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"Es ähnelt den Säuberungen in Tschetschenien"

8. November 2004

- Lukaschenko verstärkt den Druck auf zivile Organisationen in Weißrussland

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Bonn, 8.11.2004, DW-RADIO / Russisch, Christiane Hoffmann

Mit der Wahl in Weißrussland hat Alexander Lukaschenko seine Macht gefestigt, ein Referendum abgehalten, das ihm auch eine dritte Amtszeit ermöglichen wird. Gleichzeitig wird der Druck auf die Menschen im Land immer größer, nur noch wenige haben den Mut, sich offen zu äußern. Jetzt will das Regime offenbar auch die letzten freien gesellschaftlichen Organisationen, ob nun politische Organisationen oder Hilfsorganisationen, schließen. Betroffen von dieser Entwicklung ist auch die deutsche Friedrich-Ebert-Stiftung, die sich in den vergangenen Jahren um einen zivilgesellschaftlichen Dialog in Weißrussland bemühte. Christiane Hoffmann berichtet.

Am Flughafen der weißrussischen Hauptstadt Minsk war Endstation für Helmuth Kurth, den Leiter der Außenstelle der Friedrich-Ebert-Stiftung in Weißrussland. Die Behörden erklärten ihm, er stünde auf einer Liste mit Personen, die weißrussischen Boden nicht betreten dürften - trotz gültigen Visums und obwohl er erst einige Tage zuvor in dem Land war. 24 Stunden auf dem Flughafen folgten, unter anderem in einer Abschiebezelle, so Kurth:

"Ich selbst habe keine Erklärung am Flughafen erhalten, warum mir die Einreise verwehrt wurde. Ich musste aber in den letzten Monaten beobachten, dass für uns die Arbeit immer schwieriger wurde. Ich hatte das Gefühl, dass wir wesentlich stärker beobachtet wurden, dass die Leute mehr und mehr Bedenken haben, sich frei zu äußern."

Schon im September hatte Premier Lukaschenko der Stiftung vorgeworfen, die Opposition zu unterstützen. Doch Kurth glaubt, dass letztlich seine kritischen Äußerungen über den Ausgang der Wahlen Mitte Oktober den Ausschlag für den Entzug des Visums gaben.

Internationale Beobachter in Minsk und Nichtregierungs-Organisationen sehen darin nur einen weiteren Höhepunkt von Lukaschenkos Kampf gegen kritische Bürgerrechts- und sogar Hilfsorganisationen. So hat auch der Verein "Kinder von Tschernobyl" mit dem Druck von Regierungsseite zu kämpfen, sagt deren Vorsitzender Gennadij Gruschewoj. Der Verein unterstützt seit 15 Jahren Familien in ganz Weißrussland:

Gruschewoj:

"Nach den Wahlen ähnelt die Situation den in Tschetschenien durchgeführten Säuberungen. Wo es kein Gesetz gilt, gibt es eine Aufgabe: Handelt so, dass nichts übrig bleibt. Solch eine Säuberung beginnt jetzt in Belarus. Gemeinnützige Organisationen haben gezeigt, dass sie beharrlich, bewusst und zielgerichtet in Opposition zum Regime stehen. Dafür will jetzt der Staat, dass diese Organisationen, die die Gesellschaft beeinflussen können, verschwinden."

Lukaschenkos Ziel sei ein totalitärer Staat, in dem allein er auf die Menschen Einfluss nehmen könne, so Gruschewoj. Um das zu erreichen, setzt die Macht vor allem administrative und wirtschaftliche Mittel ein: Zum Beispiel ständige Kontrollen der Steuerbehörden, bei denen irgendwann ein Grund gefunden wird, die Organisation oder deren Mitglieder mit so hohen Geldstrafen zu belegen, dass sie schließen müssen. Oder über die Lizenzierung: In Weißrussland benötigt jede Organisation eine Lizenz für ihre Arbeit. Diese kann aber auch wieder entzogen werden. Doch entscheidend, so Beobachter, werde in den nächsten Monaten der dritte Weg sein: Gesellschaften zu schließen, weil sie keine juristische Adresse vorweisen können. Die muss sich in einem Bürogebäude befinden. Doch fast alle Gebäude gehören dem Staat, der die Eintragung verweigern kann. Damit wird die Organisation illegal, so Gruschewoj:

"Ich denke, dass im nächsten Jahr viele unabhängige Organisationen entweder ihre Unabhängigkeit verlieren, dem Staat dienen werden oder leise eingehen. Sie werden geschlossen, verlieren ihre juristische Adresse oder um zu überleben, werden sie auf einen sehr kleinen Maßstab beschränkt."

Auch sein Verein, der die erste unabhängige Hilfsorganisation im Land war und Zehntausenden Kindern Ferien im Ausland ermöglichte, sieht sich bedroht. Die Organisation ist sehr populär und hat vor allem auf dem Land Einfluss. Außerdem erhält die Hilfsorganisation Spenden aus dem Ausland. Premier Lukaschenko sieht darin Propaganda des westlichen Feindes. Daher sollte der Verein schon vor einigen Jahren geschlossen werden. Doch damals war der Aufschrei in der Bevölkerung groß. Heute ist das anders. Die Menschen haben Angst, vor allem um Ihre Arbeit und halten sich daher mit Kritik zurück:

"Viele Leute verstehen, dass bei jedem Protest oder jedem Nicht-Einverständnis sie als erstes ihre Arbeit verlieren können. Und in einer Kleinstadt werden sie keine Arbeit mehr finden. Man kann sie oder ihre Kinder auf der Straße schlagen oder sie erhalten eine so hohe Strafe, dass sie ihre Wohnungen verkaufen müssen. Das ist so ein großer Faktor, dass die Menschen Angst haben."

So steht auch für die Friedrich-Ebert-Stiftung die weitere Arbeit in Weißrussland in Frage. Denn um einen Austausch zu fördern, müsse es einen gewissen Freiraum in der Gesellschaft geben können. Allerdings steht für Leiter Helmuth Kurth auch fest, dass sich Weißrussland irgendwann in Richtung Demokratie entwickeln wird. Die Frage ist nur – wann. (lr)