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Nach Essen wühlen

Leila Knüppel19. April 2008

Menschen suchen ihr Essen in den Müllcontainern der Supermärkte. In den USA nennen sie sich "Dumpster Diver", in Deutschland "Containerer". Mit dieser Lebensführung klagen sie die so genannte Wegwerfgesellschaft an.

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Ein Mann transportiert Lebensmittel in einer Lidl- und Aldi-Plastiktüte (Quelle: dpa)
Supermärkte schmeißen auch noch frische Nachrungsmittel wegBild: dpa

In das Dunkel einer grauen Mülltonne leuchtet ein schmaler Lichtstrahl. Es ist kurz nach Mitternacht. Mit Plastikhandschuhen zieht Falk Beyer zwischen Müllsäcken, leeren Katzenfutterdosen und Blumenstängeln eine Tüte mit Obst hervor - Mangos. "Die, die nur ganz kleine, matschige Stellen haben, nehmen wir mit und schneiden das dann raus. Die anderen lassen wir hier."

Falk und Jule haben ihr Auto auf dem leeren Parkplatz der Supermarktkette Lidl in einem Vorort von Magdeburg geparkt - erster Anlaufpunkt ihrer Standardroute auf der Suche nach Lebensmitteln, die Supermärkte einfach wegwerfen. "Containern" wird das genannt. Falk containert, weil er gegen die Wegschmeißmentalität vorgehen will. Und aus noch einem anderen Grund - der Zeit. "Die will ich nicht für Lohnarbeit oder ähnliche abhängigkeitsfördernde Geschichten verschwenden. Und containern spart mir da eine ganze Menge Zeit, die ich sonst mit Lohnarbeit oder ähnlichem verbringen müsste."

Zwiebeln, Möhren, Gurken und Kartoffeln (Quelle: dpa)
Gemüse, das Tag für Tag von Supermärkten weggeworfen wirdBild: dpa

Tagsüber engagiert sich der 27-Jährige Falk im Jugendumweltbüro Magdeburg, organisiert Kampagnen gegen Genfood und G8-Gipfel, schreibt Artikel für das "Grüne Blatt" und sucht Sponsoren für lokale Umweltprojekte.

Wühlen aus Gewissengründen

Er hat sich bewusst für ein Leben ohne eine reguläre, bezahlte Arbeit entschieden - "Lohnarbeit oder ähnliche abhängigkeitsfördernde Geschichten" nennt er so eine Arbeit. Er möchte mit möglichst wenig Geld auskommen. Vor zwei Jahren begann er, sich seine Lebensmittel fast ausschließlich aus der Tonne zu fischen. "Die ersten Male hatte ich ein ungutes Gefühl dabei: Was ist, wenn ich gesehen werde? Oder, wenn es irgendwelchen Stress gibt? Und peinlich war's mir auch." Mittlerweile hat sich das geändert. Er wird oft als mittelloser Mensch gesehen, der in Mülltonnen nach Essen suchen muss. "Das ist von Vorteil, weil es dazu beiträgt, dass ich weniger Gefahr laufe, dass Leute aggressiv auf mich zugehen."

So genannte Dumpster Drivers in den USA wühlen im Müll (Quelle: AP)
Kollegen in den USA - 'Dumpster Divers'Bild: AP

Etappe drei auf der Container-Route: Bisher war der Fang eher mager. Erst die letzte der neun Plastikkisten ist mit Paprika, Radieschen und Mangos gefüllt. Jetzt wollen Falk und Jule zu einem anderen Supermarkt. Die beiden gehen über den dunklen Parkplatz zügig zum Liefereingang des Ladens. Ein Bewegungsmelder lässt Neonröhren an der Wand anspringen. Neben der Eingangstür stehen Dutzende Kisten mit Obst und Gemüse. Das meiste sieht noch frisch aus. Frank fängt an in den Kisten zu wühlen. "Ich glaube, das waren mal Erdbeeren. Und es gibt hier Porree. Die Birnen hier sehen zum Teil auch noch gut aus."

Eine große Ausbeute. Meist schafft es Falk auf einer Tour, Lebensmittel für mehrere Wochen einzusammeln. In Magdeburg werden die Supermarkttonnen nachts noch nicht so oft von Containerern besucht. In anderen Städten wie Berlin machen sich die Containerer mittlerweile gegenseitig Konkurrenz, erzählt Falk. Essen aus dem Müll, das gehört in manchen Kreisen zum guten Ton.

Von der Justiz umstritten

Ein Körbchen Erdbeeren (2005, Quelle: dpa)
Auch Erdbeeren gibt's für ContainererBild: AP

Bei den Supermärkten kommt das Containern allerdings nicht immer gut an. Manche Marktleiter drohten sogar mit körperlicher Gewalt, und auch die Polizei wurde schon ein paar Mal gerufen - allerdings ohne Folgen für Falk und seine Freunde. Denn es ist nach wie vor umstritten, ob das Stehlen von Müll ein Straftatbestand ist. Angst hat Falk jedenfalls nicht. "Ich habe kleine Kärtchen vorbereitet. Wenn es Stress mit Mitarbeiterinnen vom Supermärkten gibt, verteile ich sie." Auf den Zettel hat Falk geschrieben, was ihm wichtig ist, worauf er hinweisen will: "Die Verschwendung und Vernichtung von Lebensmitteln, während gleichzeitig Menschen in aller Welt an Hunger leiden und auch in Deutschland soziale Armut vorherrscht."

Am letzten Supermarkt ihrer Route werden Falk und Jule noch mal fündig: Blumenkohl. Das Auto ist bis oben mit Kisten gefüllt. So können sich Falk und Jule auf den Heimweg machen. Der Großteil des aus dem Müll gefischten Gemüses steht bereits am nächsten Tag auf dem Speiseplan: Bei einer Demonstration vor dem Atommüll-Endlager Morsleben soll es für die Aktivisten Suppe geben. Der gefundene Lauch und Blumenkohl sind dafür genau das Richtige.