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Chinas Verantwortung

Ralf Bosen15. November 2012

Chinas Kommunisten haben den Generationswechsel eingeleitet. Im DW-Interview setzt EU-Botschafter Ederer auf eine wachsende globale Verantwortung der neuen Führung.

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Eine Porträtaufnahme vom EU Botschafter in China Markus Ederer (Foto: EU Delegation in China)
Bild: EU Delegation in China

Deutsche Welle: Herr Botschafter, die alte Politiker-Garde tritt ab, eine jüngere Generation soll von Peking aus das künftige Schicksal Chinas verantworten. Was sind Ihre Erwartungen an die neue chinesische Führung in Bezug auf die Zusammenarbeit mit der EU?

Markus Ederer: Ich würde drei Punkte nennen. Wir erwarten die Fortsetzung des Kurses der Öffnung und der Reform. In diesem Zusammenhang war die Rede von Parteichef Hu Jintao beim Kongress interessant, denn er hat sich auch für die Fortführung politischer Reformen ausgesprochen. Zweitens erwarten wir, dass China seinem ökonomischen Gewicht entsprechend auch politisch globale Verantwortung übernimmt. Drittens erwarten wir die Fortsetzung der trotz bestehender Differenzen doch sehr engen Zusammenarbeit mit der Europäischen Union der letzten Jahre.

Sie haben die Zusammenarbeit mit der EU angesprochen. Die EU ist der wichtigste Handelspartner Chinas, also ein wirtschaftliches Schwergewicht. Wie wird die EU von der Führung in Peking denn politisch wahrgenommen?

Ich glaube, dass die alte Trennung zwischen ökonomischem und politischem Gewicht so womöglich nicht mehr Bestand hat. Das sieht man an China am besten, das ein ökonomisches Schwergewicht ist, aber beispielsweise militärisch bei weitem nicht das Gewicht der USA und anderer großer Mächte erreicht hat. Und die EU wird in China durchaus als politisches Schwergewicht wahrgenommen. Wir arbeiten ja eng zusammen. Etwa bei der Frage des iranischen Atomprogramms, bei dem die EU unter dem Vorsitz ihrer Außenbeauftragten Catherine Ashton die Führung hat, und China mit fünf anderen Mächten eng zusammenarbeitet. Ebenfalls arbeiten wir bei der Bekämpfung der Piraterie vor der Küste Somalias zusammen, der Operation Atalanta. Diese wird von der EU geführt. Frau Ashton hat einen sehr engen strategischen Dialog mit der chinesischen Führung entwickelt, in der alle globalen Fragen und regionale Konflikte besprochen werden. Man versucht, gemeinsame Ansätze zu entwickeln. Also die EU wächst in den Augen Chinas auch als politische Macht.

Aber einerseits versucht die EU stellvertretend für ihre Mitglieder Politik mit China zu betreiben. Andererseits besteht jedes EU-Land aus Eigeninteresse auf selbstständigen Umgang mit China, vor allem wenn es um profitable Wirtschaftsabkommen geht. Steht die EU deshalb außenpolitisch gesehen von vornherein auf verlorenem Posten, solange ihre Mitgliedsländer eigene Politik betreiben?

Wir müssen zwischen den wirtschaftlichen Sachverhalten und dem Versuch einer gemeinsamen Außenpolitik unterscheiden. Natürlich ist es wirtschaftlich so, dass die Länder Europas ihre eigenen Außenwirtschaftsbeziehungen pflegen. Natürlich ist es auch so, dass die EU keine Firmen hat. Es ist völlig normal, dass nationale Regierungen versuchen, das Beste für ihre Wirtschaft zu tun. Aber was Handelsbeziehungen und die Bedingungen dafür betrifft, ist die EU allein zuständig. Die EU steht für die Zuständigkeit im Bereich Handel. Sie verhandelt Handelsabkommen, demnächst auch ein Investitionsabkommen mit China. Insofern ist es eher eine Ergänzung als eine Konkurrenz. Und außenpolitisch muss man sagen, dass nach dem Lissabon-Vertrag (Anmerkung der Redaktion: Im Lissabon-Vertrag wird der EU unter anderem mehr außenpolitische Kompetenz zu gesprochen) zwischen den EU-Mitgliedsstaaten eine sehr viel stärkere Übereinstimmung der Positionen bezüglich Chinas festzustellen ist. Ich merke das auch hier vor Ort, wo wir uns regelmäßig treffen mit allen 27 Mitgliedstaaten plus Kroatien und regelmäßig zu gemeinsamen Positionen finden.

Noch mal zum Thema Handelsbeziehungen. Die europäischen Märkte sind für Investoren aus dem Ausland weitgehend offen. Umgekehrt schotten sich die Chinesen ab oder zwingen ausländische Investoren, in ihrem Land zu produzieren, was unter anderem zu Arbeitsplatzverlusten in Europa und zu Patentschutzverletzungen europäischer Produkte führt. Müsste die EU als Interessenvertreter der europäischen Wirtschaft deshalb einen härteren Kurs gegenüber China fahren?

Die EU fährt einen sehr klaren Kurs, was die Frage des Marktzugangs und eines fairen Wettbewerbs gegenüber China betrifft. In der Tat gibt es dort Differenzen. Chinas Markt ist bei weitem nicht so offen wie der europäische. Gleichzeitig müssen wir aber auch sehen, dass die europäischen Direktinvestitionen in China die chinesischen Direktinvestitionen in Europa um einen Faktor von mehr als 50 übersteigen. Insofern muss man das etwas relativieren. Aber Europa ergreift auch Maßnahmen. Etwa, indem es im Bereich der öffentlichen Aufträge in Zukunft ein stärkeres partnerschaftliches Vertrauen einfordert. China versteht diese Sprache. Trotzdem hat es an einem bilateralen Investitionsabkommen mit der EU Interesse, das die Investitionen auf beiden Seiten verstärken und die Märkte beider Seiten öffnen soll.

Wie verletzlich hat die Finanzkrise die EU gemacht und inwieweit wird Ihre Arbeit als EU-Botschafter dadurch beeinflusst?

Man mag es paradox nennen, aber in den zwei Jahren meiner Arbeit hier war das Gefühl sehr stark, dass die wahrgenommene Schwäche der EU - die Finanzkrise, die Staatsschuldenkrise - das Gewicht der EU in China verstärkt hat. Warum? Weil sich China noch stärker bewusst ist, wie stark es auch von der Entwicklung in der EU abhängig ist. Wir sind der größte Markt für chinesische Waren. Die EU-Firmen sind die größten Lieferanten von Hochtechnologie in China. Das Land hat ein massives Interesse am Erhalt des Euro. Nicht nur wegen der notwendigen Vielfalt seiner Währungsreserven, sondern auch, weil es den Yuan als künftige Weltreservewährung aufbauen möchte. Das ist für China viel leichter möglich, wenn nicht nur eine große Währung, nämlich der Dollar, im Raum steht. Insofern konnten wir uns über Aufmerksamkeit und auch über Unterstützung Chinas in der Staatsschuldenkrise in Europa während der letzen Jahre nicht beklagen.

Auf der anderen Seite ist China in Europa auf Einkaufstour. Glauben Sie, dass Europa wirklich als gleichberechtigter Partner angesehen wird oder könnte Europa Gefahr laufen, von der chinesischen Wirtschaft abhängig zu werden?

Auch hier erleichtert ein Blick auf die Zahlen das Gefühl für die Relationen. Europa, die EU, ist immer noch die größte Volkswirtschaft der Welt, 12,5 Trillionen Dollar, größer als die USA und doppelt so groß wie die Volkswirtschaft Chinas. Insofern müssen wir derzeit keine Angst haben, dass wir nicht auf Augenhöhe sind. Außerdem ist es doch so, dass Europa die Investitionen braucht. Wir müssen offen sein, aber wir müssen auch klug sein, wenn es sich um strategische Investitionen oder Investitionen in strategische Infrastruktur und Industrien handelt, so dass keine Abhängigkeit entsteht. Bisher haben wir keinen Anlass zur echten Sorge.

Der deutsche Diplomat Markus Ederer ist seit 1. Januar 2011 für den Europäischen Auswärtigen Dienst (EAD) in Peking tätig und zuständig für China und die Mongolei.

Das Interview führte Ralf Bosen