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"Es geht oft um scheinbare Kleinigkeiten"

10. Dezember 2001

Vor 51 Jahren wurde in Rom die Europäische Menschenrechtskonvention unterzeichnet.

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Das Recht auf Leben, das Recht auf Freiheit - die Vorstellung, dass diese Rechte des Menschen unabdingbar sind, ist alt. Und doch war es etwas völlig Neues, dass diese Rechte den Bürgern mithilfe einer Nationen-übergreifenden Konvention garantiert werden sollten.

Gestern

Genau dies beabsichtigten die Vertreter der damals zehn Mitgliedsstaaten des Europarats, als sie am 4. November 1950 in Rom eine Konvention unterzeichneten, die diese grundlegenden Rechte jedem, der sich in den Unterzeichner-Staaten aufhält, garantiert. Die Europäische Menschenrechtskonvention war ein juristischer Meilenstein, sagt Christoph Grabenwarter, Professor für Öffentliches Recht an der Universität Bonn:

"Es gab die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte auf der Ebene der Vereinten Nationen - die hatte keine bindende Funktion. Es gab dann im Laufe der 50er, 60er Jahre den UNO-Pakt über die bürgerlichen-politischen Rechte. Das waren im Wesentlichen die völkervertraglichen Grundlagen. Es gab daneben natürlich Völkergewohnheitsrecht. Etwa das Folterverbot ist ganz zweifellos etwas, was völkergewohnheitsrechtlich anerkannt ist. Aber an
vertraglichen Grundlagen war doch die Europäische
Menschenrechtskonvention ein erster, ganz entscheidender Schritt. Der einzelne wird zum Subjekt des Völkerrechts. Er tritt - wie vor einem Verfassungsgericht - als Handelnder gegen einen Staat auf völkerrechtlicher Ebene auf."

Ein entscheidender Schritt war auch die Einrichtung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg. Damit gab es eine Institution, die kontrollierte, ob die durch die Konvention garantierten Rechte auch eingehalten wurden. Die Urteile des Gerichtshofs waren immer wieder maßgeblich, nicht nur für die Gerichte, sondern auch für die Gesetzgebung in den Mitgliedsstaaten. So wurde zum Beispiel in Folge einiger Entscheidungen des Straßburger Gerichtshofs das Rundfunkmonopol in vielen Staaten Europas aufgebrochen.

Heute

51 Jahre später hat sich einiges verändert. So gilt die Konvention heute nicht mehr nur in zehn, sondern in 41 Staaten. Seit dem Ende des Kalten Krieges sind von Polen und Ungarn, über Bulgarien und Rumänien bis zur Ukraine und Russland etliche der ehemals kommunistisch regierten Länder beigetreten.

Auch Art und Anzahl der garantierten Rechte haben sich geändert. Insgesamt elf Protokolle wurden zusätzlich - wenn auch nicht immer von allen Staaten - unterzeichnet und ratifiziert. Das Recht auf Eigentum, das Recht auf freie Wahlen, aber auch Garantien für das Asylrecht sind
hinzugekommen. Diese Fragen stehen auch bei den Klagen immer mehr im Vordergrund. Eine durchaus positive Entwicklung, meint Grabenwarter.

"Man kann sagen, dass heute manche elementaren Probleme nicht mehr gegeben sind. Wenn man die Rechtsprechung der Straßburger Instanzen ansieht, dann sieht man, dass es oft um Kleinigkeiten geht. Scheinbare Kleinigkeiten, wie die Respektierung von Verteidigungsrechten im Strafprozess oder die Verfahrensdauer oder Fragen der Namensführung im Verhältnis von Ehegatten. Das sind Dinge, die man nicht mit Folterverbot vergleichen kann. Aber es kann für die Identität eines Menschen auch sehr wichtig sein. Das heißt, die Lage der Menschenrechte in Europa ist heute sicher verfeinert. Es geht um Spezialprobleme, ohne dass aber die Grundprobleme weg vom Tisch wären."

Von den Bürgern wird der Straßburger Gerichtshof für Menschenrechte immer häufiger angerufen: Die Zahl der Klagen steigt. Seit Mitte der 90er Jahre bringen einzelne Bürger in Straßburg mehrere tausend Beschwerden pro Jahr vor. Die Straßburger Institutionen sind deshalb überlastet - und das führt dazu, dass sich die Prozesse immer mehr
in die Länge ziehen. Christoph Grabenwarter hält das für ein großes Problem:

"Die Konvention kennt ein Recht auf angemessene Verfahrensdauer in Zivil- und Strafverfahren. Jetzt ist es so, dass Verfahren in Straßburg von der Beschwerdeerhebung bis zum Urteil fünf, sechs Jahre dauern. Und dann ist die Konvention natürlich selbst wenig glaubwürdig, wenn das Recht in eigenen Verfahren nur mit Mühe oder gar nicht eingehalten wird."

Glaubwürdigkeit ist für die Menschenrechtskonvention aber äußerst wichtig. Denn nach wie vor sind grundlegende Rechte in einigen Unterzeichnerstaaten gefährdet: Vor allem aus der Türkei und aus Russland werden Klagen über Folter eingereicht. Ausländer in Deutschland und anderen Staaten beschweren sich über unrechtmäßige Abschiebung. Gerade italienische Bürger wollen über das Straßburger Gericht angemessene Rechtsverfahren durchsetzen.

Die Menschenrechtskonvention hat bis heute nichts von ihrer Bedeutung eingebüßt. Die Herausforderung für die nächsten zehn Jahre besteht darin, den menschenrechtlichen Standard, der einmal entwickelt wurde, nicht absinken zu lassen. Diese Gefahr besteht durch die Situation in den neu beigetretende Staaten.