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'Eine Art Todesurteil'

23. Januar 2008

Personen auf "Terrorlisten" von UN und EU müssen über Anschuldigungen gegen sie informiert werden, fordert der Europarat. Die Einträge sollten zudem zeitlich begrenzt werden.

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Der Schweizer Abgeordnete Dick Marty (Quelle: AP)
Harscher Kritiker der Terrorlisten: der Schweizer Abgeordnete Dick MartyBild: AP

Die Parlamentarier-Versammlung des Europarats hat den Vereinten Nationen und der Europäischen Union Willkür bei der Erstellung ihrer Schwarzen Listen zur Terrorbekämpfung vorgeworfen. Auf den Listen landeten Namen oft nur aufgrund eines Verdachts - unter Verletzung elementarster rechtsstaatlicher Prinzipien, stellte die Versammlung am Mittwoch (23.01.2008) in Straßburg fest. Die Betroffenen würden oft weder über ihren Eintrag informiert, noch über die Gründe für diese Maßnahme. Viele erführen von dem Eintrag erst, wenn ihnen ein Grenzübertritt verweigert oder ihr Konto gesperrt werde. Die UNO und die EU müssten diese Praxis überprüfen, heißt es in der Entschließung, die mit großer Mehrheit verabschiedet wurde.

Bisher gilt: einmal drauf, immer drauf

Das Gebäude des Europarates in Straßburg (Quelle: dpa)
Das Gebäude des Europarates in StraßburgBild: picture-alliance/ dpa

Die Versammlung drängte besonders darauf, den Eintrag auf diese Listen zeitlich zu begrenzen. Die EU und die UN sollten die Verfahrensweisen der Einträge ändern, um sie "den Grundsätzen der Rechtsstaatlichkeit und der Menschenrechte anzupassen". Als Musterbeispiel gilt der Fall der iranischen Volksmudschaheddin (Nationaler Widerstandsrat, NWRI), die vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg erfolgreich gegen ihre Einstufung als Terrororganisation auf einer EU-Liste geklagt haben, aber immer noch auf der Liste stehen. Sie haben nach eigenen Angaben eine neue Klage eingereicht.

"Eine Art Todesurteil"

"Menschen stehen jahrelang auf diesen Listen, ohne zu wissen warum, und ihr Leben ist ruiniert", sagte der liberale schweizer Abgeordnete Dick Marty, der im November 2007 "willkürliche Praktiken" bei der Aufstellung dieser Listen angeprangert hatte. Der Eintrag bedeutet nach seinen Angaben "eine Art von Todesurteil" für Privatpersonen. Ihre Konten würden gesperrt, ihre Geschäftstätigkeit torpediert, weil sie keinen Handel mehr treiben dürften, sie dürften auch nicht mehr ins Ausland reisen. Den Sinn der Listen stellte Marty nicht in Frage, nur die Illegalität der Verfahrensweise. "Selten habe ich etwas so Ungerechtes erlebt wie die Aufstellung dieser Listen". Der 63-jährige frühere Tessiner Staatsanwalt Marty ist durch Untersuchungen über CIA-Geheimflüge und Geheimgefängnisse in Europa bekanntgeworden.

"Die Bundesregierung muss sich endlich für eine Korrektur des Verfahrens der Schwarzen Listen im UN-Sicherheitsrat und in der EU einsetzen", sagte die frühere Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) in der Debatte. "Menschen werden finanziell ruiniert, ohne dass es ein unabhängiges Überprüfungsverfahren gibt, ob sie zu Recht oder Unrecht des Terrorismus verdächtigt werden", sagte sie.

UN listest 370 Terrorverdächtige

Wie viele Menschen und Organisation widerrechtlich auf den Schwarzen Listen stehen, ist nach Angaben Martys unklar. Auf der UN-Liste fungierten die Namen von 370 Menschen sowie 125 Unternehmen oder Organisationen, die als terrorverdächtig gelten. Die EU-Liste gibt 60 Menschen oder Organisationen an, darunter die radikale Palästinenserbewegung Hamas und die baskische Untergrundorganisation ETA.

In der Entschließung fordern die Abgeordneten aus den 47 Europaratsländern die Einhaltung minimaler Rechtsstandards: Verdächtigte Menschen oder Organisationen müssten über den Eintrag und die Gründe informiert und dazu angehört werden. Sie müssten die Möglichkeit erhalten, bei einer "unabhängigen und unparteiischen Instanz" Widerspruch einzulegen. Bei einem ungerechtfertigten Eintrag müssten sie entschädigt werden. (leix)