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Europa fehlt eine Afrika-Politik

Heinrich Bergstresser2. Juni 2004

Das menschliche Leid im Sudan zeigt, wie wenig dieser Kontinent sich selbst aus Krisen heraushelfen kann. Es zeigt aber auch: Europa fehlt es an einer gezielten Afrika-Politik. Ein Kommentar von Heinrich Bergstresser.

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In der modernen Mediengesellschaft konsumieren die Menschen zumeist kritiklos die Bilder, die über die Mattscheiben rauschen oder als Hochglanzphotos in den großen Magazinen erscheinen. Aber sie sehen nur einen kleinen Ausschnitt der Wirklichkeit, ganz gleich ob es sich um ausgemergelte, von Fliegen überschwärmte Kinderkörper im Westsudan handelt oder um verkohlte Leichen von US-Soldaten im Irak, die eine johlende Menge den Kameras der internationalen Medien präsentiert. Viel entscheidender ist die Tatsache, dass diese Bilder auch eine neue Wirklichkeit konstruieren, die die Meinungsbildung und Entscheidungsfindung in der Politik, der Wirtschaft und Gesellschaft erheblich beeinflusst.

Fast in Echtzeit erreichen uns Fernsehbilder aus den entlegensten Ecken dieser Welt, aus dem Darfur, aus dem Kongo, aus den Elendsvierteln von Manila oder aus Karachi, Kaschmir oder Kabul nach Terrorattacken. Und die Möglichkeiten des Internet akzentuieren dieses Phänomen, denn nun ist die weltweite Übertragung in Echtzeit möglich, wie die Enthauptung der US-Geisel Nicholas Berg in bedrückender Weise belegt. Die Bilder schreien nach Handlung, nach Aktion. Sie schaffen eine Öffentlichkeit, die zeitnahe Ergebnisse einfordert, die bei Licht betrachtet, aber niemand liefern und mangels Konzepten auch mittel- und langfristig niemand vorlegen kann.

Gerade in den Nord-Süd-Beziehungen und in den Beziehungen zu Afrika fehlt es in Europa und mehr noch in Deutschland an konzeptionellem politischen Denken. Die Krise im Kongo, der Zerfall Simbabwes und nun die Tragödie im Westsuden beleuchten dieses Dilemma, das sich aus der deutschen Nachkriegsgeschichte erklärt, als die alte Bundesrepublik keine Interessen zu haben hatte. Aber diese Zeiten sind nun einmal vorbei, und es ist dringender denn je, Interessen und Interessenhierarchien zu definieren, auch in Afrika. Denn das Gießkannenprinzip und die Sonntagsreden zur Armutsbekämpfung als erklärtes Oberziel sowie der derzeitige Aktionismus im Sudan mögen kurzfristig Eindruck machen, aber nur wenig oder gar keinen Sinn. Zu groß ist der Afrikanische Kontinent, zu vielschichtig seine Probleme, um ohne Prioritätensetzung politische Prozesse in Afrika positiv begleiten zu können. In dieser Hinsicht haben einige nachdenkliche und selbstkritische Afrika-Wissenschaftler endlich etwas Bewegung in die Politik gebracht, die besonders die Themen Sicherheit und Staatlichkeit aufgriffen.

Denn auch in Afrika geht es um Sicherheit, um Köpfe und Meinungen und natürlich auch um Entwicklung. Aber wenn sich Deutschland und Europa in Afrika ähnlich fahrlässig verhalten wie die USA in der Arabischen Welt, geht der Alte Kontinent schweren Zeiten entgegen. Denn radikale, militante und fundamentalistische Ideen innerhalb der verschiedenen Glaubensrichtungen machen sich auch in Afrika breit und strahlen bis nach Europa, teilweise sogar bis in die USA aus.

Aber es mehren sich Hinweise, dass konzeptionelles Denken zumindest begonnen hat. Allein die Tatsache, sich im entwicklungspolitischen Raum mit dem islamischen Stiftungswesen und den charismatischen, unabhängigen Kirchen in Afrika zu beschäftigen, gibt zur Hoffnung Anlass, dynamische Prozesse aufzugreifen und sie zur politischen Stabilisierung nutzen zu wollen. Und die Wiederentdeckung des Radios als billiges, flexibles, orales und lokales Medium, ist ein richtiger Ansatz, den Menschen demokratische Prinzipien und sicherheitspolitische Überlegungen näher zu bringen. Nur so lassen sich lokale Kriegsfürsten und zur Militanz neigende Heilsbringer erfolgreich bekämpfen. Erst dann kann es auch kleine Entwicklungsschritte geben.

Wer glaubt, die internationale Gemeinschaft könne die Krise im Westsudan lösen, irrt. Dies können nur die Sudanesen und Afrikaner selber tun. Das Mindeste, was man aber erwarten kann wäre, ein Konzept zu haben, wie mit der sudanesischen Regierung und den Regierungen der Anrainerstaaten in dieser Krise umzugehen ist. Aber daran mangelt es ebenso, wie an übergreifenden Konzepten zu Afrika. Bleibt zu hoffen, dass diese Krise das konzeptionelle Denken und Handeln beschleunigt.

Die Zeit drängt, und die nächsten Krisen in Afrika werden nicht auf Hungerkatastrophen beschränkt bleiben. Millionen von jungen Männern ohne erkennbare Perspektive, aber mit viel Testosteron im Körper, suchen Betätigung und Bestätigung, sind bereit, mit Gewalt das zu holen, was ihnen auch vom Westen hofierte korrupte Politiker und Cliquen im Staatsapparat vorenthalten. Das sollte besonders im Hinblick auf die Afrikapolitik in Berlin und Brüssel zu denken geben.