'Erst schießen, dann fragen'
28. März 2008Das Massaker sorgte weltweit für Aufsehen und Empörung, denn unter den Toten waren viele Frauen und Kinder. Vier Soldaten müssen sich nun wegen des Vorfalls vor einem Militärgericht in Camp Pendleton in Kalifornien verantworten. Der erste Prozess beginnt am 28. März gegen den Obergefreiten Stephen B.Tatum. Für das US-Militär war der Fall zunächst nur ein so genannter Kollateralschaden. Ein Teil der irakischen Zivilisten, so die offizielle Erklärung, sei durch eine Bombe irakischer Aufständischer getötet worden. Die anderen seien bei einem Schusswechsel der US-Soldaten mit bewaffneten Irakern zwischen die Fronten geraten.
Tod im Nachthemd
Ein Bericht im US-Magazins "Time" im März 2006 erzählte jedoch eine andere Geschichte. Danach ist der Konvoi mit den Marines tatsächlich in einen Hinterhalt geraten, einer der Soldaten starb durch eine Bombenexplosion, zwei weitere wurden verletzt. Doch dann sollen die Marines aus Wut über den Tod ihres Kameraden drei Häuser gestürmt und die Bewohner erschossen haben, ohne dass sie selbst angegriffen worden seien.
Truppführer Frank D. Wuterich, dessen Prozess auf unbestimmte Zeit vertagt wurde, soll die Parole ausgegeben haben: "Erst schießen, dann fragen!" Viele der Opfer, vor allem die Frauen und Kinder, hätten nur ihre Nachthemden angehabt. Die Marines sollen zudem vier Studenten und einen Taxifahrer getötet haben, die an einer Straßensperre angehalten hatten.
Die Recherchen des Magazins führten dazu, dass das Militär den Vorfall aufrollte. 2006 sagte der damalige US-Verteidigungsminister Rumsfeld: "In Konflikten geschehen Dinge, die eigentlich nicht geschehen sollten. In diesem Fall gibt es eine Untersuchung des Vorfalls und wir werden bald wissen, was geschah." Die Untersuchung erwies sich als schwierig – unter anderem weil Beweise vernichtet und Berichte gefälscht wurden. Inzwischen steht fest, dass keiner der 24 Iraker durch eine Bombe ums Leben kam.
Beweise vernichtet
Von den vier Männern, die sich nun vor einem Militärgericht verantworten müssen, waren nur zwei bei dem Vorfall direkt dabei: Tatum ist unter anderem der vorsätzlichen Tötung und der schweren Körperverletzung angeklagt, ebenso wie Wuterich. Die beiden anderen US-Soldaten stehen aus anderen Gründen unter Anklage: Oberleutnant Andrew Grayson wegen Falschaussage und Behinderung der Justiz. Er soll einem Untergebenen befohlen haben, Fotos der Opfer zu vernichten.
Diese Fotos sollen eindeutige Beweise dafür gewesen sein, dass die Zivilisten erschossen und nicht durch eine Bombe getötet wurden. Oberstleutnant Jefffrey Chessani, der Kommandeur des Bataillons, ist unter anderem der Pflichtverletzung angeklagt, weil er nicht dafür gesorgt hatte, dass der Vorfall vorschriftsgemäß untersucht und gemeldet wurde.
Bekenntnis zur Verantwortung?
Für Professor Gary Solis, der an der Georgetown-Universität Kriegesrecht lehrt, ist der Haditha-Prozess nicht nur wegen der hohen Zahl der getöteten Zivilisten ungewöhnlich. "Zum ersten Mal wird ein Kommandeur für das aggressive Verhalten seiner Leute zur Verantwortung gezogen. Dabei wird er nicht für ihre Taten angeklagt, sondern weil er selbst seine Pflichten vernachlässigt hat. Für das Marine Corps ist das ein sehr energisches Vorgehen", erläutert Solis. Er gehörte selbst 26 Jahre lang dem Marine Corps an und war danach in hunderten Militärprozessen Richter oder Ankläger. "Obwohl man nicht gerne Karrieren auf diese Weise beendet sehen möchte, ist die Anklage in diesem Fall eine gute Sache, denn sie spiegelt ein möglicherweise neu entdecktes Bekenntnis der US-Streitkräfte wider, hochrangige Offiziere zur Verantwortung zu ziehen."
Ein anderer Ton in den Streitkräften
Nach den Vorfällen im irakischen Gefängnis Abu Ghraib, wo irakische Gefangene gefoltert und misshandelt wurden, wurde kein höherer Offizier angeklagt. Doch seitdem, so Solis, habe es an mehreren höheren Positionen in den Streitkräften einen Personalwechsel gegeben. Auch dass statt Rumsfeld jetzt Robert Gates Verteidigungsminister ist, habe für einen anderen Ton in den Streitkräften gesorgt.
Haditha sei mit Abu Ghraib jedoch nicht zu vergleichen. In dem Gefängnis-Skandal hätten die Soldaten ihre Taten geplant, sagt Solis. "Die Ereignisse in Haditha fanden zwar nicht während eines heftigen Schusswechsels statt, aber während die Soldaten Feindberührung hatten." Er kenne keinen Fall bei dem Soldaten wegen falscher Entscheidungen angeklagt wurden, die sie während des Kontakts mit dem Feind trafen, erklärt der Professor.
Skepsis ist angebracht
Aber nach Solis' Worten herrscht inzwischen ein anderes Unrechtsbewusstsein. Der Schutz von Menschenrechten, die Militär-Gesetze des Umgangs mit Zivilisten und Kriegsgefangenen hätten sich geändert und eine andere Bedeutung erlangt. Dennoch wurde das Massaker von Haditha erst dann gründlich untersucht, als Journalisten nachfragten. Und deshalb ist Solis skeptisch, ob dieses offensive Vorgehen der US-Militärs gegen Vergehen in den eigenen Reihen Bestand haben wird. Alle Erfahrung spreche dagegen, sagt der Ex-Marine. Denn nicht nur in den USA, auch in anderen Ländern sei das Militär nicht besonders erpicht darauf, eigene Mängel zu untersuchen. Das liege einfach nicht in seiner Natur.