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Erste Aussagen im Saddam-Prozess

Peter Philipp / (ana)22. August 2006

Die Angeklagten im irakischen Völkermord-Prozess wollen in den 1980er Jahren keine kurdischen Zivilisten angegriffen haben. Ziel der Angriffe sollen vielmehr iranische Truppen gewesen seien, hieß es am Dienstag.

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Ex-Staatschef Saddam Hussein beim Prozessauftakt in BagdadBild: AP

"Die Iraner und die kurdischen Rebellen kämpften damals Seite an Seite", sagte der einstige Chef des iranischen Militärgeheimdienstes, Saber Abdul Asis, am Dienstag (22.8.2006) in Bagdad. Man habe das Grenzgebiet im Nordirak mit dem "Anfal"-Feldzug von 1987/88 von Iranern "säubern" wollen. Auch Ex-Verteidigungsminister Sultan Haschim erklärte am zweiten Tag des Völkermord-Prozesses gegen Saddam Hussein und fünf seiner Mitstreiter von damals, der Feldzug habe sich nicht gegen kurdische Zivilisten gerichtet.

Am Montag (21.8.2006) hatte der zweite Prozess des Bagdader Sondertribunals für die Verbrechen des alten Regimes unter dem Vorsitz von Richter Abdullah Ali el-Alusch, eines schiitischen Arabers, begonnen. Der irakische Ex-Machthaber Saddam Hussein erklärte bereits am Montag, er werde sich nicht zur Anklage äußern. Auf die Frage, ob er sich schuldig oder nicht schuldig bekenne, sagte Saddam: "Ich schweige, und das ist mein Recht."

Erste Zeugenaussage: Giftgas roch nach "faulen Äpfeln"

Kurden werfen Steine auf ein Portrait Saddam Husseins
Kurden bewerfen ein Porträt Saddams mit Steinen (Archivbild von 2003)Bild: AP

Die Angeklagten müssen sich wegen der blutigen Kampagne verantworten, die als "Operation Anfal" in die Geschichte des Irak eingegangen ist. In den Jahren 1987/88 sollen bei der Offensive der irakischen Streitkräfte auf Kurden im Nordirak über 3000 Dörfer zerstört und mehr als 100.000 Menschen getötet worden sein. Der Staatsanwalt sprach gar von 182.000 Todesopfern. Die meisten von ihnen waren unschuldige Zivilisten, die Opfer brutaler Giftgas-Angriffe wurden.

Der Kurde Ali Mustafa Hama berichtete am Dienstag vor Gericht, wie die irakische Luftwaffe im April 1987 einen Giftgasangriff auf zwei Dörfer im Norden des Landes verübt habe: "Die Explosionen waren nicht sehr stark, aber kurz darauf ist eine grüne Wolke aufgestiegen." Binnen weniger Minuten habe es "nach verfaultem Apfel oder Knoblauch" gerochen. Viele Menschen hätten sich übergeben müssen, und ihre Augen hätten stark gebrannt. "Viele von ihnen sind gestorben."

Streit um den Ölreichtum des kurdischen Nordens

Irakkarte Bevölkerungsgruppen Kurden und Schiiten Karte
Die Kurden bevölkern den irakischen Norden, aber auch den Iran, Syrien und andere StaatenBild: AP/DW

Immer wieder wurden die Kurden - mit knapp 25 Millionen Menschen das mit Abstand größte Volk ohne Staat in der Region – zum Spielball internationaler und regionaler Interessen. So auch im Irak: Zwar war es den Kurden in den 1970er Jahren gelungen, Bagdad eine Autonomie im kurdischen Nordirak abzutrotzen. Doch das Regime von Saddam Husseins Baath-Partei hielt sich nicht daran und verstärkte stattdessen den Druck auf die Kurden.

Ein wichtiger Grund hierfür war sicherlich der Ölreichtum des kurdischen Nordens: Die gezielte Vertreibung von Kurden und die Ansiedlung von Arabern sollten diese Ressourcen der Bagdader Zentralregierung zur Verfügung stellen statt wie bisher der Stärkung der kurdischen "Pesch Merga" zu dienen. Die kampferprobten kurdischen Milizen hatten sich lange Zeit der Unterstützung des Iran, der USA und auch Israels erfreut. Diese Allianz war aber mit der iranischen Revolution zerbrochen: Teheran wandte sich von den USA und Israel ab.

Lieferten Washington und Bonn Chemikalien?

Infolgedessen begann man in Washington, Saddam Hussein als das "kleinere Übel" zu betrachten und ihn gegen Teheran zu unterstützen. Das ging bis zur Lieferung, zumindest aber bis zur Duldung von chemischen Waffen. Auch deutsche Firmen sollen an solchen Lieferungen beteiligt gewesen sein, dies wurde aber damals von Bonn dementiert.

Das größte Massaker wird nicht verhandelt

Als sich schließlich während des Iran-Irak-Krieges (1980 bis 1988) eine neue, begrenzte Allianz zwischen den Kurden und dem Iran ergab, fielen in Bagdad auch die letzten Hemmungen: Kurdische Orte wurden verwüstet und mit Senfgas-Granaten beschossen. Wer überlebte, wurde vertrieben oder gefangen genommen und später umgebracht.

Gedenkfeier, türkischer Giftgasangriff auf Kurden 1888
Eine Kurdin schaut sich am Rande einer Gedenkfeier für die Toten von 1988 im irakischen Halabja eine Fotoausstellung an, die das Grauen von damals dokumentiert (2004)Bild: picture-alliance/dpa

Dabei tat sich Saddams Cousin El-Madschid durch den Befehl für den Einsatz von Giftgas hervor. Ein Vorgehen, das 1988 in der Ermordung von über 5000 Zivilisten im Ort Halabdscha gipfelte - dem größten Massaker unter der kurdischen Zivilbevölkerung. Halabdscha wird in diesem zweiten Verfahren gegen Saddam Hussein allerdings nicht verhandelt. Der zweite Prozess wird sich auf die "Operation Anfal" konzentrieren.

Todesurteil wahrscheinlich

Kaum jemand zweifelt daran, dass am Ende ein Schuldspruch - und damit ein Todesurteil - stehen wird, wie es auch für den ersten Prozess erwartet wird. Im ersten Prozess, dessen Urteil noch aussteht, war Saddam Hussein der Mord an 148 Schiiten im Ort Dudschail 1982 vorgeworfen worden. Nichts desto trotz könnte die Vollstreckung aber noch Jahre auf sich warten lassen, denn dem jetzt beginnenden zweiten Prozess sollen weitere folgen. Davon soll sich einer nur mit dem Massaker von Halabdscha beschäftigen.