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"Es ist unser Interesse in Europa, die zentralasiatischen Staaten demokratisch zu begleiten"

20. Januar 2004

- Hedi Wegener, Vorsitzende der deutsch-zentralasiatischen Parlamentariergruppe, zur Bedeutung der Region für Europa

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Bonn, 19.1.2004, DW-radio / Russisch

Mit dem Zerfall der Sowjetunion ist eine ganze Reihe von bilateralen Parlamentariergruppen neu entstanden. Zu ihnen gehört die deutsch-zentralasiatische Parlamentariergruppe, deren Vorsitz die Bundestagsabgeordnete Hedi Wegener inne hat. Schon in der zweiten Legislaturperiode leitet die SPD-Abgeordnete die Parlamentariergruppe. Im Interview mit DW-radio spricht sie über die Bedeutung der Region für Europa.

Frage:

Zentralasien hat vor allem aus sicherheitspolitischen Erwägungen nach dem 11. September 2000 an Bedeutung gewonnen. Aus welchen Gründen ist Zentralasien Ihrer Meinung nach für Europa außerdem wichtig?

Hedi Wegener:

Europa hat mit den Eckpunkten der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik ganz klar festgelegt, dass es nicht nur eine militärische, sondern auch eine ganz starke zivile Komponente der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik gibt. Die zentralasiatische Region ist in vielerlei Hinsicht unglaublich gefährdet: durch den Krieg in Afghanistan, den Krieg im Irak, durch die Auseinandersetzung Palästina-Israel im Nahen Osten. Nach der Auflösung der Sowjetunion suchen diese Länder Antworten auf zentrale Fragen: Welche Kultur wollen wir eigentlich in unserer Bevölkerung etablieren? Schaffen wir es, uns westlich zu orientieren und dennoch unsere zentralasiatische Identität nicht aufzugeben? Welche Rolle spielt der Islam für uns - in unserer Politik, unserer Gesellschaft, in den Medien, bei den Wahlen? Und bei der Suche nach Antworten auf diese Fragen kann es zu ganz gefährlichen Strömungen kommen. Und da ist es unser Interesse in Europa, die zentralasiatischen Staaten demokratisch zu begleiten.

Auch militärisch gesehen ist es natürlich wichtig, dass diese Länder stabil bleiben und nicht irgendwelchen Propheten nachlaufen. Deutschland hat einen Stützpunkt in Usbekistan, in Termes, und auch in Tadschikistan, um den weiter östlichen Bereich - Afghanistan - abzudecken.

Frage:

Kann man sagen, welche Staaten Zentralasiens sich besonders für den Dialog mit Europa auf parlamentarischer Ebene interessieren?

Antwort:

Grundsätzlich interessieren sich alle zentralasiatischen Staaten dafür. Es gibt natürlich Staaten, die eine besonders aktive Außenpolitik in Richtung Europa betreiben - dazu gehören Kasachstan und Usbekistan, die beiden größten zentralasiatischen Staaten. Die Mongolei und Kirgisistan gehören zu den aktiven Ländern. Tadschikistan und Turkmenistan sind eher zurückhaltend, wobei ich Ende Februar nach Turkmenistan reisen werde und den Eindruck habe, als ob sich auch dort eine kleine Tür in Richtung der internationalen Gemeinschaft öffnet.

Frage:

Wo sehen Sie die wesentlichen Unterschiede zwischen den fünf zentralasiatischen Republiken?

Antwort:

Obwohl man die Region immer in einen Topf wirft, haben sie doch ganz unterschiedliche Bevölkerungsgruppen. Kasachstan beispielsweise ist ein ganz anderes Land mit anderen Bevölkerungsgruppen als das in Tadschikistan oder Turkmenistan der Fall ist. Kasachstan war geprägt durch Nomadenvölker, es ist geprägt durch eine große Aufgeschlossenheit. Die Kasachen sind immer viel gereist, haben immer sehr unterschiedliche Kulturen in ihrem Land integrieren müssen. Das ist bei den Tadschiken anders. Dort gibt es eine sehr starke islamistische Bewegung.

Wenn es nicht gelingt, in Zentralasien soziale Stabilität herzustellen, dann haben in Zentralasien extremistische Bewegungen eine größere Chance. Das ist in Tadschikistan der Fall, denn dort nimmt die Armut zu - während in Kasachstan der Wohlstand zunimmt, und man deshalb eine gewisse Stabilität erreicht hat.

Frage:

Mit welchen Anliegen kommen Ihre parlamentarischen Kollegen nach Deutschland? Was sind die Erwartungen an die Arbeit der gemeinsamen Parlamentariergruppe?

Antwort:

Neugier, Demokratie lernen wollen, das ist ein wichtiges Anliegen. Wie funktioniert die Presse? Wie funktioniert ein Zweikammersystem? In Kasachstan beispielsweise sollen die Regierungschefs irgendwann gewählt werden Aber das ist natürlich ein weiter Weg. Wie geht das mit einer unabhängigen Justiz? Was hat es auf sich mit dem Verfassungsgericht? Das verblüfft im Ausland häufig, dass wir ein Verfassungsgericht haben, das sogar Entscheidungen von Abgeordneten ad absurdum führen kann, im äußersten Fall.

Frage:

Deutschland ist ein Markenname in der Region. Häufig gibt es die Erwartung, dass enge politische Zusammenarbeit unmittelbar auch die Auslandsinvestitionen, Investitionen der deutschen Wirtschaft in der Region, voranbringen wird. Kann die Parlamentariergruppe in diesem Punkt etwas bewegen?

Antwort:

Dass die Erwartungen sehr hoch sind, das stimmt. In vielen Gesprächen geht es darum, die Investitionen und das Engagement der deutschen Wirtschaft in den zentralasiatischen Staaten voranzubringen. Dieses Engagement ist aber immer gekoppelt. Und dafür sind wir auch da: den Verantwortlichen klar zu machen, dass wir die Symptome nicht ändern können, wenn die Voraussetzungen nicht stimmen. Wenn es keine Rechtssicherheit für unsere deutschen Investoren gibt zum Beispiel - dann kann ich auch nicht mit gutem Gewissen sagen - "Investiert da!" Oder wenn Absprachen nicht funktionieren. Und da stoßen wirklich Welten aufeinander: eine deutsche, im Kopf klar angelegte und strukturierte Geschäftswelt, und eine - ich will nicht sagen - Basarmentalität. Da gibt es große Unterschiede. Und das Rechtssystem ist zum Teil noch unzureichend, die Korruption ist in den Ländern noch erheblich verbreitet. Und das hält auch die Firmen fern.

Was die Investitionen vor Ort angeht, so versuche ich den deutschen Firmen Mut zu machen. Es gibt ja inzwischen auch viele Investoren. Und wenn die gute Erfahrungen machen, so ist das das beste Aushängeschild. Wenn die Erfolg haben mit ihrem Joint Venture, mit ihren wirtschaftlichen Beziehungen, dann kommen sie wieder zurück und sagen: "Das ist ein toller Markt, da müsst ihr hingehen. Die halten sich an Absprachen, die Rechtskonstruktion ist so, dass Verträge und Eigentumsverhältnisse respektiert werden." Und das ist dann das beste Aushängeschild.

Frage:

Als "Lobbyistin" für Zentralasien sind sie auch konfrontiert mit den Vereinfachungen, den Vorurteilen und Klischees über Zentralasien. Wie differenziert ist das Bild über die Region in Deutschland?

Antwort:

Es fängt ja schon mit der Frage an, wo denn Zentralasien überhaupt liegt. Die Region als solche in das Blickfeld zu bringen - z.B. in das der deutschen Parlamentarier - das allein ist schon eine große Aufgabe. Klarzumachen, dass das eine wichtige Region für uns ist. Die breite Bevölkerung assoziiert die Region häufig mit den Russlanddeutschen - wenn man hier Kasachstan sagt, dann denken sehr viele Menschen an Russlanddeutsche - oder mit Öl oder mit Gas oder mit Naturkatastrophen am Aralsee. Und davon ausgehend, kann man dann in Gespräche einsteigen.

Frage:

In den zentralasiatischen Staaten herrschen vielfach autoritäre Präsidialregime. Menschenrechte, Pressefreiheit, das sind sehr empfindliche Themen. Ein Ansprechen dieser Themen wird schnell als Einmischung in innere Angelegenheiten empfunden. Wie gehen Sie auf der Ebene der Parlamentarier mit diesem Thema um?

Antwort:

Da gehen wir zwar sensibel mit um, aber auf der Ebene der Parlamentarier auch sehr offen. Ich denke, dass wir Kasachstan und Turkmenistan in dieser Hinsicht unterscheiden sollten. Dazwischen liegen Welten. Die politische Elite in Kasachstan weiß sehr wohl, was gemeint ist, wenn wir Kritik anbringen. Die wünscht sich durchaus auch hier und da eine andere Presse, einen anderen Umgang mit der Presse.

Manchmal bin ich in diesem Punkt bescheidener geworden. Und frage mich selbst: Wie würden wir eigentlich reagieren - als Parlamentarier nach so vielen Jahren einer Diktatur und dann unter einer Präsidialherrschaft? Ich bin viel eher für viele kleine mutige Schritte - als für Rundumschläge. Denn da bereichern sich - nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht - in der Regel nur einige wenige Köpfe. Ich lege Wert darauf, dass auch immer Oppositionelle vertreten sind in den Gruppen aus Zentralasien - und immer auch Frauen.

Zu Sowjetzeiten war es so, dass Frauen viel stärker vertreten waren. Und ich beobachte jetzt einen Rückgang der Initiativen, der Organisationen, der Parteien für und von Frauen. Und da ich eine Frau bin, erlaube ich es mir, in jedem Gespräch darauf hinzuweisen, dass ich nicht nur 20 Männern gegenüber sitzen möchte. Und versuche meinen Gesprächspartnern zu sagen, dass sie ein großes Pfund, einen Vorteil aus der Sowjetzeit haben. Dass daraus eine große Zahl von qualifizierten Frauen hervorgegangen ist, die gleichberechtigt Zugang zur Bildung hatten. Und ich bin sicher, dass sich diese Entwicklung weiter verstärken wird. Es gibt immer weniger Frauen in den Parteien, weniger Frauen, die gewählt werden, die aufgestellt werden, die Minister werden.

Frage:

Welche Themen werden Sie in Usbekistan und Turkmenistan ansprechen, Ihren nächsten Reisezielen?

Antwort:

Einmal das Thema "Gewalt in der Familie". Gewalt in der Familie liegt häufig eben nicht nur im Menschenbild von Frauen und Kindern begründet, sondern hängt eben zusammen mit dem Missbrauch von Alkohol. Also die Koppelung von Alkohol und Gewalt in der Familie. Dann die Drogenproblematik, die auf die Länder zukommen wird. Ich habe den Eindruck, dass die Länder in der Region das zur Zeit noch etwas verdrängen. Doch sie wissen, dass das kommen wird mit einem offenen Markt, durch die herrschende Korruption. Da bleibt beim Durchschleusen der Drogen einiges im Land hängen.

Dann Fragen der Presse- und Informationsfreiheit. Ich halte es für wichtig, hier auch vorzuleben und zu zeigen: Es tut euch gut und es schadet nicht.

Dann die Frage des säkularen Dialogs mit dem Islam. Es gibt ja eine Arbeitsgruppe zwischen Deutschland und Tadschikistan zu diesem Thema. Es täte anderen Ländern gut, auch einen solchen Dialog zu führen und die Problematik nicht einfach zu unterdrücken und zu verschweigen.

Ganz zu schweigen von den Umweltproblemen. Diese Länder haben Umweltprobleme, Probleme mit der Wasserversorgung. Da versuche ich Mut zu machen und zu sagen: Löst diese Probleme gemeinsam! Schaut in Richtung Europa! Wir wären auch nicht da, wo wir heute sind, wenn wir unsere Probleme nicht gemeinsam gelöst hätten. Und das betrifft eine ganze Reihe von Umweltproblemen, wie beispielsweise die ökologische Katastrophe am Aralsee. (lr)