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"Euphorie über Integrationsbeschlüsse nicht gerechtfertigt"

Nina Niebergall14. April 2016

Deutschlands erstes Integrationsgesetz verspricht viel: Mehr Jobs für Flüchtlinge und weniger soziale Brennpunkte. Dabei müssten Initiativen eigentlich viel früher ansetzen, meint Politologe Stefan Luft im DW-Interview.

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Sprachkurs Migranten Symbolbild Integration (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

DW: Unmittelbar nachdem sich die Koalition in der vergangenen Nacht auf ein Eckpunktepapier einigte, twitterte SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann: "50 Jahre nach dem Beginn der Einwanderung bekommt Deutschland jetzt ein Integrationsgesetz". Vize-Kanzler Sigmar Gabriel spricht von einem "historischen Schritt". Herr Luft, wie wichtig ist das neue Gesetz?

Stefan Luft: Zunächst einmal sind in dem Aufenthaltsgesetz von 2005 schon Bestimmungen zur Integration enthalten. Die Euphorie ist verständlich aus der Perspektive beteiligter Politiker. Angesichts der begrenzten Handlungsfähigkeit des Staates im Bereich der Integrationspolitik ist sie aber aus meiner Sicht nicht gerechtfertigt.

Dabei verspricht das Gesetz durchaus einige Neuerungen. Zum Beispiel will die Bundesregierung 100.000 zusätzliche "Arbeitsgelegenheiten" zu schaffen. Gemeint sind vermutlich Ein-Euro-Jobs. Ist damit eine dauerhafte Integration auf den Arbeitsmarkt gewährleistet?

Auf keinen Fall. Es geht ja darum, zunächst einmal Voraussetzungen für einen Einstieg in den regulären Arbeitsmarkt zu schaffen. Es darf jedoch nicht passieren, dass Flüchtlinge ausschließlich als Interessenten für geringfügige Beschäftigungen angesehen werden - nur weil sie bei Niedriglohnarbeiten in Deutschland Einkommen erzielen können, die sie in ihren Herkunftsländern nie bekämen. Das kann nicht das Ziel einer Integrationspolitik sein, die auf gleichberechtigte Teilhabe ausgerichtet ist.

Politikwissenschaftler Dr. Stefan Luft (Foto: Privat)
Politikwissenschaftler Stefan LuftBild: Privat

Wie könnte eine solche Integrationspolitik umgesetzt werden?

Es sind vorwiegend jüngere Menschen zu uns gekommen. Diese müssen nachqualifiziert werden, möglicherweise Schulbesuche nachholen, um Ausbildungs- und später Arbeitsplätze in Deutschland annehmen zu können. Da sehe ich die eigentliche Herausforderung.

Das geplante Gesetz enthält nicht nur Anreize, sondern auch Verpflichtungen - unter anderem zu Sprach- und Integrationskursen. Viele Flüchtlinge fühlen sich jetzt schon bevormundet und in ihrer Handlungsfreiheit eingeschränkt. Sind solche Vorschriften der richtige Weg, um die Menschen mit in die Gesellschaft einzubeziehen?

Das sind auf jeden Fall legitime Maßnahmen. Sie werden jedoch nicht entscheidend sein. Denn bei der Integration geht es in erster Linie darum, Kontakte zu Einheimischen zu knüpfen. Diese sind beispielsweise bei der Integration in den Arbeitsmarkt von großer Bedeutung. Wenn ich Kontakte in die Aufnahmegesellschaft hinein habe, wird es mir leichter gelingen, über interethnische Netzwerke einen Arbeitsplatz zu finden. Auch für den Spracherwerb ist es entscheidend, dass ich die Sprache des Aufnahmelandes im Alltag benötige. Wenn das nicht der Fall ist und ich in einem bestimmten Stadtteil bleibe, in dem sich eine ethnisch-soziale Gruppe konzentriert, werde ich die Sprache nicht lernen - da kann die Regierung noch so viele Sanktionen aufstellen.

Also versprechen die geplanten Wohnsitzauflagen für Menschen, deren Aufenthalt in Deutschland bewilligt wurde, keinen Erfolg? Genau dadurch will die Bundesregierung ja die Entstehung sozialer Brennpunkte vermeiden.

Es hat in den 1990er Jahren bereits ein Wohnungszuweisungsgesetz für die Spätaussiedler gegeben - mit positiven Effekten. Die Residenzpflicht wird wohl in erster Linie für diejenigen gelten, die staatliche Transferleistungen erhalten. Grundsätzlich ist der Ansatz sinnvoll. Die Frage ist, ob sich in den Regionen tatsächlich Integration vollzieht. Es ist wichtig, dass die Menschen ihre Zeit nicht nur absitzen, sondern nutzen, um sich vor Ort erfolgreich im Bildungssystem und im Arbeitsmarkt zu integrieren.

Pressekonferenz zum Integrationsgesetz: Angela Merkel, Horst Seehofer, Siegmar Gabriel, Thomas de Maiziere (Foto: Reuters)
Zufriedene Gesichter am Koalitionstisch: Nach sieben Stunden war das Integrationsgesetz ausgehandeltBild: Reuters/F. Bensch

Das geplante Gesetz nimmt verstärkt die Migranten in die Pflicht: Wer die angebotenen Integrationsmaßnahmen nicht wahrnimmt, muss beispielsweise mit einer Kürzung der Leistungen rechnen. Inwiefern sind solche Sanktionen nötig?

Das ist eine legitime staatliche Maßnahme, aber es wird nur eine Minderheit betreffen. Diejenigen, die ein Interesse daran haben, dauerhaft in Deutschland zu bleiben und sich auch im Hinblick auf einen sozialen Aufstieg zu etablieren, werden alle Möglichkeiten dazu nutzen.

Wie wird der Rest der Gesellschaft auf das Integrationsgesetz reagieren? Fördert die Betonung von Pflichten und Sanktionen nicht auch das Vorurteil, Flüchtlinge wollten sich nicht integrieren?

Ich glaube nicht, dass die öffentliche Stimmung dadurch wesentlich beeinflusst wird. Entscheidend wird vielmehr sein, ob es gelingt, die Menschen möglichst bald aus den Erstaufnahmeeinrichtungen herauszubekommen. Erst wenn sie nicht mehr nur unter sich sind, können sie sich in den Integrationsprozess hineinbegeben.

Fehlen aktuell staatliche Initiativen, die bereits vor dem Integrationsprozess ansetzen?

Im vergangenen Jahr hat das Bundeskabinett zwar 3000 neue Stellen für das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge beschlossen. Das hat zum Einen allerdings sehr lange gedauert und zum Anderen müssen erst einmal entsprechend qualifizierte Menschen zur Verfügung stehen. Das ist die Konsequenz einer Politik, die über sehr viele Jahre hinweg nicht genügend Personal hat anwachsen lassen, um dem Anstieg der Asylanträge gerecht zu werden. Das hält die Menschen viel zu lange vom richtigen Leben fern, in dem sich Integration im Alltag abspielt.

Dr. Stefan Luft ist Dozent für Politikwissenschaft an der Universität Bremen. Schwerpunktmäßig beschäftigt er sich mit Migrations- und Integrationspolitik.

Das Interview führte Nina Niebergall.