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Erdogan wirbt in Brüssel für Ankara

Bernd Riegert, Brüssel10. Dezember 2004

Ministerpräsident Erdogan versucht derzeit ein letztes Mal in Brüssel Punkte zu sammeln für die Aufnahme von EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei. Das Gipfeltreffen Mitte Dezember könnte zur Zitterpartie werden.

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EU-Ratspräsident Balkenende (rechts) in schwieriger MissionBild: AP

Nein, wiegelte der türkische Premierminister Recep Tayyip Erdogan Fragen ab, der EU-Gipfel Mitte Dezember (16./17.12.2004) sei für die Türkei nicht das "Jüngste Gericht". Sollte die EU die Türkei nicht haben wollen und den Beginn von Beitrittsverhandlungen mit Ankara ablehnen, werde sein Land darauf auch nicht bestehen. Er sei aber optimistisch, so Erdogan gegenüber dem türkischen Fernsehsender Kanal D, dass das gewünschte Ergebnis zustande komme. Der türkische Staatschef nutzte die Gelegenheit, um am Freitag (10.12.) in Brüssel ein letztes Mal für das Anliegen seines Landes in der EU-Hauptstadt zu werben.

Privilegierte Partnerschaft als Alternative

Die Türkei habe alle Bedingungen zur Aufnahme von Beitrittsverhandlungen, die 2002 beim Gipfel von Kopenhagen aufgestellt wurden, erfüllt, nachdem sie umwälzende Reformen eingeleitet und umgesetzt habe, meint Ankara. Konservative europäische Regierungschefs arbeiten aber unter Führung von Österreichs Bundeskanzler Wolfgang Schüssel daran, der Türkei eine privilegierte Partnerschaft anzubieten, sollten Beitrittsverhandlungen zu keinem Ergebnis führen.

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Frankreich fordert die ausdrückliche Erwähnung eines so genannten "dritten Weges" in der Abschlusserklärung des Gipfels. Die Franzosen werden in einer Volksabstimmung in vielleicht zehn Jahren über einen Türkei-Beitritt abstimmen und haben damit ein Veto-Recht. Zurzeit sind 75 Prozent der Franzosen nach Meinungsumfragen gegen eine Aufnahme des islamisch geprägten Landes.

"Öffentliche Meinung berücksichtigen"

Der EU-Kommissionspräsident José Barroso hingegen unterstützt die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen, so seine Sprecherin Francoise Le Bail nach seinem Gespräch mit dem türkischen Premier Erdogan. "Präsident Barroso hat Ministerpräsident Erdogan die Schwierigkeiten geschildert, die einige Mitgliedsstaaten haben, was auch die öffentliche Meinung in diesen Staaten betrifft. Seine Empfehlung war, dies zu berücksichtigen."

Der niederländische Ratsvorsitzende Jan-Peter Balkenende, der am Donnerstagabend (9.12.) mit Premierminister Erdogan zusammentraf, arbeitet an einer Gipfelformel, die auch die Befürworter eines Beitritts zufrieden stellt. Deutschland, Großbritannien, Spanien und Schweden wollen nämlich möglichst wenige Bedingungen für einen Verhandlungsbeginn stellen.

Republik Zypern anerkennen

Balkenende und Erdogan sprachen auch über die Zypern-Frage. Die EU geht davon aus, dass die Türkei das EU-Mitglied Republik Zypern vor dem Beginn von Beitrittsverhandlungen völkerrechtlich anerkennt. Bislang lehnt die türkische Regierung diesen Schritt ab, da sie nur die "Türkische Republik Nordzypern" akzeptiert, die nach einem militärischen Einmarsch 1974 geschaffen wurde. Die zyprische Regierung der griechisch geprägten Republik Zypern droht nun mit einem Veto, heißt es aus Diplomatenkreisen. Türkische Diplomaten in Brüssel versichern aber, dass der EU-Betritt an der Zypern-Frage nicht scheitern solle. Das Problem sei Teil der Verhandlungsmasse.

Klar ist schon jetzt: Die Beitrittsverhandlungen sollen jederzeit unterbrochen werden können, sollte es in der Türkei Rückschläge bei Reformen geben. Nicht nur die Übernahme von EU-Recht in die Gesetzbücher der Türkei, sondern auch dessen praktische Anwendung soll über einen langen Zeitraum kontrolliert werden. Insgesamt soll der Beitrittsprozess mindestens zehn Jahre dauern. Für die Freizügigkeit für türkische Arbeitnehmer sind lange Übergangsfristen geplant. Die EU-Kommission hatte im Oktober 2004 Beitrittsverhandlungen mit dem klaren Ziel der uneingeschränkten Mitgliedschaft empfohlen.