1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei weiter gefährdet

19. Oktober 2006

Die Beitrittsverhandlungen der Türkei mit der Europäischen Union hängen in der Schwebe: Zweieinhalb Monate vor Ablauf eines EU-Ultimatums zeichnet sich keine Lösung im Streit mit Ankara um die Anerkennung Zyperns ab.

https://p.dw.com/p/9Gcl

Die europäischen Außenminister und ihr türkischer Kollege Abdullah Gül waren sich bei ihrem Treffen am Montag (16.10.) wie so oft schon im Prinzip einig: Alle wollen den Konflikt um das EU-Mitglied Zypern und seine Anerkennung durch die Türkei möglichst bald und möglichst ohne Gesichtsverlust beilegen. Nur, welcher Königsweg dahin beschritten werden kann, ist nach wie vor umstritten. Die finnische Ratspräsidentschaft hatte vor einigen Wochen eine Kompromissformel vorgelegt. Beim Treffen in Luxemburg gab es keine Annäherung, ja nicht einmal eine Diskussion, so der amtierende Ratsvorsitzende, der finnische Außenminister Erkki Tuomioja: "Daran wird schon eine ganze Weile gearbeitet, und wir werden weiter daran arbeiten, aber wir alle wissen, dass wir nicht mehr als ein paar Wochen Zeit haben. Wir haben das bei diesem Treffen nicht besprochen."

"Kuh ist nicht vom Eis"

Der deutsche Außenminister, Frank Walter Steinmeier, der die Ratspräsidentschaft am 1. Januar übernehmen wird, sagte: "Die Kuh ist nicht vom Eis. Sie wissen, dass offen gestritten wird, vor und hinter den Kulissen."

Seit einem Jahr laufen die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei, aber sie stecken in einer Sackgasse, weil die Türkei nach wie vor nicht bereit ist, Schiffe und Flugzeuge aus der Republik Zypern abzufertigen. Den Nordteil der Mittelmeerinsel hält die Türkei seit über dreißig Jahren besetzt. Eine Wiedervereinigung der Insel scheiterte 2004 am Widerstand der griechischen Zyprer im Süden. Der türkische Außenminister Abdullah Gül sagte, es müsse eine gerechte Lösung gefunden werden, die den realen Verhältnissen auf der geteilten Insel entspreche.

Frage des politischen Willens

Die finnische EU-Ratspräsidentschaft hat nun offenbar vorgeschlagen, einen Hafen im türkischen Nordzypern für den internationalen Handel zu öffnen. Im Gegenzug würde die Türkei in einem ihrer Häfen die Ladung zyprischer Schiffe löschen. Auf diesen symbolischen Kompromiss sollten sich beide Seiten einlassen, forderte EU-Erweiterungskommissar Olli Rehn. "Wir könnten jetzt für viele Jahre die letzte Möglichkeit zur Lösung der Zypernfrage haben, deshalb müssen jetzt alle Beteiligten am Zypernproblem ihren politischen Willen beweisen."

Nachlassender Reformeifer in der Türkei

Am 8. November legt Olli Rehn einen vermutlich kritischen Bericht zur Entwicklung in der Türkei vor, in dem nachlassender Reformeifer und ein Mangel an Pressefreiheit beklagt werden. Abdullah Gül, der türkische Außenminister, gestand zu, dass die Türkei in vielen wichtigen Bereichen "hinterher hänge". Wichtig sei der Wille seiner Regierung, die Lücken zu schließen.

Armenier-Frage

Zusätzlich belastet werden die türkisch-europäischen Beziehungen durch den Vorstoß der französischen Nationalversammlung, die das Leugnen des Völkermordes an Armeniern durch Türken während des 1. Weltkrieges unter Strafe stellen will. Die EU-Außenminister sagten, die Anerkennung des Völkermordes an den Armeniern solle nicht als zusätzliches Beitrittskriterium missverstanden werden. In der Türkei ist die Bezeichnung "Völkermord" für die Gräueltaten an den Armeniern als Angriff auf das "Türkentum" strafbar. Die Türkei hatte Frankreich Sanktionen angedroht, sollte das Gesetz nach Verabschiedung in der zweiten Kammer, im Senat, in Kraft treten. Außenminister Gül verurteilte die Haltung der französischen Nationalversammlung erneut. EU-Erweiterungskommissar Olli Rehn sagte, die Türkei sollte ihren Paragrafen 301 aus dem Strafgesetzbuch streichen, der die Meinungsfreiheit in Bezug auf das Türkentum einschränke.

Bernd Riegert, Brüssel
DW-RADIO, 16.10.2006, Fokus Ost-Südost