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Ernüchterung und Resignation in Afghanistan

21. Oktober 2010

Das amtliche Endergebnis steht zwar noch nicht fest. Schon jetzt aber ist klar, dass es bei der Parlamentswahl in Afghanistan Korruption im großen Stil gab. Im Land überrascht das kaum jemanden.

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Der afghanische Präsident Hamid Karsai bei der Stimmabgabe am 18. September (Foto: DW/Duncan)
Der afghanische Präsident Hamid Karsai bei der Stimmabgabe am 18. SeptemberBild: Don Duncan

Die Sieger der afghanischen Parlamentswahlen, 249 Abgeordnete an der Zahl, sind seit Mittwoch (20.10.2010) bekannt. Dennoch steht das vorläufige Wahlergebnis noch unter Vorbehalt, bis weitere Prüfungen durch die offizielle Wahlkommission abgeschlossen sind. Gegen mehr als 220 Kandidaten, darunter offenbar auch einige bereits als Gewinner verkündete Bewerber, laufen Untersuchungen wegen möglichen Wahlbetrugs.

Wahlplakate in Kabul im September 2010 (Foto: AP)
Wahlplakate in Kabul im September 2010Bild: AP

All das stärkt nicht gerade das Ansehen der Wahlkommission, der vorgeworfen wird, nicht transparent genug bei der Aufklärung des Betrugs vorzugehen. Gut einen Monat nach der Wahl kämpft das überwiegend als Karsai-treu geltende Gremium mit einer Flut von 4600 Wahlbeschwerden und gegen politischen Druck von allen Seiten. "Wir bestreiten nicht, dass viele auch einflussreiche Menschen versucht haben, diese Wahlen zu manipulieren", sagt der Leiter der Wahlkommission, Fasel Ahmad Mahnawi. Genau deswegen seien ja auch mehr als eine Million Stimmen für ungültig erklärt worden.

1,3 Millionen ungültige Stimmen

Insgesamt wurden fast ein Viertel aller abgegebenen Stimmen für ungültig erklärt. Betrug und Fälschung haben damit in etwa das Ausmaß der Präsidentschaftswahl vom vergangenen Jahr erreicht, bei der die Regierung Karsai zwar letztlich bestätigt wurde, aber angesichts massiver Manipulation weiter an Legitimität einbüßte. Ein Teil der jetzigen Wahlsieger hat bereits seit fünf Jahren Sitz und Stimme in der Volksvertretung. Das Ergebnis sei ein Erfolg für die Regierung, meint deshalb Asif Baktasch, Experte für afghanische Innenpolitik. Denn viele, die für eine enge Zusammenarbeit mit der Regierung stünden, würden nun auch ins neue Parlament ziehen. "Aber mit freien Wahlen hat das nicht viel zu tun."

Paschtunische Männer warten darauf, ihre Stimme abgeben zu können (Foto: AP)
Paschtunische Männer warten darauf, ihre Stimme abgeben zu könnenBild: AP

Noch ist unklar, wie stark Karsai-Befürworter und -Gegner im künftigen Parlament vertreten sein werden. Da es in Afghanistan keine Parteien und im afghanischen Unterhaus keine Fraktions-Bildung nach westlich demokratischem Vorbild gibt, kam es bereits in der vorigen Legislaturperiode zu wechselnden Allianzen. Es gilt als offenes Geheimnis, dass Präsident Karsai es bisher mit Druck und Einflußnahme geschafft hat, sich seine Mehrheiten zu sichern. Allerdings hat ihn das Parlament bei der Zustimmung seiner Minister-Riege sowie bei Gesetzesvorhaben immer wieder in Bedrängnis gebracht.

Warlords auf der Abgeordnetenbank

Sanjar Sohail wirkt resigniert, wenn er über die Wahlen spricht. Für den Herausgeber der lokalen Tageszeitung "8 sobh" ist der Ausgang keine Überraschung. "Wir haben ja miterlebt, wie einflussreiche Akteure, darunter viele Warlords, sich in den Prozess der Wahlen eingemischt haben. Und nun werden diese Menschen erwartungsgemäß in das nächste Parlament einziehen." Unter den ersten vier Gewinnern für den Bezirk Kabul befinden sich einige Warlords, die für Aufsehen innerhalb der Bevölkerung gesorgt haben: Mohaqeq, Qanuni oder Sayaaf sind Namen, die große Teile der Bevölkerung, aber auch internationale Menschenrechtsorganisationen mit mutmaßlichen Kriegsverbrechen in Verbindung bringen. Mittlerweile schützt ein Amnestie-Gesetz sie und andere vor möglichen Gerichtsverfahren.

Stimmabgabe per Fingerabdruck (Foto: DW/Sirat)
Stimmabgabe per FingerabdruckBild: DW

Sayfuddin Sayhun, Dozent für Politik und Wirtschaft an der Universität Kabul, hängt seine Erwartungen entsprechend tief. Für ihn steht außer Frage, dass das künftige Parlament konservativer wird. "Viele, die jetzt ins Parlament einziehen, haben mit Demokratie im eigentlichen Sinn nicht viel zu tun. Die Kluft zwischen Parlament und Volk wird größer und die Glaubwürdigkeit von Demokratie noch weiter in Frage gestellt werden." Mit dem offiziellen Endergebnis wird frühestens Mitte November gerechnet.

Autor: Martin Gerner / Nabila Karimi-Alekozai
Redaktion: Sonila Sand / Esther Broders