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Etappensieg für Blair

Grahame Lucas 19. März 2003

Trotz einer großen Revolte in den Reihen der Labour Party hat der britische Premierminister Tony Blair zwei Abstimmungen im Unterhaus gewonnen: Damit ist er innenpolitisch gestärkt, außenpolitisch jedoch beschädigt.

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Vor der Rede von Premier Tony Blair waren sich die Beobachter einig: Es dürften keine weiteren Minister aus der ersten Reihe der Regierung den Hut nehmen. Und nicht mehr als 165 Labour-Abgeordnete - also knapp die Hälfte aller Hinterbänkler der Regierungs-Partei - dürften gegen den Premierminister stimmen. Denn wäre es zu einem "Aufstand" größeren Ausmaßes gekommen, hätte das unweigerlich zum Rücktritt Blairs führen und die schwerste Regierungskrise seit vielen Jahrzehnten auslösen können.

Dass es nicht dazu kam, ist auf mehrere Faktoren zurückzuführen: Blair hat die vielleicht beste Rede seiner Karriere gehalten, eine der größten Reden der jüngeren Geschichte des Unterhauses, die Abgeordneten aller Parteien mitriss. Er trat selbstbewußt, leidenschaftlich, überzeugend und mutig auf. Mutig, weil er sich freiwillig einer Unterhaus-Debatte stellte und seinen Kurs trotz des innerparteilichen Widerstandes weiter verfolgt. Damit hat er seinen Führungsanspruch im Unterhaus und im Lande eindrucksvoll untermauert.

Starke Rhetorik, neue Argumente

Aber die brillante Rhetorik seiner Rede allein erklärt nicht, warum der "Aufstand" der Kriegs-Gegner hinter den Erwartungen zurückblieb. Blair hat nach wie vor keine Beweise dafür geliefert, dass Irak Massenvernichtungswaffen besitzt, diese an Terroristen weiter geben will, Verbindungen zum Terror-Netzwerk Al-Kaida unterhält oder seine Nachbarstaaten bedroht.

Stattdessen setzte Blair auf neue Argumente: Er habe alles getan, um eine zweite Resolution im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zu erreichen. Er habe sogar den UN Waffeninspektoren mehr Zeit im Irak gegeben. Verhindert habe dies der französische Präsident Jacques Chirac mit der Androhung eines Vetos.

Zahlreiche Vier-Augen-Gespräche

Ferner verbuchte Blair für sich und seine Diplomatie einen riesigen Erfolg: die Entwicklung des neuen amerikanischen Friedensplans für den Nahen Osten. In der Tat hat Blair den US-Präsidenten George W. Bush seit Monaten in dieser Frage unter Druck gesetzt, um eine Radikaliserung der Stimmung in der arabischen Welt zu verhindern.

Blair griff aber auch auf altbekannte parlamentarische Mittel zurück, um den Abstimmungs-Sieg zu sichern: Bereits vor der Sitzung erlebten viele Labour-Rebellen etwas, was in der Blair-Ära außergewöhnlich ist: ein freundliches, verständnisvolles Vier-Augen-Gespräch mit dem Premierminister. Es schien, als ob Blair - dem seit seinem Amtsantritt vorgeworfen wird, er regiere an Kabinett und Parlament vorbei - die Tugenden der Kontaktpflege wiederentdeckt habe. Geschmeichelt - statt sie zu feuern - hat er Clare Short, der Entwicklungsministerin und profilierten Alt-Linken, die für den Kriegsfall mit ihrem Rücktritt gedroht hatte. Ihr Rücktritt vom Rücktritt war schon eine wichtige Vorentscheidung.

Auftrieb für Euro-Skeptiker

Nun braucht Blair einen schnellen Sieg über den Irak mit möglichst wenig Opfern. Ansonsten wird er nochmals unter Druck geraten. Ob es so kommt, liegt aber nicht mehr in seiner Hand.

Blair hat also sein innenpolitisches Überleben gesichert, zumindest für die nächsten Monate. Außenpolitisch aber steht er nicht so gut da: Ein Vermittler zwischen den USA und Europa wollte er sein. Aus der Mitte Europas wollte er einst die Zukunft des Kontinents mitgestalten. Aber sein Streit mit Frankreich in der Irak-Frage hat den Kontinent tief gespalten und die NATO geschwächt. Von einer gemeinsamen europäischen Außenpolitik wird vermutlich auf lange Sicht keine Rede mehr sein.

Kein baldiges Euro-Referendum

Die Europa-Skeptiker auf der Insel werden von dieser Stimmung profitieren. Kaum vorstellbar, dass das geplante Referendum über den Euro noch in dieser Legislaturperiode abgehalten wird. Kaum vorstellbar, dass Europa schnell zum Tagesgeschäft zurückfinden wird.

Die Lage erinnert fatal an eine angebliche britische Unwetter-Warnung aus den 1930-er Jahren: "Nebel über dem Ärmelkanal, Kontinent isoliert."