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Erst ins Gefängnis, dann Besuch bei Havel

20. Dezember 2001

- Der Fall des Mohammed Solich zeigt Tschechiens Probleme beim Umgang mit Dissidenten

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Prag, 20.12.2001, PRAGER ZEITUNG, deutsch, Gerd Lemke

Für zwei Wochen hatte sich Tschechien in eine äußerst groteske Situation manövriert: Ein international anerkannter usbekischer Oppositioneller wurde in einem Land, in dem das Staatsoberhaupt selbst Dissident war, ins Gefängnis gesteckt. Einerseits wollte Tschechien demonstrieren, dass es internationale Verpflichtungen ernst nimmt. Andererseits zeigte gerade dieses Handeln provinziellste Paragraphenreiterei. Am Ende stand das versöhnliche Treffen zweier Dichter-Dissidenten. Was war geschehen?

Am 28. November reist Salaj Madaminov, auch unter seinem Pseudonym Mohammed Solich bekannt, auf Einladung von "Radio Free Europe" nach Prag. Nach der Passkontrolle auf dem Prager Flughafen wird er verhaftet. Gegen ihn liegt ein internationaler Haftbefehl von Interpol vor. Solich soll an mehreren Bombenanschlägen in der usbekischen Hauptstadt Taschkent beteiligt gewesen sein.

Allerdings ist der Beschuldigte seit über acht Jahren nicht mehr in seinem Heimatland gewesen. Der frühere Freiheitskämpfer für die Unabhängigkeit Usbekistans und Vorsitzende der verbotenen usbekischen demokratischen Partei Erk (Freiheit) genießt in Norwegen politisches Asyl. Bisher konnte er in der westlichen Welt unbehelligt herumreisen. Doch ausgerechnet in Tschechien ist damit Schluss. Zwei Tage nach seiner Festnahme nimmt die Staatsanwaltschaft den 52-Jährigen in Auslieferungshaft. Innenminister Stanislav Gross reagiert auf aufkommende Kritik ratlos. "Die Festnahme geht auf gesetzliche Verpflichtungen zurück", entschuldigt er.

Laut Bericht der Gefangenenhilfsorganisation Amnesty International vom Oktober diesen Jahres sind ungeklärte Todesfälle in der Untersuchungshaft keine Seltenheit in Usbekistan. Präsident Islam Karimov, gegen den Solich nach der Unabhängigkeit 1991 für die Präsidentschaft kandidierte, hat seine Macht gestärkt, alle oppositionellen Parteien verboten und Oppositionspolitiker inhaftiert. Daneben hat der Nachbarstaat von Afghanistan auch die Kontrolle über die muslimische Religionsausübung übernommen. Solich wurde in Abwesenheit im November 2000 zu fünfzehneinhalb Jahren Haft verurteilt.

Direkt nach Bekanntwerden dieses Vorfalls hagelt es Protestnoten in Prag. Der amerikanische Kongressausschuss für Sicherheit und Zusammenarbeit in Mitteleuropa muss die in Gang gesetzte tschechische Bürokratie daran erinnern, dass es keinen Kadavergehorsam gegenüber internationalen Forderungen gibt. Auch Norwegen fordert die Ausreise Solichs nach Skandinavien. Schließlich genieße Solich den Flüchtlingsstatus und dürfe deshalb nicht an ein Unrechtsregime ausgeliefert werden, wo ihm der sichere Tod drohe, so die einhellige Meinung der Experten.

Nach zwölf Tagen wird Solich dann endlich aus der Haft entlassen. Und anderntags von Havel empfangen. "Alles ging nach dem Gesetz vor sich, alle haben ihre Arbeit getan", trägt Solich den Behörden nichts nach. Nebenher hat er in der Haftanstalt Prag-Pankrac einen Essay geschrieben, den er Vaclav Havel gewidmet hat. Thema: Islam und Demokratie. Anschließend entscheidet das Stadtgericht von Prag endgültig: Solich wird nach Usbekistan nicht ausgeliefert. Und Tschechien weiß jetzt auch endlich, wie man mit politisch Verfolgten nach westlichem Standard umgeht. (ykk)