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Musik

25 Jahre Geschichte in 33 Minuten Lied

Christian Weibezahn
13. März 2018

Die Hamburger Band "Kraus" beschreibt in ihrem Song ein Vierteljahrhundert deutsch-deutsches Leben seit der Wiedervereinigung - und wie die junge Generation das Erstarken des Rechtspopulismus erlebt hat.

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Kraus - Das längste Lied der Welt
Bild: Bjoern Schoenfeld

Als im Jahr 2014 Menschen in Dresden gegen die deutsche Einwanderungs- und Asylpolitik auf die Straße gingen, war dies die Geburtsstunde der so genannten "Pegida" (Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes), einer rechtspopulistischen Organisation, die schnell immer mehr Unterstützer fand. Gleichzeitig versammelten sich Gegendemonstranten. Sie riefen laut: "Eure Kinder werden so wie wir!" - eine Ansage gegen die Rückwärtsgewandtheit, Fremdenfeindlichkeit und den dumpfen Nationalismus, der in ihren Augen alles andere als zukunftsweisend für eine Gesellschaft war. Michael Krause, Sänger und Frontmann der Hamburger Band Kraus, ging dieser Slogan der vorwiegend jungen Menschen nicht mehr aus dem Kopf. Genauso wenig wie die Frage, wie es sein konnte, dass wieder rechte Parolen in Deutschland gerufen werden. In der Silvesternacht desselben Jahres schrieb er seine Gedanken nieder: "Ich begann mein Leben und das meiner Freunde auf diese Zeile hin abzutasten. Als ich im Morgengrauen fertig war, hatte ich unsere Kindheit und unser Erwachsenwerden vor mir auf einem Stapel Papier."

Ausschnitt aus "Eure Kinder" von Kraus

Die Kinder des Mauerfalls

Heraus kam ein Song, der 25 Strophen und mehr als 30 Minuten lang ist. Wir besorgen uns drüben'n Candlelight-Döner / und gehn nach Hause und löschen das Internet, so beginnt"Eure Kinder", es ist einer von zwölf Songs auf dem von Kraus im Februar veröffentlichten Debütalbum "Mehr als laut", auf dem sich Indie-Rock Nummern zu gesellschaftlichen Themen und gefühlvolle Balladen über das private Glück und Unglück finden lassen. "Eure Kinder" sticht dabei nicht nur aufgrund seiner rekordverdächtigen Länge von über einer halben Stunde heraus. Es ist der Versuch, eine Generation anhand ineinander verwobener Biografien über ein Vierteljahrhundert von der Wende 1990 bis 2015 zu begleiten. Da durfte nichts fehlen oder gekürzt werden, ist Michael Krause überzeugt.

Kraus - Das längste Lied der Welt
Bild: Bjoern Schoenfeld

Beeindruckend wird hier der gesellschaftliche Wandel in Deutschland nachgezeichnet: von erhofften blühenden Landschaften und gewonnener Freiheit hin zu populistischen Bewegungen, die sich heute wieder für Mauern statt gegen sie stark machen. Der Song habe eine klare Botschaft gegen Abschottung, Hass und der Angst vor dem Neuen: "'Eure Kinder' sagt aus, bei euch ist jetzt Hopfen und Malz verloren, aber eure Kinder, die werden so wie wir, weil es anders überhaupt nicht mehr in diese Zeit passt und weil man anders gar nicht in Richtung Zukunft gehen kann", erklärt Krause.

Das Lebensgefühl der Nach-Wende-Generation

Bei dem Song "Eure Kinder" ist sie immer zu spüren - die Suche nach der eigenen Identität und dem Platz in einer sich schnell wandelnden Welt, die auch die Elterngeneration nicht mehr richtig einordnen und erklären kann. All das erzählt Michael Krause mit Texten, die mal pointiert-ironisch, mal tiefgründig und bewegend daherkommen. Er gilt zu Recht als Songwriter-Talent und wurde bereits mehrfach ausgezeichnet - etwa mit dem Rio-Reiser-Preis und dem Panikpreis der Udo-Lindenberg-Stiftung.

Für Michael Krause muss ein Song immer zwingend sein. "Ein guter Song enthält für mich immer eine Art Revolution! Das kann eine ganz leise Revolution sein, aber es muss irgendwas umgestürzt werden. Es muss irgendeinen Grund geben, dass es diesen Song gibt. Eine Notwendigkeit." Eine Haltung, die sich gerade in "Eure Kinder" entdecken lässt.

Vom Song zum Kinofilm

Kraus - Das längste Lied der Welt
Bild: Bjoern Schoenfeld

Aus dem Song entstand ein weiteres ambitioniertes Projekt in Form des gleichnamigen Kino-Kurzfilms, der auf dem diesjährigen Filmfestival Max-Ophüls-Preis Premiere hatte und als bester mittellanger Film nominiert worden war. Zwar ging er leer aus, aber die Tatsache, dass der Film bereits in der Rohschnittfassung in die engere Auswahl kam, zeugt von seiner Qualität. Klaus Maeck, der schon mit Filmen wie "Soulkitchen"  und "Gegen die Wand" von sich reden machte, produzierte den Musik-Film. Regie führte Aron Krause, der bereits Musikvideos von Bands wie "Tocotronic" und "Feine Sahne Fischfilet" in Szene setzte. Der Film spielt im Mikrokosmos eines Mietshauses und erzählt anhand ineinander verwobener Biographien kunstvoll die Zeit in Deutschland seit dem Jahr 1990 nach. "Das Projekt wurde immer größer", sagt Michael Krause, "und irgendwann wussten wir: Hier entsteht etwas völlig Neues, kein Musikvideo, sondern ein Stummfilm zur Musik. Das ist kein Film einfach nur fürs Programmkino. Wir müssen ihn mit der Band live begleiten."

Wer die Songs von Kraus in ihrer vollen Wucht erleben möchte, der muss sie live sehen. Das ist derzeit am 26.03. in Berlin möglich. Für alle anderen bleibt ein beachtenswertes Debütalbum mit cleveren, doppelbodigen Texten und ein beeindruckender Film. Man ist sich irgendwann nicht sicher, ob man die Band nun hören, sehen oder lesen sollte. Die Antwort ist einfach: sowohl als auch und sowieso!