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Kampf gegen Dschihadisten

Ralf Bosen8. Februar 2014

Immer mehr junge Europäer ziehen als Dschihadisten in den syrischen Bürgerkrieg. Unter ihnen sind auch viele Deutsche. Experten europäischer Städte sollen die Anwerbung weiterer selbsternannter Gotteskrieger verhindern.

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Drei vermummte Dschihadisten vor einer Moschee (Foto: Zac Baillie/AFP/Getty Images)
Bild: Zac Baillie/AFP/Getty Images

Gefährliche Fanatiker, fehlgeleitete Wirrköpfe oder traumatisierte Gewalttäter – solche Begriffe fallen in Europa häufig, wenn es um die europäischen Dschihadisten in Syrien geht. Je länger der Bürgerkrieg dort andauert, desto mehr wächst in der EU die Sorge, dass sich weitere Europäer den Extremisten anschließen. Befürchtet wird, dass sie in den Dschihadisten-Camps weiter radikalisiert werden und spätestens nach Ende des Bürgerkriegs als tickende Zeitbomben zurückkehren. EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström sprach von "sehr gefährlichen Menschen". Der EU-Anti-Terror-Beauftragte Gilles de Kechove sorgte mit dem Satz für Schlagzeilen, dass "bereits nur wenige Entschlossene eine große Bedrohung darstellen".

Ausbildungslager für Terroristen

Befeuert werden solche Horror-Szenarien von Medienberichten. Die britische Zeitung "Daily Telegraph" beispielsweise schrieb, das Terrornetzwerk Al-Kaida bilde hunderte britische Dschihadisten in Syrien für Anschläge aus, die sie als Heimkehrer verüben sollen. Andere Rekruten aus Europa und den USA würden ebenfalls trainiert, Autobomben zu bauen und in ihren Herkunftsländern Terrorzellen zu bilden, hieß es unter Berufung auf einen angeblichen Aussteiger einer Extremistengruppe. Um dieses Problem in den Griff zu kriegen, hatten sich die EU-Innenminister bei ihrem Treffen vor zwei Wochen in Athen darauf verständigt, junge Kämpfer an der Ausreise zu hindern und die Rückkehr anderer zu überwachen. Die Geheimdienste der Länder sollen dafür enger kooperieren.

Zudem setzt die EU auf eine europaweite Zusammenarbeit von Experten und lokaler Initiativen, die möglichst praxisnahe Erfahrung im Umgang mit Extremisten und Terroristen haben. Von der Öffentlichkeit weitgehend unbeobachtet, trafen sich deshalb in Den Haag 180 Fachleute sowie Vertreter nationaler Behörden aus 23 europäischen Metropolen, um zu beraten, wie man die Dschihadistenwelle aus Europa stoppen kann. Organisiert wurde die Sitzung vom Aufklärungsnetz gegen Radikalisierung RAN (Radicalisation Awareness Network), das die EU-Kommission 2011 ins Leben gerufen hatte. Auf der sogenannten Städte-Konferenz sollten sich die Fachleute aus den Bereichen Polizei, Verwaltung und Jugendarbeit über den Umgang mit den Radikalen austauschen, voneinander lernen und Lösungsvorschläge entwickeln.

Von Großbritannien lernen

"Sehr weit sind die Engländer, also das Vereinigte Königreich, was an der Kolonialgeschichte und den Erfahrungen mit den Anschlägen in London liegt", sagt Konferenzteilnehmer André Konze im DW-Gespräch. Der Geschäftsführer der Deutschen Hochschule der Polizei in Münster erzählt von dem nachahmenswerten Beispiel eines islamischen Projektleiters aus Birmingham, der nach Syrien gereist war, um sich ein Bild von der Lage zu machen. "Nach seiner Rückkehr konnte er jungen Extremisten sehr viel glaubwürdiger klarmachen, dass sie dort auf dem falschen Weg sind, wenn sie glauben, Syrien auf diese Art und Weise zu unterstützen."

Eine Porträtaufnahme von André Konze (Foto: DHP)
André Konze fordert Hilfe für die FamilienBild: DHP

Die jungen Menschen, die radikalisiert würden, hätten die Vorstellung, dass es dort etwas Schönes gebe, erklärt Konze weiter. Der "Heilige Krieg" werde mit positiven Assoziationen verbunden und "die europäischen Dschihadisten haben nicht die Spur einer Vorstellung, was für Gräuel es in Syrien gibt, was für Verbrechen begangen werden und was die wirklichen Ergebnisse dieses vermeintlich Heiligen Krieges sind". Mittlerweile kommen nach Schätzungen der Europäischen Union bis zu 20 Prozent der ausländischen Syrien-Kämpfer aus Westeuropa. Die meisten von ihnen sind zwischen 20 und 30 Jahren alt, stammen aus Frankreich, gefolgt von Großbritannien und Deutschland. Eine Konvertierung zum Islam wird von Experten nicht mit einer Radikalisierung gleichgesetzt, gilt aber als möglicher Indikator.

Mehr Hilfe für Familien

Das EU-Aufklärungsnetz gegen Radikalisierung RAN betont in einem Informationspapier für die Teilnehmer der Städtekonferenz, dass die Anzahl ausländischer Kämpfer, die nach Syrien reisen, wesentlich höher ist, als in ähnlichen Konflikten der letzten Jahrzehnte. Höher auch als in Afghanistan und Irak zusammen genommen. Das International Center for Study of Radicalisation ISCR in London - auf deren Untersuchungen sich das Aufklärungsnetz RAN bezieht - nimmt an, dass sich bis zu 2000 Kämpfer aus Europa in Syrien befinden. Ihre Zahl ist damit mehr als dreimal so hoch wie in einer Untersuchung des ISCR vom vergangenen April, als die Forscher von bis zu 600 europäischen Dschihadisten ausgingen.

Neben der Radikalisierung durch das Internet gelten gestörte Familienstrukturen als Keimzelle des Problems. Deshalb einigte man sich auf der Konferenz in Den Haag vor allem darauf, die Familien von Betroffenen mehr zu unterstützen. Sie sollen ermutigt werden, Hilfe zu suchen, "was momentan nicht der Fall ist", erklärt der Geschäftsführer der Deutschen Hochschule der Polizei, Konze. "Städte oder Kommunen sollten auf die Familien zugehen, wenn sie jemanden in ihrem Kreis haben, der angekündigt hat auszureisen oder der wiedergekommen ist." In Deutschland könnten dies die Jugendämter übernehmen, weil es sich meist um Jugendliche handele. Im Nachgang zur Städtekonferenz sollen Arbeitsgruppen die in Den Haag vereinbarten Vorschläge konkretisieren.

Ansprache auf Augenhöhe

Ob die vielfach klammen Haushalte europäischer Städte und Kommunen das für solche Präventivmaßnahmen nötige Geld bereitstellen können, gilt als zweifelhaft. Selbsthilfegruppen und andere ehrenamtliche Initiativen könnten helfen, die Lücke zu schließen, indem sie zwischen gefährdeten Familien und Behörden vermitteln. Insofern mag es konsequent sein, dass Kazim Erdogan eingeladen wurde, bei der Städtekonferenz einen Vortrag über seine Arbeit zu halten. Der 60-Jährige ist Gründer und Vorsitzender von Deutschlands erster Selbsthilfegruppe türkischstämmiger alleinerziehender Väter in Berlin. Immer wieder thematisiert die Gruppe öffentlich die Gefahren islamistischer Propaganda im Internet oder in Hinterhof-Moscheen.

Eine Porträtaufnahme von Kazim Erdogan (Foto: privat)
Kazim Erdogan vom Verein "Aufbruch Neukölln"Bild: privat

"Viele der gefährdeten jungen Menschen sind Kinder von Müttern, die sich überfordert fühlen", sagt der Psychologe der DW. "Wir schlagen deswegen vor, dass die Männer mehr Verantwortung für Bildung, Erziehung und Kommunikation übernehmen." In Den Haag erklärte er den Konferenzteilnehmern, dass sie islamische Familien nur mit einer direkten, verständlichen Ansprache auf Augenhöhe erreichen können. Eine gelungene Kommunikation und eine kultursensible Beratung sei die vielleicht wichtigste Voraussetzung, eine Radikalisierung junger Moslems in Europa zu verhindern. "Wir müssen alles dafür tun, dass wir mehrere zehntausend gefährdete junge Menschen erreichen, die keine Zukunftsperspektive haben, die sich ausgegrenzt fühlen." Andererseits müssten die Eltern sensibilisiert werden, auf das Umfeld ihrer Kinder zu achten, mit ihnen zu reden, damit deren Schicksal "nicht dem Zufall überlassen wird".