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EU und Türkei: Ungleiche Handelspartner

Zhang Danhong25. Juli 2016

Die EU ist der mit Abstand größte Handelspartner der Türkei; umgekehrt rangiert Ankara auf Platz sechs der EU-Handelspartner. Der Erfolg hat einen Namen: Zollunion. Nun droht sie in eine Schieflage zu geraten.

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Symbolbild Aufhebung Visumspflicht für türkische Staatsbürger
Bild: Getty Images/C. McGrath

Vor genau 20 Jahren trat die Türkei der Europäischen Zollunion bei. Fast alle türkischen Industriegüter können seitdem zollfrei in die EU exportiert werden - und umgekehrt. Der zollfreie Handel mit der EU hat wesentlich zu den hohen Wachstumsraten in der Türkei bis zum Ausbruch der Finanzkrise beigetragen.

Ein Problem wurde damals übersehen: Die Asymmetrie, die bei Freihandelsabkommen zwischen der EU und Drittstaaten entsteht. So würden die USA nach dem Zustandekommen von TTIP ihre Produkte ebenfalls zum Nulltarif in die Türkei verkaufen können, während sie umgekehrt weiterhin Zölle für türkische Waren erheben dürfen, da die Türkei kein Mitglied der EU ist.

"Auf dem amerikanischen Markt werden die türkischen Exporteure benachteiligt, da die europäischen Hersteller dann keine Zölle zahlen, türkische aber schon", sagt Erdal Yalcin vom Münchner Ifo-Institut.

Die Türkeit befürchtet Verluste durch TTIP

Zusammen mit einigen Kollegen hat er in einer Studie errechnet, dass einzelne Sektoren in der Türkei durch TTIP vier bis zehn Prozent weniger exportieren würden.

In zehn bis zwölf Jahren würde diese Asymmetrie der Türkei einen Wohlstandsverlust von 18 bis 20 Milliarden Dollar bescheren. Das entspräche einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts von rund zwei Prozent. Deswegen schrillten mit dem Beginn der TTIP-Verhandlungen sämtliche Alarmglocken in Ankara. Zeitweise wurde mit einer Aussetzung der Zollunion gedroht.

Wie konnte ein solch wichtiger Aspekt übersehen werden? Dafür gebe es zwei Gründe, meint Yalcin. "Die Türkei hat damals geglaubt, dass die Mitgliedschaft in der Zollunion nur ein Zwischenschritt auf dem Weg zu einer Vollmitgliedschaft ist", sagt der Ifo-Experte gegenüber der DW.

Deutschland Dr. Erdal Yalcin
Dr. Erdal Yalcin vom Ifo-InstitutBild: Ifo-Institut

Wenn die Türkei Vollmitglied der EU würde, würden auch alle Verträge, die die EU mit Drittstaaten abschließt, automatisch für die Türkei gültig sein. Der zweite Grund liege darin, dass niemand die Vielzahl der bilateralen Freihandelsabkommen von heute vorausgesehen hätte. Mit der Geburt der Welthandelsorganisation (WTO) dachte man, dass der multilaterale Weg im Welthandel unumkehrbar sei.

Beides erwies sich als Fehleinschätzung. Die Türkei ist dem Ziel einer Vollmitgliedschaft in der EU derzeit eher ferner denn näher, ebenso in den Sternen liegt ein verbessertes multilaterales Handelsabkommen im Rahmen der WTO.

Asymmetrie durch weitere Abkommen verstärkt

Nicht wenige halten das geplante Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA (TTIP) für so gut wie tot. Also besteht für Ankara eigentlich kein Grund zur Sorge. Erdal Yalcin lässt das nicht gelten. "Wir verhandeln im Moment mit einer Vielzahl von Ländern und Regionen."

Die Verhandlungen mit Japan seien gut vorangeschritten, auch weil sie in der Öffentlichkeit kaum thematisiert würden. Ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und Japan würde die türkische Automobilzulieferindustrie stark treffen, ist der Experte überzeugt.

Das Problem der Asymmetrie ist der Schweiz fremd, die ebenfalls kein EU-Mitglied ist, aber ihrerseits ein Freihandelsabkommen mit der EU hat. Im Falle von TTIP könnte die Eidgenossenschaft die US-Produkte mit demselben Zolltarif belegen wie umgekehrt.

Die Zollunion in ein Freihandelsabkommen umwandeln - wäre das die Lösung für die Türkei? Nein, sagt Erdal Yalcin. Seine Studie belegt, dass ein Freihandelsabkommen der Türkei mehr Nachteile als Vorteile bringen würde. Denn anders als die Schweiz sind viele türkische Sektoren tief in die Produktionsstruktur der EU eingebunden.

Da die Zollunion die so genannten Ursprungszertifikate überflüssig macht, haben deutsche, französische oder italienische Unternehmen die Türkei vor allem zu einem Standort für Zwischenprodukte gemacht. Dieser Vorteil würde bei einem Freihandelsabkommen entfallen. Die Unternehmen hätten dann mit mehr administrativen Kosten zu kämpfen.

Empfehlung: Vertiefung der Zollunion

Die Ifo-Ökonomen empfehlen daher die andere Lösung - die Vertiefung der Zollunion, indem sie auf Dienstleistungsbranche und Agrarprodukte ausgeweitet wird. Alle würden davon profitieren: die Türkei von steigendem Handel mit der EU, die EU-Konsumenten, "auch die europäischen Dienstleister, weil sie den türkischen Markt von fast 80 Millionen Menschen besser bedienen könnten", sagt Yalcin.

Seiner Meinung nach habe durch die innenpolitisch schwierige Lage in Ankara die Lösung der Probleme innerhalb der europäisch-türkischen Zollunion aus der EU-Sicht deutlich an Bedeutung gewonnen. Denn eine sowohl politisch wie auch wirtschaftlich angeschlagene Türkei sei nicht im Interesse der EU.