68 Milliarden Dollar den US-Konkurrenten Wyeth. Pfizer war schon lange die Nummer Eins in der Branche. Nach der Übernahme von Wyeth vergrößert das Unternehmen den Abstand zur Konkurrenz nun noch mehr. Nun hat Merck nachgezogen und für rund 41 Milliarden Dollar den Konkurrenten Schering-Plough übernommen. Ein Coup, der Merck zum zweitgrößten Pharmakonzern weltweit macht.

Gemessen an den Umsatzzahlen folgen in der Rangliste der größten Pharma-Unternehmen fünf europäische Firmen: Sanofi-Aventis (Frankreich), GlaxoSmithKline (Großbritannien), Novartis (Schweiz), Roche (Schweiz) und AstraZeneca (Großbritannien-Schweden). Auch sie waren in den vergangenen Jahren überwiegend durch externe Zukäufe gewachsen. Aber schon durch die Fusion von Pfizer mit Wyeth werden die Europäer wieder unter Zugzwang kommen und unbedingt nachziehen müssen, meint Rocco Schilling, Credit-Analyst bei UniCredit.

Wettlauf mit der Zeit gegen den Auslauf von Patenten

Medikamente Lipitor und Effexor (Quelle: AP)
Noch verdient Pfizer am Medikament Lipitor und an dem Produkt von Wyeth EffexorBild: AP

Der Konsolidierungsdruck wird weiter zunehmen, "insbesondere bei den Unternehmen, die in den nächsten Jahren einer Reihe auslaufender Patente entgegen sehen", sagt Schilling. Denn sobald Patente auslaufen, drängt die Konkurrenz mit Generika-Produkten auf den Markt. Und die sind deutlich preiswerter zu haben sind als die Originale, in die oft dreistellige Millionenbeträge an Forschungs- und Entwicklungsgeldern geflossen sind.

UniCredit-Experte Schilling rechnet damit, dass europäische Pharma-Giganten wie GlaxoSmithKline, Sanofi-Aventis oder AstraZeneca in den nächsten drei bis vier Jahren durch auslaufende Patente zwischen 25 und 40 Prozent ihrer Umsätze verlieren werden. Ein Wettlauf gegen die Zeit. "Wenn ein Patent ausgelaufen ist, generiert das Produkt nach sechs Monaten bis zu 50 Prozent weniger Umsatz", hat Schilling berechnet.

Die Geister, die man rief

Eine Aspirin-Tablette des Bayer-Konzerns (Quelle: dpa)
Der von Bayer entwickelte Wirkstoff Aspirin ist inzwischen Teil zahlreicher GenerikaBild: picture-alliance/dpa

Auf der einen Seite profitieren Pharmaunternehmen davon, wenn sie es schaffen, so erfolgreiche Medikamente wie den Cholesterinsenker "Lipitor" zu entwickeln. Mit Lipitor erwirtschaftet Pfizer ein Viertel seines Umsatzes. Aber irgendwann läuft der Patentschutz aus und dann könnte ein böses Erwachen folgen, sofern in der Zwischenzeit nicht genügend marktreife Neuprodukte entwickelt wurden.

Die meisten Pharma-Unternehmen schaffen es nicht rechtzeitig, ein Nachfolgeprodukt zu entwickeln, das die Umsatzeinbußen kompensieren kann. Daher suchen sie wie Pfizer nach externen Wachstumsmöglichkeiten, um so die Lücken zu schließen, die ihre Erfolgs-Medikamente mit auslaufenden Patenten hinterlassen. "Im Prinzip wird man die Geister, die man rief, nicht mehr los", sagt Credit-Analyst Schilling. "Man hat weltweit Produktions- und Vertriebskapazitäten aufgebaut, die jetzt mit stagnierenden oder rückläufigen Verkaufszahlen konfrontiert werden." Die Folge: massive Kürzungen und Stellenstreichungen - und der wachsende Druck, sich nach Fusionspartnern umzuschauen.

Kreditwürdigkeit spielt bei Fusionen große Rolle

Pfizer Konzern Zentrale in New York (Quelle: )
Pfizer muss sich bei Übernahme nicht sehr verschuldenBild: AP

Experten erwarten eine neue Fusionswelle in der Branche. "Trotzdem muss man dazu sagen, dass solche Transaktionen in den momentanen Zeiten nur deshalb möglich sind, weil Pharmaunternehmen über ein sehr gutes Kreditprofil verfügen", erklärt Rocco Schilling. Das von den Ratingagenturen im Durchschnitt mit AA+ geratete Unternehmen Pfizer beispielsweise habe vor der Übernahme über 26 Milliarden US-Dollar an liquiden Mitteln zur Verfügung, so dass ein großer Teil der Übernahme von Wyeth aus eigenen Mitteln finanziert werden konnte.

Duale Strategie bei deutschen Pharmaunternehmen

Bei allem Fusions- und Konkurrenzdruck: Die Schweizer Unternehmen Novartis und Roche scheinen so oder so gut aufgestellt. Nach Einschätzung von Rocco Schilling nehmen sie eine besondere Stellung auf dem Markt ein, weil sie den Fokus ihrer Pharma-Aktivitäten auf die Onkologie, das heißt Medikamente zur Bekämpfung von Krebs, legen. Hier werden derzeit noch überdurchschnittliche Wachstumsraten von über zehn bis 15 Prozent erzielt. Dagegen habe sich die Wachstumsrate der gesamten Pharmabranche innerhalb von fünf Jahren von etwa zehn auf fünf Prozent halbiert.

Im Technologiezentrum der Bayer Bitterfeld GmbH werden verschreibungsfreie Arzneimittel für ganz Europa hergestellt (Quelle: dpa)
Bayer produziert auch verschreibungsfreie MedikamenteBild: picture-alliance/ dpa

Die erste deutsche Firma landet auf der Rangliste der umsatzstärksten Pharma-Unternehmen relativ abgeschlagen auf Platz 11. Bayer ist gleichzeitig ein Chemieunternehmen, das weniger als 50 Prozent im Bereich Pharma erwirtschaftet. Diese duale Strategie fährt auch Merck. Das Management habe versucht Diversifikationsmöglichkeiten zu nutzen und diese duale Strategie auf Dauer fortzuführen, um auch in Phasen des schwächeren Wachstums bzw. des Abschwungs ausgleichende Effekte zu erzielen, sagt Unicredit-Analyst Schilling. Das Pharma-Geschäft hilft, das deutlich zyklischere Geschäft im Chemiebereich auszugleichen.