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Politik

Harter Brexit stößt auf Widerstand

17. Januar 2017

Die Rede der britischen Premierministerin zum "harten" Brexit stößt in Brüssel und Straßburg auf wenig Gegenliebe. Nur einer jubelt. Jetzt stehen schwierige Verhandlungen an. Bernd Riegert aus Straßburg.

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Flaggen EU und Großbritannien Symbol Brexit
Bild: picture-alliance/empics/T. Melville

Der Chefunterhändler der Europäischen Union für den Austritt der Briten, Michel Barnier, hat genau zugehört. Die britische Premierministerin Theresa May hat eine völlige Loslösung von der EU angekündigt. Das bedeutet für Barniers Team zunächst einmal viel Arbeit, weil die in über 40 Jahren gewachsenen Verbindungen im Budget, bei Projekten, bei Forschung und Bildung juristisch sauber gekappt werden müssen. Danach wird die Europäische Union dann über ein Freihandelsabkommen mit Großbritannien verhandeln können, aber nicht müssen. Sollte das nicht fertig sein, wenn der Brexit rechtskräftig wird, dann würde Großbritannien unter den Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) als normaler Drittstaat behandelt. Die Zölle für britische Waren bei der Einfuhr in die EU würden rund 2,6 Prozent betragen. Das ist der durchschnittliche Satz, den die EU von ihren Handelspartnern verlangt, mit denen sie keine Handelsabkommen geschlossen hat. Die EU ist zurzeit der größte Handelspartner Großbritanniens, wobei die Briten mehr Waren importieren als sie exportieren.

Markus Ferber NEU
EU-Parlamentarier Ferber: Erhebliche Risiken für die BritenBild: DW/B. Wesel

Großbritannien will nach den Worten von Premierministerin May nicht mehr länger Teil des Binnenmarktes der EU sein, sondern nur noch Zugang zu diesem Markt haben. Da sind verschiedene Modelle denkbar, heißt es von den Experten aus der EU-Kommission, die mit dem ehemaligen französischen EU-Kommissar Barnier zum ersten Mal das Ausscheiden eines Mitgliedsstaates organisieren. Offiziell will EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker am Mittwoch im Europäischen Parlament auf die Rede reagieren. Am Abend will er erst einmal mit Theresa May telefonieren, teilte ein Sprecher mit.

Britische Finanzwirtschaft unter Druck

Auf jeden Fall werden es Finanzdienstleistungen und andere Dienstleistungen aus Großbritannien unter WTO-Regeln schwerer in der EU haben, denn sie sind weit stärker reguliert als Industriegüter oder Rohstoffe. Der CSU-Europaabgeordnete und Finanzexperte Markus Ferber sieht die Londoner Finanzwirtschaft in ernste Schwierigkeiten geraten. "Die City hat enorm vom Zugang zum Binnenmarkt und der Möglichkeit, Finanzdienstleistungen in der ganzen EU anbieten zu können, profitiert. Wenn das plötzlich wegfällt und das Vereinigte Königreich zum normalen Drittstaat wird, ist eine veritable Wirtschaftskrise vorprogrammiert", warnte Ferber in Straßburg. Finanzdienstleistungen sind zurzeit der "Exportschlager" Großbritanniens. In diesem Sektor erzielt London einen Überschuss im Handel mit der EU.

London Premierministerin Theresa May bei Rede zu Brexit
May: Keine halben Sachen beim BrexitBild: picture-alliance/AP Photo/K. Wigglesworth

Einiges zu regeln gibt es bei der Einwanderung von EU-Bürgern nach Großbritannien. Sie würden wohl nach einem Quotensystem ausgesucht und ein Visum oder eine Arbeitserlaubnis benötigen. Ähnliches wird die EU dann auch für britische Bürger einführen, vergleichbar den Verfahren bei anderen Drittstaaten. Für EU-Bürger, die bereits in Großbritannien leben, will man Garantien abgeben, kündigte die britische Regierungschefin an. Auch die EU hat signalisiert, dass Briten, die etwa in Frankreich, Spanien oder Deutschland leben, dort bleiben könnten. "Der harte Brexit ist voller Fallstricke und Widersprüche", kritisierte der SPD-Europaabgeordnete Jo Leinen die Rede der Premierministerin. Zugang zum Binnenmarkt, ohne sich den Regeln unterwerfen zu wollen, sei die Quadratur des Kreises, sagte Leinen in Straßburg.

Kritik an britischer Haltung aus dem Europaparlament

Theresa May hatte die Europäische Union bei künftigen Brexit-Verhandlungen vor "Strafmaßnahmen" gewarnt. Finanzminister Philip Hammond drohte damit, Großbritannien könne zu extrem niedrigen Unternehmenssteuern gezwungen sein und eine Steueroase vor der Haustür der EU werden. Für solche Drohungen hat der konservative Europaabgeordnete Markus Ferber kein Verständnis. "Die britische Regierung wäre gut beraten, sich noch einmal in Erinnerung zu rufen, wer hier wen verlassen möchte. Wenn man sich die Rhetorik der vergangenen Tage anhört, hat man den Eindruck, dass der britischen Regierung der Ernst der Lage nicht klar ist", sagte Ferber am Rande der Plenarsitzung in Straßburg.

Frankfurt will Londoner locken

Auch die grüne Fraktion, die sich für einen Verbleib Großbritanniens in der EU ausgesprochen hatte, übte scharfe Kritik an der Rede von Premierministerin May. "Sie hat die Drohung ihres Finanzministers wiederholt Steuer- und Sozialdumping im Vereinigten Königreich einzuführen, um sich Wettbewerbsvorteile gegenüber der EU zu sichern. Es ist ein Schlag ins Gesicht derjenigen, die ein neues Verhältnis zu Großbritannien anstreben, dass ein Teil der sozialen und umweltpolitischen Standards gerettet werden kann. Vor allem für die Briten ist das ein Risiko", sagte der Vorsitzende der Grünen-Fraktion im Europa-Parlament Phillipe Lamberts. Beifall für den angestrebten harten Brexit kam vom Europa-Abgeordneten Nigel Farage von der britischen Unabhängigkeitspartei (UKIP). Farage, einer der Vorkämpfer für den Brexit, freute sich, dass Premierministerin May "die Worte und Phrasen der UKIP gestohlen" und in ihrer Rede verwendet habe.

USA Wahlkampf Republikaner Donald Trump & Nigel Farage
Farage (links) und Präsident Trump (re.) sind sich einig: Brexit ist toll. Die EU wird sich auflösenBild: picture-alliance/AP Photo/G. Herbert

Tusk begrüßt ein wenig Klarheit

Das Europäische Parlament muss der Austrittsvereinbarung der EU mit Großbritannien zustimmen. Sollte es ein Veto einlegen, könnte Großbritannien aber nach zwei Jahren automatisch die EU verlassen, dann ohne schriftliche Vereinbarung. Offizielle Verhandlungen sollen erst starten, wenn Theresa May - wie im März angekündigt - den offiziellen Antrag nach Artikel 50 des Lissabonner Grundlagenvertrages stellt. Der Vorsitzende des Rates des Europäischen Union, Donald Tusk, hatte ein schwaches Lob für May parat: "Wenigstens haben wir jetzt etwas Klarheit, was die Briten wollen", sagte Tusk in Brüssel.

Porträt eines Mannes mit blauem Sakko und roter Krawatte
Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union