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Ich war nur Teil eines Systems

22. Dezember 2010

Herbert Reinecker war einer der einflussreichsten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. Aber er hatte eine dunkle Vergangenheit in der NS-Zeit, über die jetzt ein Buch aufklärt. Wir haben mit zwei der Autoren gesprochen.

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Cover Reineckerland: Der Schriftsteller Herbert Reinecker
Bild: Edition Text und Kritik

In den deutschen Medien war Herbert Reinecker vielfach vertreten. In der frühen Bundesrepublik schrieb er bereits Kurzgeschichten und Hörspiele. Später war er Autor erfolgreicher Kriminalserien wie "Der Kommissar“ und "Derrick“. Zum Starautor wurde Reinecker mit Drehbüchern zu Kinofilmen wie "Canaris“ und "Der Stern von Afrika“.

Doch Reinecker hatte eine dunkle Vergangenheit in der Zeit des Nationalsozialismus. Er war für die Propagandaschriften der Reichsjugendführung verantwortlich und schrieb später als Kriegsberichter für Zeitungen der Waffen-SS.

Die Filmhistoriker Rolf Aurich, Niels Beckenbach und Wolfgang Jacobsen vom Deutschen Filmmuseum Berlin haben ein Buch über Herbert Reinecker geschrieben.

Wir haben mit den Autoren Wolfgang Jacobsen und Rolf Aurich über ihre Studie gesprochen.

DW-WORLD.DE

Herr Aurich wie sind Sie und Ihre Kollegen darauf gekommen die Geschichte Herbert Reineckers zu untersuchen?

Rolf Aurich

Das ganze Vorhaben geht in die frühen achtziger Jahre zurück. Wir hatten Kontakt zu zwei Journalisten, die ein langes Interview mit Reinecker geführt haben. Und wir hatten Zugang zu zwei Versionen dieses Interviews. Das heißt, Herbert Reinecker hat eine Version zensiert und die andere gekürzte Version ist veröffentlicht worden. Und da ist uns klar geworden, dass der Mann etwas zu verheimlichen hatte.

Was war das?

Rolf Aurich

Das war seine nationalsozialistische Vergangenheit, über die bis dahin wenig bis gar nichts bekannt gewesen ist. Im Fortlauf hat sich dann das Interesse insofern konkretisiert, als wir alle natürlich mit seinen unglaublich vielen Fernseharbeiten konfrontiert gewesen sind, insbesondere natürlich mit "Derrick". Das war in den frühen Neunzigern in der Endphase von "Derrick". Und das hat ein besonderes Interesse bei uns geweckt. Und der dritte Punkt ist, unser Haus die Deutsche Kinemathek, hat vor einigen Jahren den Drehbuchnachlass von Herbert Reinecker, als Schenkung übernommen. Das war noch zu Lebzeiten Reineckers. Und damit war eine wunderbare Grundlage geschaffen, sich mit dem Werk von Reinecker zu beschäftigen.

Herr Jacobsen, Ihr Kollege Herr Aurich hat betont, dass die NS-Verstrickung von Reinecker nicht allgemein bekannt war. Wie sind Sie denn bei Ihrer Recherche vorgegangen? War es schwierig, an das Material heranzukommen ?

Wolfgang Jacobsen

Das war ein mühsames Unterfangen und bedeutete klassische Recherche und Forschungsarbeit in verschiedenen Archiven. Vom Bundesarchiv angefangen bis hin zu diversen Stadtarchiven. Wir haben also Materialien gesammelt, die verstreut in deutschen Archiven aufbewahrt worden sind. Darunter war vieles, das uns erstmals zugänglich gemacht worden ist. Es entstand also ein großes Puzzle, aber es hat sich dann doch ein Gesamtbild der sehr massiven Verstrickung Herbert Reineckers ins System der Nazidiktatur ergeben.

Herbert Reinecker hat für TV-Produktionen geschrieben, die weltweit bekannt wurden. Findet sich darin etwas von der Geisteshaltung eines überzeugten Nazis oder ehemaligen Nazis wieder?

Wolfgang Jacobsen

Das war eine These mit der wir ans Werk gegangen sind. Und wir haben versucht eine Art Indizienbeweis zu führen, dass Reinecker sich von bestimmten moralischen Kategorien, mit denen er aufgewachsen und im wahrsten Sinne des Wortes groß geworden ist, nicht gelöst hat. Sondern, dass es so etwas wie eine moralische Fortschreibung seiner Grundhaltung gibt. Und wir versuchen das dann auch zu belegen.

Haben Sie ein Beispiel dafür, was an nationalsozialistischem Gedankengut zum Beispiel in “Derrick“ zu erkennen war?

Rolf Aurich

Es handelt sich nicht um eine eins-zu-eins-Übertragung. Aber es gibt eine Folge von "Derrick" aus den siebziger Jahren, die heißt "Paddenberg". Und in diesem Filmstoff geht es genau darum, was Reinecker selbst nach 1945 mit der eigenen Biografie gemacht hat, nämlich verschweigen und bestmöglich durchkommen.

Und diese Handlungsführung, die Motivlage wiederholt sich zum Beispiel in dieser Folge von "Derrick". Das heißt nicht, dass dort mit nationalsozialistischem Vokabular hantiert wird oder auch nur annäherungsweise das offensichtlich wäre, da eine geistige Nähe zu konstruieren. Das ist nicht der Fall und darum geht es auch gar nicht. Aber uns fiel auf, das Reinecker zeit seines schriftstellerischen Lebens über eine bestimmte moralische Bewertung von menschlichen Handlungsweisen nicht hinaus kommt. Er war nicht imstande, genauso wie die Figuren, die er beschreibt und entwirft, sein eigenes Leben für einen Moment von außen zu betrachten, um zu verstehen, welchen Herren er gedient hat und woran er beteiligt war.

Hat Reinecker sich denn nach außen hin jemals von seinen Arbeiten für die Nazis distanziert?

Rolf Aurich

Nein, das hat er nicht. Er hat zum ersten Mal in den Jahren, nachdem dieses zensierte Interview gebracht worden ist, ausführlich über sein Leben und auch über die Zeit im Nationalsozialismus geschrieben in seiner Autobiographie. Die ist 1990 erschienen. Und durch diese Autobiographie zieht sich ein gedanklicher Faden, der lautet: ich bin in meine Zeit hineingeboren und ich konnte nichts ändern. Ich bin nur ein Teil der Zeit, die mich geprägt hat. Das heißt, Reinecker fordert zu verstehen, dass es nichts zu ändern gab an diesem Leben, keine Alternative. Und das ist genau das, worüber man natürlich bei einer Autobiographie nachdenken kann.

Dieser Satz: "Ich war nur ein Instrument meiner Zeit" ist ja eigentlich ein ganz klassisches Argument.

Rolf Aurich

Ja, das ist klassisch. Das ist auch kein Einzelfall. Nur handelt es sich in diesem speziellen Fall um einen Schriftsteller mit Millionenauflage und Mit Millionenwirkung durch Fernsehen, durch Kinofilme natürlich und auch durch Zeitschriften. Und es kommt noch etwas hinzu, etwas pikantes, wenn man so will. Reinecker ist in aller Welt erfolgreich gewesen, auch in Israel. Und nach unseren Ermittlungen ist in Israel überhaupt nicht bekannt gewesen, was hinter diesem Autor steckt.

Ändert Ihr Buch den Blick auf die deutsche Fernsehgeschichte?

Wolfgang Jacobsen

Wir wollen auf jeden Fall den Blick schärfen für eine Kontinuität, die in der deutschen Fernsehgeschichte zweifellos personell und auch moralisch vorhanden ist. Also wenn man sich das Zweite Deutsche Fernsehen anschaut, dann sieht man, dass in der Gründungsphase dieser Institution eine ganze Reihe von Personen eine Rolle gespielt haben, die auch eine nicht unbeträchtliche Vergangenheit gehabt haben in der NS-Diktatur. Und es ist die Frage zu stellen, ob dieses Personal massiven Einfluss auf die Programmgestaltung genommen hat ? Das wäre kritisch zu betrachten. Ich will das nicht generalisieren. Es haben ja auch Leute mitgemacht im sogenannten Dritten Reich, die dann aber gewahr geworden sind, auf was sie sich eingelassen haben und in großer persönlicher Integrität sich davon distanziert haben. Hier bei Reinecker ist das außerordentlich indifferent und zudem eben verbunden mit einer nicht hinterfragten Popularität. Hier galt es nachzufragen.

Das Gespräch führte Günther Birkenstock

Redaktion: Sabine Oelze