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Gemeinsame EU-Entwicklungspolitik

10. Mai 2010

Über Jahrzehnte dominierten nationale Interessen die europäische Entwicklungspolitik. Jetzt ist es endlich an der Zeit, sich zu koordinieren und eine gemeinsame Politik zu machen.

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Gastkolumne vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE), DW-Grafik
Bild: DW

Am 9. Mai 1950 hielt der damalige französische Außenminister Robert Schuman am Quai d’Orsay eine kurze Rede, die als Geburtsstunde des europäischen Einigungsprozesses gilt. Der 9. Mai wird heutzutage als „Europatag“ gedacht. Die Idee einer europäischen Entwicklungspolitik wurde im selben Moment geboren. Schuman hob die positiven Auswirkungen hervor, die ein stärker vereintes Europa für die übrige Welt haben könnte, und wies darauf hin, dass der durch engere wirtschaftliche Zusammenarbeit erzeugte Wohlstand Europa helfen könne, die Entwicklung auf dem afrikanischen Kontinent voranzubringen - ein Gebiet, das zu jener Zeit nahezu vollständig unter der Kontrolle europäischer Kolonialmächte war.

Erik Lundsgaarde vom DIE (Foto: DIE)
Erik Lundsgaarde, DIEBild: DIE

Eine europäische Agenda für die Entwicklungspolitik

In den 60 Jahren seit der berühmten Schuman-Erklärung war der Wille der europäischen Staaten, gemeinsame Interessen durch stärkere Zusammenarbeit auf europäischer Ebene zu verfolgen, je nach Politikfeld und je nach politischer Führung unterschiedlich ausgeprägt. Das Gewicht nationaler Interessen war in der europäischen Entwicklungszusammenarbeit von Beginn an stark. Besonders Frankreichs Bestreben, enge Bindungen mit seinen überseeischen Gebieten und später ehemaligen Kolonien aufrechtzuerhalten, prägte die Ausrichtung der europäischen Entwicklungspolitik in der Anfangszeit der Europäischen Gemeinschaft.

Als sich mehr Staaten dem europäischen Projekt anschlossen, gewannen die nationalen Interessen in den Beziehungen zu Entwicklungsländern jedoch geographisch und thematisch an Breite. Die EU-Mitgliedsstaaten verständigten sich auf einen gemeinsamen Rahmen, der die Entwicklungszusammenarbeit anleiten sollte und der Armutsbekämpfung, nachhaltige Entwicklung und die Förderung von Good Governance und Menschenrechten in den Mittelpunkt der gemeinsamen Agenda stellte. Die Formulierung dieser gemeinsamen europäischen Agenda wurde von Zusagen von EU-Gebern begleitet, zusätzliche Ressourcen für Entwicklung zu mobilisieren. Wie häufig erwähnt, kommen 60 Prozent der derzeitigen Entwicklungshilfeleistungen von der Europäischen Kommission und den EU-Mitgliedsstaaten.

Wenn nicht mehr, dann wenigstens effizient

Die jüngsten Daten über die Zahlungen der Geber deuten jedoch an, dass Europa weit davon entfernt ist, seine Zusagen einzuhalten. Durch Kürzungen der Hilfe unter anderem in Ländern wie Deutschland und Italien ging das Volumen der europäischen Hilfe 2009 zurück. Viele EU-Länder hinken weiterhin hinter den traditionell großzügigen skandinavischen Ländern und den Niederlanden bei der Finanzierung ihrer gemeinsamen Entwicklungsziele zurück. Diese Schwächen sind bemerkenswert, denn die Fähigkeit der EU, ihre Zusagen einzuhalten, hängt vor ihren Mitgliedsstaaten ab: Nur etwa ein Fünftel der EU-Hilfe wird über die EU-Ebene koordiniert, der übrige Teil läuft über bilaterale Programme der Mitgliedsstaaten oder deren Beiträge zu internationalen Organisationen.

Selbst wenn die europäischen Geber im derzeitigen wirtschaftlichen Klima nicht in der Lage sind, den politischen Willen aufzubringen, die Mittel für die Entwicklungsfinanzierung zu erhöhen, können sie doch zumindest die Anstrengungen verdoppeln, ihre Hilfssysteme effizienter zu machen, so dass Ressourcen frei werden und damit anhaltende Entwicklungsdefizite angegangen werden können. Die Europäische Kommission schätzt, dass mit einer besseren Koordination unter den europäischen Akteuren um die drei bis sechs Milliarden Euro eingespart und für wichtige Entwicklungsaufgaben verwendet werden könnten. Der EU-Mehrheitsanteil an den globalen Entwicklungshilfeleistungen wäre ein noch überzeugenderer Ausdruck von europäischer Führung, wenn klar wäre, dass die Investitionen der Mitgliedsstaaten komplementäre Ziele verfolgten.

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Eine bessere Koordination tut Not

Die EU sollte die Einhaltung ihrer finanziellen Zusagen nicht aus den Augen verlieren und gleichzeitig sicherstellen, dass sie institutionell in der Lage ist, die Effizienz ihres entwicklungspolitischen Handelns zu verbessern. Die im Vertrag von Lissabon vorgesehenen Reformen enthalten dieses Versprechen; Entwicklung ist ins Zentrum der EU-Außenbeziehungen gestellt worden. In den vergangenen Wochen hat die EU hart daran gearbeitet, die Struktur und Funktionen des neuen Europäischen Auswärtigen Dienstes (EAD) zu bestimmen.

Davina Makhan vom DIE (Foto: DIE)
Davina Makhan, DIEBild: DIE

Die Veränderung hergebrachter Arbeitsweisen braucht Zeit. Außenpolitik und Entwicklungszusammenarbeit waren traditionell Bereiche, in denen nationale Interessen gemeinsame, in Brüssel oder mit Partnern in den Entwicklungsländern ausgehandelte Aktionen dominierten. Seit 2000 sind international und in Europa einige politische Rahmenvereinbarungen verabschiedet worden, die sowohl eine bessere Koordination unter den Gebern als auch die Ausrichtung auf die Präferenzen der Partnerländer fordern. Unter der deutschen Ratspräsidentschaft 2007 hat die EU einen Verhaltenskodex formuliert, der die Arbeitsteilung zwischen den europäischen Geberländern verbessern und sie anhalten soll, ihr Engagement auf Gebiete zu konzentrieren, in denen sie besondere Kompetenz aufweisen, und Dopplungen zu vermeiden.

Um die Konsistenz der europäischen Entwicklungsanstrengungen zu stärken und um an Effizienz zu gewinnen, muss das Niveau der europäischen Koordinierung erhöht werden. Dies bedeutet nicht notwendigerweise Ressourcen für Entwicklung von den bilateralen Programmen der EU-Mitgliedsstaaten auf supranationale Ausführungsorganisationen zu verlagern. Es bedeutet vielmehr, dass die EU-Institutionen bei der Zusammenführung gemeinschaftlicher Entwicklungsstrategien eine größere Rolle bei der Standardisierung und bei der Schaffung von Durchsetzungsmechanismen sicherstellen müssen und dass diese Standards mehr als leere Rhetorik sind.

Die Mitgliedsstaaten müssen die EU von der Leine lassen

Die Europäische Union kann sich jedoch nur dann als kohärenter und glaubwürdiger Entwicklungsakteur positionieren, wenn die Mitgliedsstaaten ihr dies gestatten. Das von Entwicklungskommissar Andris Piebalgs vorgelegte "Spring Package" ist eine nachdrückliche Mahnung, dass eine erfolgreiche EU-Entwicklungspolitik von der aktiven Unterstützung und dem politischen Willen der Mitgliedsstaaten abhängt, gemeinsam eine konsistente Antwort auf die Entwicklungsherausforderungen zu formulieren und danach zu handeln.

Der mühsame Prozess, den EAD aufzubauen, kann nur dann zu einem sinnvollen Ergebnis für Entwicklung kommen, wenn sich die Mitgliedsstaaten zu den schwierigen Entscheidungen und Zugeständnissen bereit finden, die notwendig sind, damit europäische Koordinierung stattfinden kann. Nur auf dieser Basis werden sich die jüngsten mit Lissabon unternommenen Schritte in Richtung auf eine größere europäische Integration in einer effektiveren Zusammenarbeit mit Entwicklungsländern niederschlagen. Die Zeit ist reif, dass die europäische Führung die über 60 Jahre alte Vision eines vereinten Europa in der Entwicklungspolitik Wirklichkeit werden lässt.

Die Autoren Erik Lundsgaarde und Davina Makhan sind Wissenschaftliche Mitarbeiter in der Abteilung "Bi- und multilaterale Entwicklungspolitik" des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik (DIE)

Das Deutsche Institut für Entwicklungspolitik (DIE) zählt weltweit zu den führenden Forschungsinstituten und Think Tanks zu Fragen globaler Entwicklung und internationaler Entwicklungspolitik. Das DIE berät auf der Grundlage unabhängiger Forschung öffentliche Institutionen in Deutschland und weltweit zu aktuellen Fragen der Zusammenarbeit zwischen Industrie- und Entwicklungsländern. Das einzigartige wissenschaftliche Profil des DIE ergibt sich aus dem Zusammenspiel von Forschung, Beratung und Ausbildung. Dadurch baut das DIE Brücken zwischen Theorie und Praxis der Entwicklungspolitik.