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Erstes Geständnis im Sauerland-Prozess

10. August 2009

Der mutmaßliche Rädelsführer der islamistischen Sauerland-Gruppe hat als erster der vier Angeklagten vor Gericht sein Schweigen gebrochen. Jens Thurau berichtet vom Terrorprozess in Düsseldorf.

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Der Angeklagte Fritz Gelowicz und seine beiden Anwälte (Foto: AP)
Der Angeklagte Fritz Gelowicz und seine beiden AnwälteBild: AP

"So gut haben selten alle an einem Prozess Beteiligten zusammengearbeitet. Ihnen allen vielen Dank dafür - und das schließt die Angeklagten ein." Der Vorsitzende Richter am Oberlandesgericht Düsseldorf, Ottmar Breidling, eigentlich als harter Hund bekannt, gerät geradezu ins Schwärmen an diesem ersten Verhandlungstag nach der Sommerpause im Verfahren gegen die Sauerland-Gruppe.

Der Vorsitzende Richter Ottmar Breidling (Foto: DPA)
Der Vorsitzende Richter Ottmar BreidlingBild: picture alliance / dpa

Tatsächlich ist nichts mehr so, wie es war in diesem Prozess, den die Medien das größte Terroristen-Verfahren seit den RAF-Prozessen der 1970er-Jahre nennen. Den vier Angeklagten wird vorgeworfen, gewaltige Anschläge vor allem auf US-Einrichtungen in Deutschland geplant zu haben, sie hatten vor zwei Monaten plötzlich umfangreiche Geständnisse angekündigt. Und jetzt hat Fritz Gelowicz, der Rädelsführer der Gruppe, tatsächlich damit begonnen.

"Die Karten auf den Tisch gelegt"

Mit fast einer Stünde Verspätung beginnt der Tag vor Gericht - so lange dauerte es, bis alle Zuschauer im Saal sind. Natürlich sind zahlreiche Medienvertreter gekommen, und jeder muss einzeln und zeitraubend die umfangreichen Sicherheitsschleusen durchlaufen und das Handy abgeben. Aber dann beginnt Gelowicz mit seinen Ausführungen - ruhig, mit leiser Stimme, sehr klar darauf bedacht, jetzt keinen Fehler mehr zu machen.

Den vier jungen Männern zwischen 20 und 30, so heißt es, setzte die Haft doch sehr zu, sie hoffen jetzt auf Strafnachlässe. Und hieß es noch vor kurzen, sie seien zwar geständig, bereuten ihre Taten aber nicht, so hört man jetzt, zumindest zwei Angeklagte überlegten auch dies.

Eine abenteuerlicher Reise

Gelowicz legt "die Karten auf den Tisch, vollständig", wie das der Richter gefordert hatte. Ein Teil der Gruppe habe sich vor vier Jahren kennengelernt - bei einer Hadsch, einer Pilgerfahrt also nach Mekka. Schnell sei man sich einig gewesen, sich am Dschihad, dem heiligen Krieg also, zu beteiligen. Dann schildert er eine abenteuerliche Reise.

Die vier Angeklagten Daniel Schneider, Atilla Selek, Fritz Gelowicz und Adem Yilmaz (Foto: AP)
Die vier Angeklagten Daniel Schneider, Atilla Selek, Fritz Gelowicz und Adem Yilmaz (von links)Bild: AP

Die Gruppe bricht von Deutschland nach Syrien auf, will von dort in den Irak, das scheitert - die Kontakte kommen nicht zustande. Aber 2006 schließlich gelingt es den jungen Extremisten, über den Iran in ein Terrorcamp nach Afghanistan zu kommen - per Flugzeug, per Auto, per Bus, von geheimnisvollen Schleusern begleitet. Von dort, so ist zu hören, ergeht dann der Befehl an die Gruppe, nach Deutschland zurück zu kehren und ein furchtbares Verbrechen zu planen - aber soweit sind die Geständnisse noch lange nicht vorgedrungen.

Außergewöhnliches Verfahren

Schon jetzt ist es ein außergewöhnliches Verfahren, vielleicht wird es ein historisches. Auf fast 1200 Seiten summieren sich die Einlassungen aller vier Angeklagten, abgegeben in Haft gegenüber Beamten des Bundeskriminalamtes. Am Ende, in ein paar Monaten, könnte ein neues, ein klareres Bild darüber stehen, warum sich auch in Deutschland junge Männer für den heiligen Krieg erwärmen, sich ausbilden lassen und dann zurück in Deutschland tatsächlich zur Tat schreiten.

"Breidling macht sein Ding, das imponiert mir"

Geht das Verfahren so weiter, ist es vor allem auch ein Erfolg des Vorsitzenden Richters. Ottmar Breidling hat von Anfang an klar gemacht: Die Beweislast gegen die vier Männer ist erdrückend, denn sie wurden bei ihrem Tun stets von vielen Polizisten beobachtet. Breidling schaffte es, den Respekt der Gruppe zu erlangen, im Gegensatz zu den Pflichtverteidigern, denen einige der Beschuldigten offen feindselig gegenüberstehen. "Breidling macht sein Ding, das imponiert mir", hat der Angeklagte Aden Yilmaz einem Polizisten gestanden.

Bald geht der gestrenge Richter in den Ruhestand - der Prozess gegen die vier verirrten jungen Männer, die den heiligen Krieg nach Deutschland bringen wollten, könnte sein Karriere-Höhepunkt werden. Weil die Chancen gut stehen, dass man sich danach ein ganz neues Bild von Organisation und Ablauf des internationalen islamischen Terrors machen kann - der auch vor Deutschland nicht halt macht.

Autor: Jens Thurau

Redaktion: Kay-Alexander Scholz