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Zweifelhafte Gefechte

Bernd Riegert19. Dezember 2007

In Deutschland wird heftig über den gesetzlichen Mindestlohn gestritten: Ein Blick auf Europa zeigt, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mit ihrer ablehnenden Haltung vielleicht einen Kampf gegen Windmühlen ficht.

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Bild: DW

In 20 der 27 Mitgliedsstaaten gibt es bereits einen Mindestlohn. In den Vereinigten Staaten von Amerika, nicht gerade als wirtschaftlich schwach und antikapitalistisch verschrien, gilt der Mindestlohn bereits seit dem Jahr 1938. In Großbritannien seit 1909. In Frankreich seit 1950. Alle diese Länder sind nicht dem Elend anheim gefallen, das Konservative und Wirtschaftsliberale in Deutschland jetzt heraufdämmern sehen.

Ob Mindestlöhne schlecht für den Arbeitsmarkt sind oder gar keine Auswirkungen haben, darüber streiten die Wirtschaftswissenschaftler weltweit. Klar ist aber, dass es vor allem auf die Höhe des Mindestlohns ankommt. Ein Lohn weit unter dem Existenzminimum hat sicher wenig Auswirkung auf den Arbeitsmarkt. Die Spannbreite in der EU ist groß: Sie reicht von neun Euro Mindestlohn im reichsten EU-Land Luxemburg bis zu 53 Cent beim Schlusslicht Bulgarien, das erst seit einem Jahr zur EU gehört.

Bernd Riegert
Grafik für Kommentar oder Fernschreiber-Kolumne, August 2004

Der Europäische Gerichtshof hat nun diese Woche geurteilt, dass sich schwedische Baufirmen gegen Konkurrenz aus Lettland nicht abschotten dürfen. Genauer: Gewerkschaften dürfen lettische Baufirmen nicht blockieren, auch wenn sie weniger bezahlen als in Schweden in der Baubranche üblich ist. Es sei denn, und das ist in der aktuellen Debatte wichtig, es sei denn, es gibt einen gesetzlichen Mindestlohn.

Dieser würde für Schweden und Letten gleichermaßen gelten, weil das Arbeitsrecht des Landes entscheidend ist, in dem gearbeitet wird. In Schweden gibt es aber keinen gesetzlichen Mindestlohn. Die schwedische Regierung beklagte, dass sie diesen Schritt wohl jetzt nachholen müsse. Auf Deutschland angewendet, könnte das heißen: Um sich gegen billige Konkurrenz aus Bulgarien, Rumänien oder dem Baltikum zu schützen, müsste es für viele Branchen einen gesetzlichen Mindestlohn geben, nicht nur wie derzeit für die Baubranche, Gebäudereiniger oder Postzusteller.

Spätestens von 2011 an muss der deutsche Arbeitsmarkt für alle EU-Bürger geöffnet werden. Zurzeit gelten noch Sperren, die Deutschland sich bei der Aufnahme der Neuen 2004 ausbedungen hatte. Von 2011 könnte die Frage nach einem Mindestlohn dann richtig akut werden. Europa sei Dank? Oder: Europa ist schuld?