1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Telefonie für Migranten

Hilke Fischer29. März 2016

Mit sogenannten Ethno-Tarifen richten sich Mobilfunk-Anbieter speziell an Migranten. Durch den Zuzug von Flüchtlingen wächst der Markt in Deutschland enorm. Doch das Thema ist sensibel.

https://p.dw.com/p/1IIKO
Geschäfte von Lycamobile und Lebara Foto: THOMAS SAMSON/AFP/Getty Images
Bild: Getty Images/AFP/T. Samson

"Ab einem Cent pro Minute ins Ausland telefonieren", wirbt Ortel Mobile auf seiner Website. Mit einer SIM-Karte des Unternehmens könnten "Migranten in Deutschland zu attraktiven Preisen mobil in ihre Heimat telefonieren", sagt Marketing-Chef Gordon Röber. Ebenfalls buchbar seien Datenpakete für jeden Bedarf.

Und der Bedarf ist groß: Mehr als eine Million Flüchtlinge kamen alleine im vergangenen Jahr nach Deutschland - ein lukrativer Markt für Anbieter wie Ortel Mobile, Lycamobile oder Lebara, die mit sogenannten "Ethno-Tarifen" auf das Geschäft mit der Auslandstelefonie spezialisiert sind.

"Für die Anbieter ist das natürliche eine riesige Chance, neue Verträge an den Mann zu bringen", sagt Thomas Grund. Er arbeitet für die Verbraucherschutzorganisation Stiftung Warentest. Zusammen mit seinen Kollegen hat er auf deutsch, englisch und arabisch Merkblätter für Flüchtlinge und ihre Unterstützer erstellt. Sie informieren darüber, wie die Geflüchteten günstig in ihre Heimat telefonieren können.

Flüchtlinge in einer Notunterkunft in Stuttgart Foto: Marijan Murat/dpa
Für die Flüchtlinge in den Erstaufnahmestellen ist das Handy die einzige Verbindung in ihre HeimatBild: picture-alliance/dpa/M. Murat

"Wir haben beobachtet, dass die Anbieter ganz gezielt in Erstaufnahmestellen gehen und dort versuchen, Verträge zu verkaufen", so Grund. Auf die speziellen Bedürfnisse der potenziellen Kunden werde dabei jedoch selten eingegangen.

Werbung in der Muttersprache

Die Telefónica-Marke Ortel Mobile entstand, als der deutsche Mobilfunkmarkt bereits weitgehend gesättigt war. "Ab der Jahrtausendwende haben sich die Mobilfunkanbieter auf die Suche nach neuen Zielgruppen gemacht", sagt Torsten Gerpott, Professor für Telekommunikationswirtschaft an der Universität Duisburg-Essen.

In Deutschland leben mehr als drei Millionen Türkisch sprechende Personen und mehr als vier Millionen Menschen aus der ehemaligen Sowjetunion. Insgesamt hat etwa jeder Fünfte hierzulande einen Migrationshintergrund - ein nicht zu verachtender Markt.

Das Ergebnis waren Spezialtarife mit speziellem Service: Die Telefónica-Marke Ay Yildiz bietet vergünstigte Tarife in die Türkei und eine Kundenhotline auf deutsch und auf türkisch. Die Website von Ortel Mobile ist unter anderem auf Russisch, Italienisch, Rumänisch, Arabisch und Polnisch abrufbar. "Wir schneiden unsere Werbung bereits seit zehn Jahren auf unsere Zielgruppe zu, das sind alle Menschen in Deutschland mit Migrationshintergrund", sagt Marketing-Chef Röber. "Wir haben früh erkannt, dass die Muttersprache für diese Zielgruppe sehr wichtig ist."

Eine türkische Frau läuft mit einem Handy die Straße entlang Foto: picture-alliance/dpa/R. Schlesinger
Rund drei Millionen Menschen mit türkischem Migrationshintergrund leben in DeutschlandBild: picture-alliance/dpa/R. Schlesinger

Die Anbieter von Ethno-Tarifen sind in der Regel sogenannte virtuelle Netzbetreiber: Ortel Mobile gehört zum Telefónica-Konzern und nutzt dessen Mobilfunknetz. Auch das britische Unternehmen Lycamobile hat kein eigenes Netz, sondern nutzt in Deutschland die Frequenzen von Vodafone. Nach eigenen Angaben hat Lycamobile mehr als 14 Millionen Kunden in 19 Ländern. Das 2006 gegründete Unternehmen machte im Jahr 2014 einen Umsatz von 1,5 Milliarden Euro.

Zielgruppe Flüchtlinge: Gerne gesehen, aber nicht explizit

Speziell auf Flüchtlinge abgestimmte Angebote hätten für die Unternehmen bislang noch keine Priorität, so der Wissenschaftler Gerpott. "Flüchtlinge können in der Regel nur Prepaid-Verträge eingehen. Das ist für die meisten Unternehmen nicht so attraktiv. Außerdem ist unklar, wie viele der Menschen, die jetzt zu uns gekommen sind, langfristig bleiben."

Doch gerade diese Menschen haben ein extrem hohes Kommunikationsbedürfnis: "Deshalb dürften sie auch mehr Umsatz erzeugen als viele deutsche Kunden, von daher sind sie ökonomisch attraktiv."

Verkauf von SIM-Karten von Lycamobile, Ortel Mobile, Lebara und Ay Yildiz im Bonner Hauptbahnhof Foto: Hilke Fischer/DW
Lycamobile hat nach eigenen Angaben 14 Millionen Kunden in 19 LändernBild: DW/H. Fischer

Aber das Thema ist sensibel. "Wenn ein Unternehmen aggressiv um Flüchtlinge als Kunden wirbt, läuft es Gefahr, dass ihm der Vorwurf gemacht wird, ein unethisches Geschäft mit den Nöten der Flüchtlinge zu machen", so Gerpott.

Es kann aber auch umgekehrt laufen: Das deutsche Telekommunikationsunternehmen Yourfone kündigte im Herbst 2015 an, in Kooperation mit dem Deutschen Roten Kreuz und dem Deutschen Caritasverband 50.000 SIM-Karten im Wert von insgesamt 3,5 Millionen Euro kostenlos in Erstaufnahmeeinrichtungen zu verteilen. "Wir wollen uns an der Integration der Flüchtlinge beteiligen und helfen", zitiert die Website Teltarif.de Yourfone-Vorstand Julian Valdenaire.

Das Unternehmen erntete daraufhin eine Reihe erboste Kommentare im Netz: Deutsche Kunden drohten damit, ihre Verträge zu kündigen, weil nicht sie selbst oder arme Deutsche, sondern Ausländer etwas geschenkt bekämen. Yourfone will sich seitdem zu dem Thema nicht äußern.